Impressum
© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-289-6
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
Kapitel 11.
Der bullige Carberry blieb stehen, wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte sich fluchend um. Er hatte das Gefühl, daß der Schweiß auch in seinen langschäftigen Stiefeln stand – mit einer Pegelhöhe bis ans Knie.
Die Maultierkolonne zog an ihm vorbei – Maultiere! Allein diese Biester waren schon ein Alptraum für sich, Mißgeburten mit tückischen Augen, gelben Zähnen und staubgepudertem Fell.
Eins schielte ihn an, während es an ihm vorbeitrottete. Es stülpte die Oberlippe hoch und sah aus, als überlege es, ob es nach ihm schnappen solle.
„Kusch dich“, sagte Ed Carberry wütend.
Das Maultier schien zu grinsen und entließ eine Blähung.
Smoky, der hinter Carberry gegangen war und aufgeschlossen hatte, blieb stirnrunzelnd stehen.
„Mann, mußt du mir das Ding direkt vor die Nase setzen?“
„Was für’n Ding?“
„Du hast doch eben eine Breitseite abgefeuert, ich riech’s doch.“ Smoky schnüffelte angewidert.
„Ich?“ sagte Ed Carberry empört. „Ich doch nicht, das war dieser Mistbock da, der unsere Drehbasse trägt.“
„So?“ Der Ton in Smokys Stimme brachte Carberry in Wallung.
„Glaubst du mir etwa nicht?“
Bevor Smoky darauf etwas erwidern konnte, war auch Stenmark, der Schwede, heran und sagte: „Was stinkt hier denn so?“
Smoky grinste. „Das mußt du Ed mal fragen, Sten.“
Stenmark grinste auch und sagte: „Hab ich mir doch gleich gedacht, so ein Ding kann nur ein Profos abblasen.“
„Verflucht, ich hab kein Ding abgeblasen!“ schrie Carberry. „Mir ist viel zu heiß, um einen Furz zu lassen!“
Drüben auf der anderen Seite der Maultierkolonne tauchte aus dem aufsteigenden Staub die hohe, breitschultrige Gestalt des Seewolfs auf.
„Habt ihr Pause?“ rief er scharf.
„Nein“, grollte Edwin Carberry und setzte sich wieder in Bewegung. Jetzt mußte er ein ganzes Stück aufholen.
Was für ein Leben!
Da zogen siebenundzwanzig Männer, ein Indio, fünfunddreißig Maultiere und ein Schimpanse namens Arwenack ostwärts durch die Cordillera de Choco im westlichen Kolumbien einem Ziel entgegen, das der Teufelsbraten Philip Hasard Killigrew, den sie den Seewolf nannten, ausgeheckt hatte.
Carberry, einstiger Profos von Kapitän Drake, hatte schon allerlei erlebt und war der Ansicht gewesen, daß ihn nichts mehr erschüttern könne, aber dieses verrückte Abenteuer setzte allem die Krone auf.
Die erste Etappe ihres großen Ziels hatten sie erreicht: die herrliche „Isabella III.“ zu entladen und zu versenken, ihre Schätze, Proviant, Waffen und Munition sowie Werkzeuge auf die verdammten Maultiere zu verladen und von Baudo loszuziehen, um den Rio Atrato zu erreichen.
Denn dieser Fluß sollte sie zum Golf von Darien bringen – zur Karibik, wo der Seewolf – typisch für ihn – ein Schiff der Dons zu klauen gedachte, um dann über den Atlantik nach England durchzubrechen.
Aber noch hatten sie den Rio Atrato nicht erreicht. Noch mußten sie in Staub und Hitze neben den tückischen Mißgeburten hermarschieren, bis ihnen das Wasser im Hintern kochte. Marschieren – wie gemeines Fußvolk! Meile um Meile, selbst wie die Maulesel bepackt, schwitzend, verdreckt, mit schmerzenden Füßen.
O Mann! Da war die See doch was anderes. Staub gab’s da nicht, nur klare, saubere Luft, ah, und Wind! Herrlichen, brausenden Wind, der Gischtschleier über das Schiff wehte, der die Segel wie riesige Frauenbrüste wölbte, der das Schiff zum Sturmlauf trieb und durchs Wasser jagte ...
Carberry hörte das Knarren der Takelage, das Ächzen und Stöhnen von Tauen und Spieren, das Pfeifen der Wanten und Stage, das Rauschen der Bugsee, das Gurgeln und Schmatzen der Wellen längs der Bordwand ...
