Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-762-4
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Roy Palmer
Rivalen auf Leben und Tod
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Joaquin Solimonte, genannt „El Tiburon“, war mit knapper Not dem drohenden Tod entronnen. Es war nicht das erste Mal in seinem bewegten Leben, daß er gegen die freßgierigen Mörder kämpfte. Doch wieder – wie damals vor zwei Jahren auf Hispaniola – hatte ihn das Ereignis arg mitgenommen. Schwer atmend kauerte er unter dem Felsenüberhang, unter den er sich gerettet hatte, und blickte wie in Trance auf die Wasserfläche unterhalb der Totenrutsche von Tortuga.
Drei Haie – wie damals in der kleinen Bucht westlich von Cabo Samaná! Die toten Tiere waren verschwunden, ihre Artgenossen hatten sie im Blutrausch angefallen und verschlungen. Wie sich die Dinge im Leben gleichen, dachte El Tiburon.
Sein Mund verzog sich zu einem harten Grinsen. Selbstironie: Der Beiname schien ihm wie ein Fluch anzuhaften. Die Haie verfolgten ihn im Traum. Aber es gab einen noch gefährlicheren Gegner, der jetzt zu seinem Todfeind geworden war – die Black Queen.
Ihr hatte er dies alles zu verdanken. Er würde sie suchen und finden – und sich an ihr rächen, denn sie hatte die Spione Gilbert Sarraux und Joao Nazario nach Tortuga geschickt.
Diese beiden waren es gewesen, die ihn festgenommen und brutal verhört hatten. Er wünschte ihnen die Pest an den Hals, aber er wußte, daß er das Übel an seiner Wurzel packen mußte.
Sarraux und Nazario würden von den Männern von Tortuga gestellt werden, sie konnten nicht mehr fliehen. Er aber, Joaquin, mußte die Black Queen finden und stellen, bevor sie über die Vorfälle auf Tortuga unterrichtet wurde. Dieses Vorhaben erschien ihm vordringlich, und daher faßte er einen impulsiven, zornigen Entschluß.
Er hatte Stimmen über sich an der Totenrutsche vernommen, jetzt aber waren sie verstummt. Der Bretone und der Portugiese hatten noch eine Weile nach ihm Ausschau gehalten, vielleicht hatten sich auch noch Helfershelfer zu ihnen gesellt. Inzwischen aber waren sie wohl davon überzeugt, daß ihr Opfer des ihm zugedachten grausamen Todes gestorben war, und sie hatten sich zurückgezogen.
Welchen Sinn hatte es, in den Felsen aufzusteigen und nach ihnen zu suchen? El Tiburon überließ die Kerle dem Haß der Männer: Diego, Carlos Rivero, Pedro, Willem Tomdijk und alle anderen würden nicht eher ruhen, bis sie die beiden Spione gefangengenommen hatten. Für Sarraux und Nazario gab es kein Entweichen mehr: Ihre Pinasse war requiriert, jeder Fluchtweg abgeschnitten. Sie waren den Suchtrupps, die überall auf der Insel nach ihnen forschten, ausgeliefert.
El Tiburon verließ sein Versteck und schlich zu einer abseits gelegenen Bucht. Wert auf menschliche Gesellschaft legte er jetzt nicht. Gewiß, er hätte Diego, Rivero, von Manteuffel, O’Brien, dem kleinen Pedro und all den anderen wohl erklären müssen, was vorgefallen war. Sie sorgten sich um ihn und wußten nicht einmal, ob er noch lebte. Aber er verlor damit nur Zeit. Er mußte die Black Queen erwischen, bevor sie etwas von der Entlarvung des Bretonen und des Portugiesen ahnte und möglicherweise von Hispaniola floh.
Punta Gorda – dort wartete sie auf Sarraux und Nazario. El Tiburon hatte es erlauscht, als die beiden Kerle angenommen hatten, er wäre noch bewußtlos. Die Zeit war sein Trumpf. Er mußte Hispaniola so schnell wie möglich erreichen.
El Tiburon hatte kein eigenes Schiff oder Boot. Er war mit einem Fischer nach Tortuga gesegelt. Ursprünglich hatte er vorgehabt, hier einige Wochen zu verbringen, weil es für ihn Verschiedenes zu erledigen gab. Jetzt aber drängte es ihn zurück zu der großen Insel, die seine Heimat geworden war. Sein Revier: Die Black Queen würde noch bereuen, dort gelandet zu sein.
