Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-697-9
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Eine Schiffstaufe in Plymouth war nun nicht gerade ungewöhnlich. Zumeist liefen auch nur kleinere Schiffe vom Stapel, und ein paar Neugierige fanden sich dann ein.
Heute war in Plymouth wieder Schiffstaufe, und das hatte sich überall herumgesprochen.
Heute lief auch kein Austernfischer vom Stapel, heute ging ein Neubau zu Wasser, der die Neugierigen scharenweise anlockte und auch die Honoratioren der Stadt nicht ausschloß, die sich in Rame Head, auf der Werft des Schiffsbaumeisters Hesekiel Ramsgate einfanden.
Obwohl der Wind unangenehm kühl durch den Plymouth Sound pfiff und kleine Wellenberge vor sich herschob, störte sich niemand daran. Zu dieser Dezemberzeit waren die Bürger von Plymouth ohnehin warm angezogen und eingepackt.
Unter den Neugierigen fiel ein Mann besonders auf, der sich heute zu Ehren des Stapellaufes schicklich angezogen hatte. Er trug schwarze Hosen, darunter schwarze Stiefel, dann ein dunkles Wams und einen ebenso dunklen Flattermantel. Eine dunkellockige Perücke krönte die Gestalt des Mannes.
Was unter der Perücke war, paßte nun wiederum absolut nicht zu der feierlichen Kleidung, denn da war ein breit aufgequollenes Säufergesicht mit wäßrigen Äuglein, die fast in den Fettpolstern der Wangen verschwanden, zu sehen.
Auf den ersten Blick drückte das feiste Gesicht Schlitzohrigkeit aus, auf den zweiten Blick wußte man, daß man einen Gauner vor sich hatte, und wer noch einen dritten Blick in das Gesicht riskierte, der merkte, daß hier ein Schnapphahn und Beutelschneider stand, den nicht nur die Neugier hertrieb. Ein wenig schon, aber es gab etwas zu spionieren, zu hören und zu sehen, und deshalb mußte man immer und überall dabei sein.
Nathaniel Plymson, der dicke Wirt der „Bloody Mary“ blickte also auf das, was sich in einiger Entfernung vor ihm tat, und sein Blick saugte sich an dem Schiff fest, das jetzt in sein feuchtes Element gleiten sollte, nämlich das Schiff des Seewolfs, Sir Philip Hasard Killigrew, und seiner rauhbeinigen Männern.
So ein Schiff war in Plymouth noch nie vom Stapel gelaufen. Es war sozusagen eine persönliche Sonderanfertigung, ein kleines Wunder, das nur einer konstruieren konnte, der viel moderner und weiter dachte als all die anderen, und das war Hesekiel Ramsgate, der nun ganz vorn am Bug des großen Schiffes stand neben den vielen anderen.
Die Leute drängten und schoben, sie stießen um sich, um einen besseren Platz zu ergattern, denn jeder wollte nicht nur das Schiff ansehen, sondern auch einen halb furchtsamen Blick auf jene Männer werfen, die schon längst in Plymouth und anderswo zur Legende geworden waren.
Die Namen dieser Männer waren zwar ständig in aller Munde, doch sie persönlich zu sehen, war eine andere Sache. Jetzt sahen sie sie, und so manch braves Eheweib verglich unwillkürlich ihren angetrauten Mikkerling mit dem schwarzhaarigen Riesen, dessen weiße Zähne blitzten, und der die meisten anderen um Haupteslänge überragte.
Da drang ein Seufzen über die Lippen der braven Eheweiber, und sie spürten erschauernd den Hauch der weiten Welt, das Odeur der Ferne, die Abenteuer und Lebenslust versprach.
Da seufzte vor Plymson schon wieder so eine Ärmste, deren mickriges Männchen tagaus tagein Bretter für Särge hobelte, und das jetzt an einen alten verdorrten Greis erinnerte, während es in Wirklichkeit noch drei Jahre jünger als dieser Killigrew war.
Hoch oben auf dem Bug des neuen Schiffes standen ein Dutzend Seewölfe an Deck. Unter ihnen drei wahre Riesen. Ein Rothaariger, ein Graubärtiger und ein Monstrum von Kerl mit ungewöhnlich breitem Kreuz und wüstem, zernarbten Gesicht. Das war der Profos und Zuchtmeister Edwin Carberry, der auf einen ebenso riesigen aber dunkelhäutigen Mann hinunterblickte und ihm etwas zurief.
