Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-487-6
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Der Mann hieß John Deventer, und er sah aus wie eine Made, die im Speck lebt. In diesem Falle war das Arsenal der Royal Navy in Plymouth der Speck, an dem sich John Deventer mästete, denn ihm unterstand das Arsenal, und wenn jemand einen Schiffsnagel, ein Stück Segeltuch, ein Faß Pökelfleisch oder eine Rolle Liektau haben wollte, dann mußte er zuerst bei John Deventer anklopfen.
An diesem Morgen im September 1588 hatten Philip Hasard Killigrew, Kapitän der „Isabella VIII.“, und Jean Ribault, Kapitän der „Le Vengeur“, bei John Deventer angeklopft.
So leicht war das gar nicht gewesen, denn um bis zu John Deventer vorzudringen, hatten sie eine Menge gebraucht: Geduld, gute Worte, dann weniger gute Worte und schließlich massive Drohungen.
Der Weg zu John Deventer war mit einer Sorte von Schreiberlingen und Sekretären gepflastert, die sich allesamt für den Nabel der Welt hielten. Warum ein erster und ein zweiter Schreiberling sowie ein erster und ein zweiter Sekretär mit Stehpulten und Holzbalustraden, mit Wichtigkeit und dummen Fragen, mit Borniertheit und unverschämter Arroganz den Weg zu John Deventer verbarrikadierten, das mochte der Teufel wissen.
Von jedem dieser gottähnlichen Wesen führte eine Tür weiter zum nächsten, noch gottähnlicheren Wesen. So gesehen war es eine Leiter, die ganz unten Schreiberling zwei besetzt hielt, dann folgte Schreiberling eins, die nächste Sprosse verteidigte Sekretär zwei, ihm reihte sich Sekretär eins an – und erst dann, vielleicht, durfte man vor das Angesicht John Deventers treten.
Die beiden Schreiberlinge und die beiden Sekretäre hatten eins gemeinsam: den krummen Rücken – Folge ihrer Haltung vor ihrem Obergott John Deventer. Zeichen ihrer gehobenen Würde trugen im Unterschied zu den beiden Schreiberlingen die beiden Sekretäre, nämlich Perücken. Die Dinger rochen auch nach Staub wie alles, was sich im Dunstkreis dieser vier gottähnlichen Wesen bewegte.
Als die Gefechte gegen die Armada begonnen hatten und nahezu der größte Teil der englischen Schiffe hier in Plymouth stationiert gewesen war, da waren es der Lordadmiral persönlich und Admiral Hawkins, der Baumeister der Royal Navy, gewesen, die das Arsenal des John Deventer auf Trab und in Schwung gebracht hatten. Da hatten tagtäglich und Woche für Woche die Schiffe, die draußen ihren Wachdienst versehen hatten und dann wieder eingelaufen waren, im Arsenal ihren Nachschub ergänzt, und das hatte geklappt.
Aber die Schlacht war geschlagen, und der Lordadmiral und Admiral Hawkins weilten längst wieder in London. Und das Arsenal regierte wieder John Deventer, Made im Speck, obgleich er rein äußerlich eher einem trägen, vollgefressenen Frosch ähnelte.
Er stand nicht hinter einem Stehpult wie Sekretäre und Schreiberlinge – o nein! Er hockte hinter einem Monstrum von Tisch, wie er in den Refektorien der Klöster üblich war, hatte vor sich Folianten wie eine Art Brustwehr aufgebaut und schwang nicht etwa einen Federkiel, sondern war damit beschäftigt, sein Office mittels Tonpfeife und Tabak in eine Nebellandschaft zu verwandeln.
„Haben wir nicht“, sagte er zur Begrüßung, ohne daß Hasard oder Jean Ribault bereits etwas geäußert hatten. „Kahlschlag. Nichts geht mehr. Sie dürfen die Tür wieder von draußen schließen.“
Hasard knallte sie zu – nicht von draußen, von drinnen. Dann wedelte er sich mit Jean Ribault durch die Nebelwolken zu dem Refektoriumstisch vor.
„Was haben Sie nicht?“ knurrte er den paffenden Fettsack an.
Der Dicke glotzte zu ihm hoch, seufzte, qualmte, schüttelte den Kopf und sagte: „Nichts mehr vorrätig, alles weg, kein Nachschub. In den Lagerhallen und Schuppen, Gewölben und Speichern gähnende Leere.“ Das letztere gefiel ihm besonders gut, und er wiederholte akzentuiert: „Gäh-nen-de Lee-re!“
„Tabak haben Sie noch, wie?“ fragte Jean Ribault höflich.
