Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-771-6
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Roy Palmer
Das Silber des Teufels
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Hector, der Schlagetot aus der Bande des Catalina, war ein über sechs Fuß großer Kerl mit gewaltigen Muskelpaketen, ausladenden Schultern und riesigen Fäusten. Sein schwarzes Bartgestrüpp wucherte wild und unkontrolliert bis auf die Brust hinunter. Zusammen mit dem zerzausten und strähnigen Haupthaar und den buschigen Augenbrauen wirkte seine Physiognomie drohend und furchteinflößend, schlimmer noch als die jedes Kannibalen aus den Urwäldern des Amazonas.
Den Wolfs- und Höhlenmenschen sah jeder in diesem Hector verkörpert. Grauen und Unheil gingen von diesem wandelnden Ungeheuer aus, dessen rechtes Auge obendrein durch einen Messerstich verwüstet war. Blind war der Pirat auf diesem Auge, aber mit dem anderen sah er um so besser, und nichts konnte seiner lauernden Aufmerksamkeit entgehen. Er tötete bedenkenlos mit der Pistole, mit dem Messer oder mit den bloßen Fäusten, um in den Besitz von Beute zu gelangen.
Ihm zur Seite stand Ubaldo. Ubaldo war ebenso groß wie Hector, und seine immensen Körperkräfte hatten ihm den Beinamen „Knochenbrecher“ eingebracht. Das war keine Übertreibung: Durch eine simple Umarmung vermochte Ubaldo jeden Mann zu zerquetschen. Er unterschied sich von seinem Kumpan äußerlich durch den lichten Haarwuchs – nur ein Kranz von Haaren umschloß seinen Hinterkopf –, die zahlreichen Messernarben im Gesicht, das gebrochene Nasenbein, zwei gesunde graue Augen und das rote Hemd, das er im Gegensatz zu dem halbnackten Hector zu seiner zerschlissenen Hose trug.
Innerlich verband die Kerle der Pakt der Gier und Raffsucht, sonst aber gar nichts. Keine einfache Form der Halunkenehre bestand zwischen ihnen. Jeder dachte nur an seinen persönlichen Vorteil. Dies galt auch für den dritten Spießgesellen, ein Halbblut namens Saint-Laurent.
Saint-Laurent war hager und knochig, doch das täuschte leicht über die enorme Kraft, über die auch er verfügte. Er war nicht minder gefährlich als Hector und Ubaldo und hatte ein totenkopfgleiches Gesicht sowie lange Arme und Bewegungen, denen etwas Raubtierhaftes anhaftete. Er behauptete, der Sohn eines Kreolen und einer spanischen Hure zu sein, aber niemand wußte, ob das stimmte. Nur eines war sicher: Er wurde fuchsteufelswild, wenn man ihn einen Bastard nannte. Dann griff er sofort zum Messer.
Am 17. März 1594 tötete Hector in einer Hütte bei Caibarién mit einem Messerwurf Gros Piton, den Glatzkopf. Gros Piton versuchte sich zwar zu wehren, als er sich der Gefahr bewußt wurde, doch zwei Umstände waren gegen ihn: Zum einen war er durch die Hure Mariana abgelenkt, mit der er sich in die Hütte zurückgezogen hatte und gerade beschäftigte. Der zweite negative Punkt war, daß er gleich drei Kerle gegen sich hatte: Hector, Ubaldo und Saint-Laurent.
Ubaldo und Saint-Laurent griffen Gros Piton blitzschnell, kaum daß sie in die Hütte eingedrungen waren. Mariana versuchte zu fliehen, aber Hector packte sie und schleuderte sie zu Boden, wo sie wimmernd liegenblieb.
Dann sauste das Messer, von Hector geschleudert, durch die Luft und grub sich in Gros Pitons Brust. Gros Piton brach sofort zusammen.
Ubaldo und Saint-Laurent ließen ihn neben der Lagerstatt liegen. Sie durchsuchten ihn und förderten eine ansehnliche Anzahl von Münzen zutage. Schnell teilten die drei das Geld untereinander auf.
Dann fragte Saint-Laurent: „Was tun wir mit ihr?“ Er blickte zu Mariana, deren große Brüste sich bei jedem Atemzug heftig hoben und senkten.
„Besorg’s ihr“, sagte Hector. „Wir können keine Zeugen brauchen.“
„Nein, nein“, stammelte die Frau.
