Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-720-4
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Mit finsterem Blick musterte Erich von Saxingen von seinem Eckplatz in der Schenke aus die fünf anderen Gäste, die sich an diesem Nachmittag an den klobigen Eichenholztischen niedergelassen hatten.
Man schrieb den 4. April 1593, und es schien ein völlig ereignisloser Tag zu bleiben, der seinen Abschluß in grenzenloser Langeweile fand, hier, im Hafen Rügenwaldermünde, wie drüben in der Stadt Rügenwalde, die auf der anderen Seite der Wipper lag. Die Männer wechselten nur wenige Worte, keiner lachte. Der Wirt sah ihnen mit unbewegter Miene zu, er stand hinter seiner Theke und hatte die Ellenbogen auf der Kante der blankgewetzten Platte aufgestützt. Die einsilbig geführte Unterhaltung schlief ein und wich wieder einem anhaltenden Schweigen, das nur durch das Gluckern unterbrochen wurde, mit dem die Bierkrüge gefüllt wurden.
Auch von Saxingen stellte fest, daß sein Humpen leer war. So griff er nach der Kruke und schenkte nach, trank und wischte sich den Schaum mit dem Handrücken vom Mund. Er war schon leicht angetrunken, seine Augen waren gerötet. Doch die Zecherei bereitete ihm weitaus weniger Spaß als daheim auf dem Gut der von Saxingens in Estland. Es mangelte an der nötigen Stimmung, daran vermochte auch Bruno von Kreye nichts zu ändern, der soeben wieder die Gaststube betrat.
Erich von Saxingen leerte seinen Humpen, setzte ihn hart auf dem Tisch ab und füllte für Bruno von Kreye und für sich nach. Von Kreye ließ sich bei ihm nieder, ergriff den Humpen und trank mit konzentrierter Miene.
Dann sagte er: „Mit den Pferden ist alles in Ordnung. Ich habe ihnen eben nochmal zu saufen gegeben und ihre Futtersäcke neu gefüllt.“
„Gut“, sagte von Saxingen, aber seine Miene blieb mürrisch. „Zum Teufel, wir sind wohl dazu verdammt, noch Tage in diesem elenden Nest auszuhalten. So ein Mist. Hier ist nichts los, es scheint nicht einmal ein paar hübsche Weiber zu geben.“
Bruno von Kreye warf rasch einen Blick zu den anderen Anwesenden. Die hatten sich behäbig zu ihnen umgewandt und musterten sie scheinbar gleichgültig und ohne erkennbare Gemütsbewegungen. Doch von Kreye wußte, daß man sich vor ihnen in acht nehmen mußte.
„Sprich nicht so laut“, sagte er deshalb gedämpft zu seinem Freund. „Vergiß nicht, daß wir nicht auffallen wollen.“
„Diesen blöden Ochsen würde ich am liebsten was in die Fresse hauen“, murmelte von Saxingen und gab dadurch wieder einmal zu verstehen, daß er weder über die Ausdrucksweise noch über die Erziehung noch über die Haltung verfügte, die man von einem Adligen eigentlich erwartete. Er leistete sich die Allüren eines Junkers, wie es im übrigen auch sein Bruder Hugo tat, der seit einiger Zeit verschollen war und nach dem er suchte.
Auch von Kreye war da nicht anders. Und die anderen Großgrundbesitzer, die hoch oben zwischen Estland und Ingermanland nicht weit von der Narwa-Bucht entfernt ansässig waren und zu den Freunden der von Saxingens gehörten – die von Rammsteins, die von Berlepschs, Wolfraths und wie sie alle hießen! Keiner von ihnen erwies sich als rühmliche Ausnahme. Sie waren fast alle mies und verdorben und hatten nichts anderes zu tun, als der Jagd zu frönen, sich Saufgelagen und der Völlerei hinzugeben, ihr Gesinde zu kujonieren und den Frauen nachzusteigen.
Die beiden Männer hatten ihre Güter für einige Zeit im Stich gelassen, weil sie einen selbstgesetzten Auftrag durchzuführen hatten. Oder anders ausgedrückt: Es war eine Schandtat, die sie planten. Von Saxingen wußte mit Sicherheit, daß sein älterer Bruder verschwunden war, weil Arne von Manteuffel ihn verschleppt hatte.
