Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-955-0
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Roy Palmer
Ein böser Fluch bedroht die „Santa Barbara“ – doch die Seewölfe räumen mit dem Spuk auf
Mitten in der Nacht wurde Ton de Wit von einem Geräusch geweckt. Er hob witternd den Kopf und sog prüfend die kühle Luft durch die Nase. Es duftete nach Myrrhe und Feigen. Ein guter Platz zum Verweilen, trocken und friedlich, aromatisch, hatte Branco Fernan gesagt. Er, der selbsternannte Held, Ritter auf einem aussichtslosen Kreuzzug, wählte immer besondere Worte. Manchmal sprach er wie ein Poet .
Der Riese richtete seinen Blick auf den schlafenden Branco Fernan, dann auf Ludmilla, das Mädchen. Schließlich sah er zu Jolante. Da wußte er, um welche Art von Geräusch es sich gehandelt hatte. Jolante scharrte mit dem linkem Vorderhuf auf dem Untergrund .
Kein Grund zur Beunruhigung. Ton de Wit schlummerte wieder ein. Aber die Gefahr war da. Sie hockte im Dunkel – sechs Kerle, bewaffnet mit Säbeln und Knüppeln .
Lautlos huschten sie heran. Jolante schnaubte, ihre Nüstern blähten sich. Wieder schreckte Ton de Wit hoch – zu spät. Die Kerle fielen über ihn her und droschen mit ihren Knüppeln auf ihn ein. Stöhnend sackte der Riese zusammen .
Die Hauptpersonen des Romans:
Branco Fernan– Er will nach wie vor Heiden bekehren, gerät aber mit seinem Diener Ton de Wit und der leichtsinnigen Ludmilla in die Gewalt einer fanatischen Sekte.
Yüksel– Ein schlitzohriges Kerlchen, das den Seewölfen Raki und Wein verkauft und nach Assur lotst.
Jabal Schammar– Er nennt sich „der Erleuchtete“ und fühlt sich als Allahs Vertreter auf Erden. Außerdem haßt er alle Fremden und trachtet danach, sie seiner Gottheit zu opfern.
Batuti– Der schwarze Riese aus der Crew der Arwenacks fällt den Kerlen des Jabal Schammar in die Hände, und es steht nicht gut für ihn.
Philip Hasard Killigrew– Der Seewolf setzt alles daran, um Batuti zu befreien.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Ton de Wit hatte es in seinem Leben mit Gegnern aufgenommen, die ihm zahlenmäßig weit überlegen waren. Aber in dieser Nacht hatten die Gegner das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Bevor der Riese reagieren konnte, hatten sie ihn bewußtlos geschlagen.
Branco Fernan war der nächste, der aus dem Schlaf hochschreckte. Das hatte seinen guten Grund: Jolante wieherte entsetzt und bäumte sich auf. Branco Fernan bewegte seine steifen Gliedmaßen. Die Rüstung klapperte und schepperte. Er versuchte, sich aufzurappeln, aber es gelang ihm nicht. Nur das Visier knallte wie üblich zu.
Die Gegner waren bei ihm, umringten ihn und lachten roh. Ihre Knüppel sausten auf den Helm und auf die Rüstung, daß es nur so krachte. Es dauerte nicht lange, und Branco Fernan war derart benommen, daß er auf dem Boden liegenblieb – unfähig, auch nur einen Versuch der Gegenwehr zu unternehmen.
Jetzt wandten sich die Angreifer dem Mädchen zu. Aber Ludmilla reagierte. Gerade noch rechtzeitig genug war sie aufgewacht und erfaßte die Situation mit einem Blick. Sie konnte nichts mehr tun, um ihre beiden Freunde zu retten. Sie waren verloren. Ihre einzige Chance lag in der Flucht – zu Fuß. Einer der Kerle sprang zu dem Pferd und hielt es an den Zügeln fest.
Ludmilla kroch ein Stück davon, dann richtete sie sich auf und begann zu laufen, als hätte sie den Teufel im Nacken sitzen.
Die Kerle quittierten ihre Flucht mit Fluchen und Zischen. Ludmilla verstand zwar die Sprache dieses seltsamen Landes nicht, aber sie könnte dem Tonfall genug entnehmen. Die Angreifer hatten bemerkt, daß sie entwischt war. Jetzt nahmen sie die Verfolgung auf.
