Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-856-0
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Roy Palmer
Er sollte den Seewolf jagen – aber das Wild war stärker
In Potosi hatten Hasard und seine Männer zugeschlagen – mit vernichtender Wucht. Dann war der Rückmarsch angetreten worden, und sie hatten glücklich ihre beiden Schiffe wieder erreicht, die in der stillen Felsenbucht der Tacna-Mündung lagen. Aber vor ihrer Rückkehr zur Schlangen-Insel hatten die Männer noch ein letztes Ziel: die Hafenstadt Arica. Dort wollten sie sich mit einem Paukenschlag verabschieden. Und darum segelte der Seewolf mit der Jolle und sieben Männern noch einmal südwärts, um die Lage zu erkunden. Daß zwei spanische Kriegsgaleonen vor der Einfahrt in den Hafen ankerten, war ihr Pech, denn Hasard ließ ihre Ankertrossen kappen, so daß sie auf Land trieben – die eine aufs Felsenufer, die andere mitten in den Hafen …
Die Hauptpersonen des Romans:
Don Gaspar de Rojas– Kommandant der Kriegskaravelle „Esmeralda“, ausgestattet mit einem Geheimauftrag.
Jorge Parra– der Kommandant der Kriegskaravelle „Castilla“ wird unvermutet mit einem Stück aus dem Tollhaus konfrontiert.
Philip Hasard Killigrew– nimmt eine Chance wahr, um den Proviant seiner Schiffe aufzufrischen.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Eigentlich hatte alles ganz anders kommen sollen, aber das Schicksal war nun einmal unberechenbar. Don Gaspar de Rojas, der Kommandant der dreimastigen Kriegskaravelle „Esmeralda“, hatte nur der Gründlichkeit halber die Trichtermündung des Rio Tacna nördlich von Arica inspizieren wollen und war dabei mit dem Schiff auf eine Untiefe gelaufen. Jetzt saß die „Esmeralda“ hoffnungslos fest. Sie hatte sich nach Backbord geneigt und ihren Fockmast eingebüßt. Außerdem hatte die Besatzung im Rumpf ein Leck entdeckt.
Don Gaspar de Rojas tobte vor Wut und gab seinen Offizieren, vor allem dem Ersten, die Schuld an dem Vorfall. Daß er selbst vergessen hatte, die Mündung des Flusses ausloten zu lassen, schien er dabei nicht zu bedenken. Er dachte nur an seinen Auftrag. Er sollte den Mann finden, der für den „ungeheuerlichen Vorfall“ letzte Nacht in Arica und für die „Vorkommnisse“ verantwortlich war, die sich in den letzten Monaten an der Pazifikseite der Neuen Welt zugetragen hatten.
Doch die Patrouillenfahrt war für Don Gaspar hier bereits zu Ende. Jetzt war er auf Hilfe angewiesen. Er hatte deshalb drei Böllerschüsse mit den Steuerbordgeschützen abfeuern lassen. Die zweite Kriegskaravelle, die ihn begleitet hatte und weiter nach Norden abgelaufen war, kehrte eben zurück und ging in der Mündung vor Anker. Es war die „Castilla“ unter dem Kommando von Capitán Jorge Parra. Ein Boot wurde ausgesetzt und bemannt. Capitán Parra ließ sich zur „Esmeralda“ pullen, um nach dem Rechten zu sehen.
Don Gaspar war außer sich vor Wut. Er hatte sich wieder seinen Ersten Offizier vorgenommen und fuhr ihn an: „Wir rechnen noch miteinander ab, darauf können Sie sich verlassen.“
„Señor, ich bin mir keiner Schuld bewußt“, verteidigte sich der Mann.
„Schweigen Sie! Sie haben schon genug angerichtet!“
„Señor, ich bitte Sie zu bedenken, daß …“
„Gar nichts bedenke ich!“ unterbrach ihn Don Gaspar. „Und ich will kein Wort mehr hören, sonst lasse ich Sie auspeitschen!“
Nur mit Mühe konnte sich der Erste beherrschen. Er war versucht, sich auf seinen Kapitän zu stürzen, doch die Vernunft siegte über seinen Zorn. Er blieb mit zu Fäusten geballten Händen auf dem Achterdeck stehen und blickte Don Gaspar nach, wie dieser ans Schanzkleid trat und der herangleitenden Jolle entgegenblickte.