Der eiserne Carberry träumte von der See, die er sonst verfluchte, wie von einer Geliebten, die er nie wiedersehen würde. Er wurde geradezu sentimental, dieser Brocken von Mann mit dem trotzigen Rammkinn und dem zernarbten Gesicht.
Er drehte sich zu Smoky um, der hinter ihm herkeuchte, und sagte: „Scheiße, was?“
Smoky blickte ihn irritiert an. „Was soll Scheiße sein?“
„Daß wir nicht mehr zur See fahren.“
Smokys Miene wurde mißtrauisch. Was war denn mit dem los? Nicht mehr zur See fahren? So ein Stuß! Na gut, sie hatten die alte „Isabella“ zu den Fischen geschickt, aber sie würden sich eine neue holen und dem Teufel noch mehr Ohren absegeln, das stand mal fest.
Er sagte: „Du spinnst wohl?“
Carberry knurrte etwas Unverständliches und schaute nach links. Er befand sich wieder in gleicher Höhe mit dem Satansvieh, das die Drehbasse schleppte. Ferris Tucker hatte dafür ein Tragegestell gebaut. Rechts hing das schwere Rohr, links befanden sich zwei Munitionskisten. Zwischen ihnen ruhte in einer Halterung die drehbare Lafette.
Der alte Ferris war ein technischer Zauberer. Auch die anderen Tragegestelle hatte er entworfen und nach seinen Anweisungen bauen lassen. Und wenn der Seewolf gesagt hätte, Ferris Tucker solle aus einem Bugspriet eine Kutsche bauen, dann hätte er auch das fertiggebracht.
Ferris Tucker marschierte mit dem Seewolf am Schluß der langen Kolonne, die von Batuti, dem riesigen Gambia-Neger, und Jesusito, dem Indio, angeführt wurde. Dieser Indio war nicht mit Gold aufzuwiegen. Der Padre von Baudo hatte ihn dem Seewolf als Führer empfohlen, und Jesusito war stolz darüber, daß er den Engländern helfen durfte, jenen Männern, die den Spaniern bereits die Zähne gezeigt hatten und wie die Teufel zu kämpfen verstanden.
Jesusito kannte den Rio Atrato, und er würde bis zum Golf von Uraba, in den der Fluß mündete, bei den Engländern bleiben und dafür verantwortlich sein, daß sie den Golf sicher erreichten. Das war er ihnen schuldig – jetzt noch mehr, nachdem sie dafür gesorgt hatten, daß der Schinder Juan Fierro, der Indio-Schlächter, wie er genannt wurde, zur Hölle gefahren war.
Jesusito führte die Maultierkolonne durch das Hügelland, das von der Sonne verbrannt war. Erst am Rio Atrato würde die Vegetation wieder üppiger sein, ähnlich wie bei dem großen Strom noch weiter östlich, den die Spanier Rio Magdalena nannten.
Es war jetzt Nachmittag. Jesusito rechnete damit, Quibdo am Abend zu erreichen. Quibdo lag am Zusammenfluß von Atrato und Adagueda. Dort, so hoffte Jesusito, Boote für die Flußfahrt abwärts bei befreundeten Indios besorgen zu können.
Auch Quibdo hatte eine kleine spanische Garnison mit einem Teniente und etwa fünfundzwanzig Soldaten. Der Teniente Gaspar de Castelar war ein junger Gockel und Schürzenjäger, der hinter hübschen Indiomädchen wie der Teufel hinter der armen Seele her war und schon so mancher ein Kind gemacht hatte. Aber dem grausamen und blutrünstigen Juan Fierro, dem er unterstellt war, konnte er nicht das Wasser reichen. Die Leute in Quibdo hatten es besser als die in Baudo. Aber jetzt war Juan Fierro im Jenseits, und die Leute von Baudo, vor allem der gütige Padre, konnten aufatmen – falls kein neuer Tyrann erschien.
Batuti und Jesusito zuckten fast gleichzeitig zusammen, als sie mit der Spitze der Kolonne einen Hügel umrundet hatten und jetzt das Maultier sahen. Es knabberte an einem vertrockneten Strauch, unter dem ein Stiefelpaar und zwei schmutzige Hosen hervorragten.
Batuti stoppte das Lasttier und hob die Hand zum Halten.
Jesusito war mit ein paar lautlosen Sätzen an dem Strauch und warf sich über den Mann, der sich gerade aufrichten wollte.
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