„Die letzte Pfeife.“ Der Dicke seufzte wieder und sah aus, als habe er vor, gleich zu weinen. Seine Augen tränten bereits. Aber das war wegen des Tabakrauchs.
Hasard hätte den Kerl erwürgen können. Er zog den Kaperbrief Ihrer Majestät aus dem Wams und klatschte ihn vor dem Dicken auf den Monstertisch.
„Lesen Sie!“ befahl er schroff.
Der Dicke glättete das Pergament, nuckelte an der Tonpfeife, las, wiegte den Kopf, nickte, seufzte und sprach mit sich selbst. Viel war das nicht.
„Soso“, sagte er. Und: „Hm-hm.“ Und: „Ja, ja.“ Und wieder: „Soso.“ Dann folgte: „Fein-fein.“ Er las den ganzen Kaperbrief von oben bis unten, dann noch einmal quer, und als er ihn von unten nach oben lesen wollte, nahm Hasard ihm das Pergament wieder weg.
„Jetzt reicht’s“, sagte er. „Wir haben die Absicht, in den nächsten Tagen in die Karibik auszulaufen und daher keine Lust, noch nächste Woche Ihre Sprüche über gähnende Leere zu hören. Wir müssen ausrüsten, und Sie werden sich verdammt in Bewegung setzen, um das heranzuschaffen, was Kapitän Ribault und ich in unseren Listen aufgeführt haben. Hier sind sie!“ Hasard legte seine und Jean Ribaults Anforderungsliste dem Dicken vor den Bauch.
Der begann von neuem zu lesen, zu schnaufen, zu seufzen und den Kopf zu schütteln. Dann kicherte er hysterisch und deutete mit dem tönernen Pfeifenstiel auf einen Posten in Hasards Liste.
„Zwanzig Ballen Segeltuch!“ Er pumpte sich auf wie ein Ochsenfrosch. „Sind Sie verrückt, Kapitän Killigrew? Die kann ich mir doch nicht aus den Rippen schneiden! Und das Tauwerk erst! Soll ich mir das aus den Ohren spinnen …“
„Mir egal!“ fauchte Hasard. „Ob aus den Rippen schneiden oder aus den Ohren spinnen – wenden Sie sich an Ihre Lieferanten, und setzen Sie Druck dahinter. Falls Sie sich überfordert fühlen, werde ich mich nicht scheuen, bei Ihrer Majestät um Ihre Ablösung zu bitten. Laut Kaperbrief unserer Königin sind Sie verpflichtet, mir jedwede Hilfe zu leisten. Oder meinen Sie vielleicht, ich segele wie ein Hungerleider in die Karibik – mit Palmenblättern als Segeltuchersatz und Lianen anstelle von Schoten, Brassen und Fallen?“
„Ich hab aber doch nichts!“ jammerte der Dicke. „Und wenn Sie mich vierteilen, teeren und federn.“
„Gar nicht mal so eine schlechte Idee“, murmelte Jean Ribault und fixierte den Dicken, als prüfe er, an welchen Stellen die Vierteilung am besten vorgenommen werden könne.
„Eine ausgezeichnete Idee“, meinte auch Hasard.
Jetzt wurde der Dicke doch etwas kribbelig. Im übrigen hatte er genug vom Seewolf gehört. Und der Franzose sollte ebenfalls eine ziemlich scharfe Nummer sein.
„Lassen Sie doch Ihre dummen Witze, Gentlemen“, sagte er pikiert. „Admiral Drake war gestern hier und legte mir genau wie Sie eine Anforderungsliste vor …“
„Neue Beiboote, wie?“ fragte Hasard höhnisch.
„Ja, die waren auch darunter.“ Der Dicke zuckte zusammen und starrte zu Hasard hoch. „Stimmt das, daß Ihre Männer diese Beiboote in der Mill Bay versenkt haben?“
Hasard zuckte mit den Schultern. „Die Leute reden viel. Haben Sie denn Drake mit Beibooten ausrüsten können?“
„Nein.“
„Und das hat er sich gefallen lassen?“
„Getobt hat er“, erwiderte der Dikke seufzend. „Aber was soll ich tun? Seit den Armadakämpfen sind meine Lager geplündert. Ich weiß gar nicht, warum ich hier noch sitze.“
„Das frag ich mich auch“, sagte Jean Ribault und grinste anzüglich. „Schließen Sie doch Ihren Saftladen, Mister Deventer.“
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