Nach der Untersuchung des Schiffsrumpfes hatte sich Don Gaspar de Rojas einer ausgiebigen Kontrolle seiner Kapitänskammer gewidmet. Was er jetzt vorhatte, wußte noch keiner, aber der Erste, die anderen Offiziere und auch einige Decksleute und Seesoldaten ahnten bereits etwas. Dieser Capitán war ein unberechenbarer Mann. Manchmal hatte man den Eindruck, er sei nicht ganz klar bei Verstand. So waren auch jetzt die unsinnigsten Entscheidungen von ihm zu erwarten – nachdem er davon überzeugt zu sein schien, daß sich der Feind nicht in der Mündung des Rio Tacna versteckt halten konnte.
Wie sollte er auch? Jedes Schiff mußte bei dem Versuch, den Fluß hinaufzusegeln, zwangsläufig auflaufen. Wenn ein Don Gaspar den Tacna nicht zu überlisten verstand, dann konnte dies auch kein anderer Kapitän. Dies war seine feste Überzeugung, aber er ahnte nicht, wie sehr er sich täuschte.
Man schrieb den 27. Januar 1595. Es sollte noch ein verhängnisvoller Tag werden – und eine Nacht der Überraschungen. Doch das konnte verständlicherweise auch Jorge Parra, der Capitán der „Castilla“, nicht voraussehen, als er sich zu der „Esmeralda“ hinüberpullen ließ.
Er beurteilte die Situation nach dem Bild, das er vor sich hatte. Die „Esmeralda“ war arg ramponiert, es würde einige Zeit dauern, bis sie wieder flott war. Sie brauchte nicht nur einen neuen Fockmast, sondern auch – und das sogar noch dringender – eine neue Gaffelrute für das Großsegel, denn die alte war in zwei Teile zerbrochen. Ohne Fockmast würde die Karavelle problemlos nach Arica zurücksegeln können, nicht aber ohne die Gaffelrute.
Jorge Parra war, was die Seefahrt an der Pazifikküste betraf, ein „alter Hase“. Er kannte sich bestens aus, und in Sachen Seemannschaft machte ihm so leicht keiner etwas vor. Er war nicht mehr der Jüngste, aber was die Zähigkeit und das Durchhaltevermögen betraf, da nahm er es auch mit einem Zwanzigjährigen auf.
Parra war ein etwas stoischer Mann, der sich damit abgefunden hatte, bis zur Altersgrenze Kommandant einer Kriegskaravelle zu bleiben. Er war vom Personalamt der spanischen Marine gewissermaßen in der Beförderung übergangen worden. Er war kein Protektionskind und auch nicht adliger Herkunft, unterhielt keine „wichtigen Beziehungen“ und hatte keine Unterstützung aus „einflußreichen Kreisen“. Darauf verzichtete er gern, denn er war von ehrlicher Natur und haßte jegliche Art von Begünstigung, Intrige und Korruption.
Er war ein guter Seemann, der seinen Dienst getan hatte, ohne groß aufzufallen. Seit zehn Jahren fuhr er Geleitschutz an der pazifischen Küste. Seine Karavelle „Castilla“ gehörte zu den Einheiten, die in Callao bei Lima stationiert waren. Zusammen mit vier Kriegsgaleonen und der jetzt aufgelaufenen „Esmeralda“ war die „Castilla“ vom Vizekönig in Lima nach Arica kommandiert worden. Der Vizekönig wollte feststellen lassen, warum seit ein paar Monaten die Silbertransporte ausblieben – ganz abgesehen davon, daß Dinge passiert waren, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen, daß auf dieser Seite der Neuen Welt englische Piraten ihr Unwesen trieben, und zwar in einer Art und Weise, die an Dreistigkeit, Gerissenheit und verwegenem Draufgängertum nicht mehr zu überbieten war.
Es gehörte kein sonderlicher Scharfsinn zu der Vermutung, daß auch das, was in der letzten Nacht vor der Hafeneinfahrt und im Hafen von Arica passiert war, auf das Konto dieser Piraten ging. Völlig überraschend und unvermittelt waren sie mit einer Jolle aus der Dunkelheit aufgetaucht – so waren die Geschehnisse inzwischen rekonstruiert worden.
Sie hatten die Ankerwachen der beiden vor der Einfahrt liegenden Kriegsgaleonen lautlos durch Pfeile getötet und dann die Ankertrossen der Galeonen gekappt. Eine Galeone war auf das steinige Ufer gelaufen, die andere war vom Wind in den Hafen getrieben worden, wo sie mit einer Handelsgaleone kollidierte.
Читать дальше