In Reval hatten Arne und die Männer der „Wappen von Kolberg“ am Pranger gestanden, doch es war ihnen geglückt, sich zu befreien, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als auch Hugo von Saxingen und der polnische Generalkapitän Witold Woyda anwesend gewesen waren. Erich von Saxingen und Bruno von Kreye hatten ebenfalls in Reval geweilt, waren aber zu spät erschienen, um für den Junker Hugo noch irgend etwas tun zu können. Er war bereits verschwunden gewesen.
Erich von Saxingen und Bruno von Kreye waren auf der Reise nach Reval Hugo von Saxingens Begleiter gewesen. Gleich am Morgen nach der Entführung der Freiin Gisela von Lankwitz durch die Männer der „Isabella IX.“ – sie hatten sie während eines Gelages einfach von dem Gut der von Saxingens weggeholt, und zwar nach einer harten Schlägerei – waren sie aufgebrochen, um bei dem polnischen Generalkapitän Woyda, der sich ihres Wissens in Reval aufhielt, Alarm zu schlagen.
Da Hugo nicht wieder aufgetaucht war, hatten sich die beiden Junker nach Rügenwalde gewandt. Sie wußten, daß die Freiin von Lankwitz aus dieser Stadt stammte, und sie waren sicher, daß Arne von Manteuffel den Hafen so schnell wie möglich anlaufen würde, um seiner Verlobten die Möglichkeit zu geben, ihre besorgten Eltern wiederzusehen.
Daß die Seewölfe und Arne von Manteuffels Mannschaft unterdessen auch Witold Woyda in Hapsal gefangengenommen hatten, war Erich und Bruno allerdings nicht bekannt. Sie waren nach Hugos Entführung sogleich aufgebrochen und nach Pommern geritten. Tage hatten sie gebraucht, doch jetzt waren sie hier und wollten nicht mehr von der Stelle weichen, bis Philip Hasard Killigrew und Arne von Manteuffel auftauchten. Zumindest aber wollten sie versuchen, etwas über das Schicksal Hugos zu erfahren.
„Übrigens“, sagte Bruno von Kreye, nachdem er seinen Humpen geleert und einen genüßlichen Laut von sich gegeben hatte. „Wenn wir schon dazu verdammt sind, ein paar Nächte hier zu verbringen, sollten wir uns wenigstens um ein ordentliches Quartier ohne Wanzen und Läuse kümmern. Ich meine, ich halte es nicht für richtig, daß wir uns aufs Geratewohl irgendeine Herberge aussuchen. Wir sollten wählerisch sein.“
„Genau das.“ Erich von Saxingen trank noch den letzten Rest Bier aus, der in der Kruke war, dann knallte er ein paar Münzen auf den Tisch und erhob sich mit einem Ruck. Grußlos verließ er die Schenke. Bruno von Kreye folgte ihm. Die anderen Gäste sahen sich untereinander an, und als die Tür hinter den beiden Junkern ins Schloß gefallen war, schüttelten sie die Köpfe.
Der Wirt sah rasch nach, ob die Bezahlung auch stimmte, doch in diesem Punkt hatten sich die beiden nicht lumpen lassen. Von Saxingen hatte reichlich Silberlinge auf den Tisch gezählt, es sprang sogar noch ein tüchtiges Trinkgeld dabei heraus. Das genügte dem Wirt, er räumte die Kruke und die Humpen ab, unterzog den Tisch einer symbolischen Reinigung und begab sich hinter die Theke zurück.
Die beiden Junker hatten inzwischen noch einmal nach ihren Pferden gesehen und schlenderten zu der nächsten Herberge, die sie einer gründlichen Inspektion unterziehen wollten. Hierbei fiel ihr Blick jedoch auf die Wipper, und sie gewahrten zu ihrem Erstaunen einen Mann mit vier Pferden, der von dem Fährmann ans diesseitige Ufer übergesetzt wurde. Sie blieben stehen und beobachteten ihn.
„Was will ein einzelner Kerl mit vier Gäulen?“ fragte von Kreye. „Das ist doch wohl mehr als merkwürdig.“
„Vielleicht führt er sie zur Tränke“, sagte von Saxingen.
„Nein. Er hätte sie nur am Fluß zu tränken brauchen, dazu braucht er doch keine Fähre.“
Von Saxingen grinste. „Dann führt er sie wohl zum Schlachthof. Oder sie sollen auf irgendein Schiff.“
„Es liegt kein größeres Schiff im Hafen“, sagte von Kreye mit einem neuerlichen, diesmal argwöhnischen Blick zu der Fähre.
Читать дальше