Das blonde Mädchen keuchte vor Angst. Wieder einmal verfluchte sie den Tag, an dem sie sich mit diesen beiden Verrückten zusammengetan hatte. Branco Fernan hatte ihr geholfen, das war richtig, aber es wäre wohl doch besser für sie gewesen, wenn sie daheim in Holland geblieben wäre. Natürlich wäre sie heute eine Hure. Aber war das so schlimm?
Wahnsinn, alles Wahnsinn, dachte sie, während sie flüchtete. Branco Fernan wollte die Muselmanen des Morgenlandes zum Christentum bekehren. Aber wie? Er hatte nicht mal ein Dutzend Leute, nur seinen Klepper und den Riesen, der zwar zuhauen konnte wie ein Berserker, aber eben doch nicht gegen sämtliche Araber der Welt.
Zur Hölle mit Branco Fernan! Immer trug er nur seine verdammte Rüstung, und jetzt war sie ihm zum Verhängnis geworden. Der Teufel sollte ihn holen! Ludmilla hatte irgendwie geahnt, daß es irgendwann übel ausgehen würde. Deshalb hatte sie auch ein paarmal zu fliehen versucht. Die beiden Männer hatten sie aber stets wiedergefunden und zurück in ihr Lager geholt.
Allerdings hatten sie das Mädchen dadurch auch vor einem schlimmen Los bewahrt. Vor kurzem war Ludmilla brutalen Flußräubern in die Hände gefallen, die sie vergewaltigen wollten. Im buchstäblich letzten Augenblick hatten Branco Fernan und Ton de Wit eingegriffen – sonst wäre es um sie geschehen gewesen, und die Flußbanditen hätten sie übel zugerichtet.
Aber Ludmilla verdammte Branco Fernan und dessen selbstgesetzten Auftrag dennoch. Immer wieder geriet das Trio deshalb in Teufels Küche. Und überhaupt, was hatte sie mit der Taufe dieser Heiden zu tun? Sollten diese Kümmeltürken doch glauben, an was sie wollten!
Ludmilla lief, so schnell sie konnte, zum Ufer des Tigris. Hier hoffte sie, sich im Dickicht zu verstecken. Aber die Verfolger waren schon dicht hinter ihr. Sie hörte das Trappeln ihrer Füße, das Keuchen ihres Atems. Ludmilla hatte keine Chance – sie konnte sich nicht mehr vor ihnen verbergen.
Beherzt sprang sie ins Schilf und warf sich ins Wasser. Sie flehte zum Himmel, daß es ihr doch noch gelingen möge, zu entkommen. Sie schluchzte. Ein Klatscher ertönte, sie tauchte unter und schwamm ein Stück unter Wasser. Dann hob sie den Kopf über die Wasseroberfläche. Hinter sich hörte sie ein Schnaufen. Sie warf einen Blick über die Schulter zurück – und schrie auf.
Zwei der Kerle waren ihr nachgesprungen und schwammen hinter ihr her. Sie hatten sich Messer zwischen die Zähne geklemmt. Ludmilla spürte, wie ihr Herz dröhnend zu schlagen begann. Ein würgendes Gefühl war in ihrem Hals und schnürte ihr die Luft ab. Sie verlor die Kontrolle über ihre Bewegungen. Ihre Angst schlug in offene Panik um.
Sie tauchte unter und schluckte Wasser. Plötzlich hatten die Kerle sie erreicht und griffen nach ihr. Ludmilla strampelte mit den Beinen und schlug um sich. Sie kratzte und biß, aber es nutzte ihr nichts: die Kerle zerrten sie zu sich heran.
Ludmilla riß den Mund unwillkürlich weit auf – und ein Schwall Wasser drang ein. Lieber ertrinken, dachte sie noch. Dann schwanden ihr die Sinne, und gnädige Ohnmacht entführte sie.
Ludmilla schlug langsam die Augen auf. Es fiel ihr schwer, zu begreifen, wo sie war und was vorging. War dies nun das Jenseits? Der Himmel? Sie lag in einem warmen Raum. Fackeln brannten. Sie steckten in schweren Eisenhaltern, die in die Wand gemauert waren.
Ludmilla lag auf Steinplatten. Erst jetzt, als sie an sich hinunterschaute, stellte sie fest, daß man ihr die Kleider genommen hatte.
Schritte näherten sich schlurfend. Eine Steintür wurde aufgestoßen. Ludmilla sah mit vor Entsetzen geweiteten Augen, wie eine vermummte Gestalt eintrat. Sie trug ein sackähnliches Gewand, dessen Saum bis auf den Boden reichte, und eine graue Kapuze auf dem Kopf.
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