Ubaldo trat mit dem Messer in der Hand auf sie zu. „Schrei nicht! Sonst bist du gleich dran.“
„Ich kann nichts dafür!“ stieß sie hervor. Sie war üppig gebaut und hatte lange, leicht gelockte schwarze Haare, die ihr bis auf die Schultern fielen. Eine Augenweide für jeden Kerl, daß sie aber auch ein ausgekochtes, skrupelloses Luder war, ahnten die drei nicht: „Ich wußte nicht, daß ihr hinter ihm her wart! Das müßt ihr mir glauben, es ist die Wahrheit!“
„So?“ Ubaldo grinste und sah zu seinen Kumpanen. Eigentlich war es ein Jammer, die Frau zu töten, ohne sich vorher ein bißchen mit ihr zu vergnügen. „Was hättest du denn getan, wenn du es gewußt hättest?“
„Ich hätte ihn an euch ausgeliefert.“
„Aus reiner Ehrlichkeit?“
Mariana schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. So ein Ammenmärchen brauche ich euch wohl nicht erst aufzubinden. Ich hätte aus Eigennutz gehandelt. Ihr seid zu dritt, und ihr gefällt mir besser als er.“ Anerkennend musterte sie die drei Kerle. Sie wußte jetzt, daß man sie doch nicht umbringen würde.
„Gros Piton gehörte zu uns“, sagte Hector mit dunkler, schleppender Stimme. „Aber er hat einen Fehler begangen. Er hat versucht, uns ’reinzulegen. Das haben schon mal zwei andere tun wollen. Auch sie haben dafür bezahlt.“
Das war auf einer der westlichen Inseln der Sabana-Gruppe geschehen, also gar nicht weit von Havanna entfernt. Hector, Ubaldo, Saint-Laurent und Gros Piton waren als Bewacher der Silberbarren im Schlupfwinkel ihrer Bande zurückgeblieben, zusammen mit zwei anderen Kerlen. Als Catalina und die Bande nicht mehr aus Havanna zurückkehrten, beschlossen Hector und die drei anderen, mit den Silberbarren zu türmen. Die beiden Kumpane waren damit nicht einverstanden. Sie wollten Catalina nicht hintergehen und waren auch nicht bereit, zu desertieren.
Hector und seine drei Genossen brachten die beiden daraufhin nach einem kurzen Handgemenge um und setzten sich mit der zweimastigen Schaluppe ab, an Bord das Silber. In Caibarién sollte wenigstens ein Teil der Beute in klingende Münze umgesetzt werden, denn mit reinem Silber konnte man weder Wein und Rum noch Huren bezahlen.
Hector, Ubaldo und Saint-Laurent schickten Gros Piton los. Er sollte zehn Barren verkaufen. Tatsächlich gelang es ihm, sie in der Kneipe „Consolación“ bei dem grinsenden Riesen Domingo loszuwerden. Aber vergebens warteten die drei Kumpane auf seine Rückkehr.
Hector ließ Mariana nicht aus dem Auge, er wollte sehen, wie sie auf seine Worte reagierte. „Statt von der Kaschemme zu uns zurückzukehren, ist er mit dir losgezogen, um sich hier mit dir zu vergnügen. Das hat uns nicht gepaßt. Hast du ihn dazu überredet?“
„Nein. Er hat mich gekapert und wollte mich unbedingt abschleppen.“ Das war eine Lüge. Mariana hatte beobachtet, wie Gros Piton die Silberbarren unter dem Tisch an Domingo verkauft hatte. Daraufhin hatte sie sich an ihn herangepirscht, mit ihm Wein getrunken und ihn davon überzeugt, daß die Welt ohne seine drei Spießgesellen viel schöner und unterhaltsamer war. Als er bereits ziemlich angetrunken gewesen war, hatte sie ihn mit sich in die Hütte gelockt.
Domingo hatte davon aber nichts verlauten lassen, um sie nicht unnötig zu gefährden. So nahmen die drei Piraten ihr jetzt ab, was sie sagte.
„Gros Piton war ein blöder Hund“, sagte Saint-Laurent. „Es ist nicht schade um ihn.“ Er grinste sie auffordernd an. „Also los, Mariana, wenn wir dir so gut gefallen, wie du sagst, kannst du es uns beweisen. Zeig her, was du zu bieten hast.“
Hector hielt ihn zurück. „Nicht hier. Es ist besser, jetzt zu verschwinden – ehe jemand aufkreuzt und den Toten entdeckt.“
„Lassen wir die Leiche verschwinden“, sagte Saint-Laurent.
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