Er wollte sie töten. Aber es waren nicht nur die persönlichen Rachegedanken, die ihn dazu trieben. Es steckte mehr dahinter. Die Queen wollte die Macht in der Karibik an sich reißen. Aber Männer wie Joaquin Solimonte duldeten sie nicht, sie akzeptierten nur einen Philip Hasard Killigrew, Jean Ribault, Siri-Tong, Thorfin Njal, Arne von Manteuffel oder Jerry Reeves – Kapitäne eben, die keine Herrschaftsansprüche stellten.
El Tiburon war ein freier Siedler, ein Bukanier. Er wollte keine Diktatur und sich keinem Gesetz beugen. Dafür lebte und kämpfte er. Wenn eine skrupellose und gnadenlose Frau wie die Black Queen Tortuga und Hispaniola eroberte, war es aus mit dem sorglosen Dasein.
Diese Überlegungen bestimmten die Entschlossenheit seines Handelns. Er langte an der abgelegenen Bucht an und fand hier keinen Menschen vor. Er wußte jedoch, daß unter den Mangroven und dem spanischen Moos, das hier wucherte, ein kleines Fischerboot versteckt lag. Zielstrebig eilte er darauf zu, löste die Leinen und schob es in tieferes Wasser.
Es widerstrebte ihm, den Fischer um sein Boot zu betrügen, aber er wußte keinen anderen Weg. Später, wenn er zurückkehrte, würde er den Mann für den kurzfristigen Verlust seines Fahrzeugs entlohnen.
El Tiburon stieg an Bord, setzte das Segel und ging auf Kurs. Das Boot glitt aus der Bucht und nahm Fahrt auf. Es war klein, aber relativ schnell und wendig. Die See war ruhig und wurde nur von einer flachen Dünung gekräuselt, der Wind wehte aus Nordosten.
El Tiburon wußte, daß die Überfahrt zur nahen Küste von Hispaniola nicht lange dauern würde. Mit einem Schlechterwerden von Wind und Wetter war in den nächsten Stunden nicht zu rechnen, kein Anzeichen deutete darauf hin.
Unablässig hielt El Tiburon nach allen Seiten Ausschau. Er hatte in der Buglast des Bootes einen Kieker gefunden und benutzte ihn, um die Kimm abzusuchen. Vorläufig zeigte sich kein anderes Boot und kein Schiff. Er schien allein zu sein auf der Welt. Tortuga blieb achteraus liegen und schrumpfte bald zu einer grauschwarzen Silhouette zusammen, die sich nur unbedeutend über die Wasserlinie hinausschob.
Noch einmal überlegte El Tiburon, ob es nicht besser gewesen wäre, mit Arne, Diego, Willem und Carlos zu sprechen. Aber die Besprechung hätte ihn wertvolle Zeit gekostet. Sie würden ohnehin noch erfahren, wer die Auftraggeberin von Sarraux und Nazario war und wo sie sie zu suchen hatten. Irgendwann würden sie die Kerle fangen und zum Sprechen bringen. Dann würde sicher auch Arne von Manteuffel nach Hispaniola aufbrechen.
Er aber, El Tiburon, wollte der erste sein, der die Black Queen stellte und mit ihr abrechnete. Wie konnte er sie am besten überrumpeln? Er mußte es mit einer List versuchen. Wenn es ihm gelang, ihr Vertrauen zu erschleichen, war der Schlag, den er ihr anschließend versetzte, empfindlicher.
El Tiburon ließ sich auf der Heckducht des Fischerbootes nieder und bediente die Ruderpinne. Sein Blick war geradeaus gerichtet. Er dachte nach, und ein Plan nahm in seinem Geist Gestalt an.
Die Verhandlung gegen Gilbert Sarraux und Joao Nazario fand in der „Schildkröte“ statt. Schon viel eher, als sich Joaquin Solimonte ausrechnete, waren die beiden feindlichen Agenten an der Totenrutsche gefaßt worden. Wären El Tiburon diese Zusammenhänge bekannt gewesen, hätte er seine Pläne vielleicht doch geändert und mit Willem Tomdijk, Arne von Manteuffel und Carlos Rivero gesprochen, bevor er etwas unternahm. Doch die Dinge nahmen ihren Lauf und ließen sich weder aufhalten noch beeinflussen.
Willem Tomdijk war zum Richter, Arne von Manteuffel zum ersten Beisitzer gewählt worden. Alles, was Beine hatte auf Tortuga, war zu dem Gerichtstermin erschienen. Ein zweiter und dritter Beisitzer waren rasch ausgesucht: Diego und Carlos Rivero nahmen neben dem dicken Willem und dem Vetter des Seewolfs Platz.
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