Nathaniel Plymson drängte sich weiter durch die erwartungsvolle Menge, damit ihm ja nichts entging.
Die seltsamste Gestalt aber stand neben einem der vier riesigen Bierfässer, von denen jedes fünfzig englische Gallonen faßte. Dieses Bier, das später an alle Zuschauer ausgeschenkt werden sollte, hatten die Seewölfe bei Plymson gekauft, bei ihrem „Guten Freund Plymmie“, wie sie ihn nannten, und darüber war er direkt gerührt. Mochten diese rauhbeinigen Burschen seine Kneipe auch ständig in Trümmer legen, was das Bezahlen betraf, da waren sie jedenfalls nicht kleinlich, denn aus den Trümmern entstand jedesmal wie Phönix aus der Asche eine neue Kneipe, die immer so lange hielt, wie die Seewölfe nicht in England waren.
Der Mann neben dem Bierfaß zog die Blicke aller magisch an. Er war ebenfalls ein Riese mit rötlichgrauem Bart und graublauen Augen, deren Blicke ruhig über die Menge streiften. Thorfin Njal trug rauchgraue Felle und Riemensandalen. Sein massiger Schädel wurde durch einen Kupferhelm gekrönt, in dem sich hin und wieder die Strahlen der Sonne spiegelten, sobald die Wolken vorüberzogen.
Eins der Bierfässer, das war deutlich zu erkennen, war den Seewölfen und ihren Freunden vorbehalten und dementsprechend markiert. Oben im Faß steckte die mächtige Axt des Schiffszimmermannes Ferris Tucker, eben jenes Hünen, der da so gelassen an Bord des neuen Schiffes stand.
Auch der Degen des Seewolfs Philip Hasard Killigrew, steckte in dem Faß und bildete zusammen mit dem über einen Yard langen „Messerchen“ des Wikingers ein Kreuz.
Im Hintergrund standen die Werftarbeiter bereit. In den Fäusten hielten sie Äxte, Beile und Hämmer.
Während der Seewolf das Auflaufen der Flut beobachtete – denn es war wichtig, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten –, begannen fünf Musikanten aufzuspielen.
Eine allerletzte Kontrolle wurde vorgenommen, veranlaßt durch den Schiffsbaumeister Hesekiel Ramsgate, der die Konstruktionspläne für die neue „Isabella IX.“ entworfen hatte. Die bereitstehenden Arbeiter überprüften noch einmal sorgfältig das Labyrinth aus Hölzern unter dem großen Rumpf des Schiffes, untersuchten die Pallen und Schlittenständer sowie die Stützbalken, die den Stapelschlitten sicherten und nachher losgeschlagen werden sollten.
Es war alles in Ordnung, dem Stapellauf stand nichts mehr im Wege.
Hesekiel Ramsgate hielt mit feierlichem Gesicht eine Ansprache, während die Menge die Hälse reckte und andächtig lauschte. Dann folgte der traditionelle Schlußsatz.
„Ich taufe das Schiff auf den Namen ‚Isabella neun‘. Gott segne es und alle, die auf ihm fahren!“
Der Schiffsbaumeister holte mit der Hand zum Wurf aus. Eine Flasche, gefüllt mit edlem Wein, krachte an den Bug des neuen Schiffes und zersplitterte berstend. Es hörte sich an wie ein Schuß.
Während die Menge applaudierte, gab der Seewolf den Werftarbeitern mit der Hand ein Zeichen.
Hämmer schwangen durch die Luft, kräftige Fäuste schlugen zu. Als die dicken Balken dumpf zu Boden polterten, nahte der kritische Augenblick.
Alles hielt den Atem an, ob sich das neue Schiff auch gehorsam in Bewegung setzen würde, denn es war auf anderen Werften schon oft passiert, daß es sich nicht von der Stelle rührte. Das hätte Unglück für das Schiff und seine Mannschaft bedeutet. Doch die „Isabella IX.“ schien vom Glück begünstigt zu sein.
Der Rumpf erzitterte leicht, ein Beben durchlief ihn. Dann begann er sich langsam in Bewegung zu setzen und glitt auf das Wasser zu.
Die eingefettete Holzrampe begann zu qualmen, als das Schiff, mit der Breitseite voran, darüberrutschte.
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