Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-691-7
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Stoker drehte plötzlich durch.
Er wußte, daß es keinen Sinn hatte, sich gegen die Übermacht von Soldaten aufzulehnen, die seine Kameraden und ihn auf dem winzigen quadratischen Platz von Concarneau umstellt hatten. Es war glatter Selbstmord und widersprach jeder Vernunft, jetzt etwas zu unternehmen. Dennoch spielte Stoker mit einemmal nicht mehr mit. Etwas schien in seinem Geist auszuhaken.
Als ihm zwei der insgesamt achtzig Gegner auf das Kommando des Stadtkommandanten Douglas hin Fesseln anlegen wollten, duckte er sich unversehens und brach zur Seite aus.
Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, nützte es nichts mehr, daß er einen warnenden Laut ausstieß und Stoker durch eine Gebärde aufzuhalten versuchte. Auch Jerry Reeves, der Kapitän der „Fidelity“, vermochte nichts mehr zu tun – es war schon geschehen, Stoker entzog sich seinen Bewachern und versuchte, in eine der angrenzenden Gassen zu fliehen.
Stoker war der Decksälteste der „Fidelity“. Viele Männer, die ihm zum erstenmal begegneten, täuschten sich in ihm und schätzten ihn falsch ein, denn seine Gestalt war gedrungen, seine Arme lang, seine Hände groß und grob und seine Stirn flach und gefurcht. Mit anderen Worten: Seinem Aussehen nach hatte er etwas Affenartiges an sich. Big Old Shane hatte aus diesem Grund auch schon mal behauptet, Stoker sähe Arwenack, dem Schimpansen, ähnlicher als einem richtigen Menschen.
In Wirklichkeit aber gehörte Stoker zu den besten Leuten der Reeves-Crew. Er war keineswegs dumm und einfältig. Er stand in jedem Sturm und in jedem Gefecht seinen Mann, und er war allen ein guter Kamerad, was er nicht zuletzt auch durch sein Verhalten nach dem Zerwürfnis mit Easton Terry bewiesen hatte.
In diesen dramatischen Augenblicken nun, als die Soldaten bereits ihre Musketen hochrissen und auf ihn anlegten, handelte Stoker rein instinktiv und war darauf aus, wenigstens bis zu den Piers von Concarneau zu gelangen, um den Männern an Bord der „Hornet“, der „Fidelity“ und des Schwarzen Seglers etwas zurufen zu können. Irgend jemand mußte sie warnen, sonst erfuhren sie nie, in welche Falle der Seewolf und seine elf Begleiter geraten waren.
Hasard und die anderen waren bereits gefesselt, sie konnten nichts mehr unternehmen. Sie alle hätten durchaus die Verwegenheit gehabt, sich vor die Soldaten zu stellen und sie am Schießen zu hindern, doch sie waren zwischen den Pferden der Gegner eingekeilt und konnten sich nicht vom Fleck rühren.
„Stoker!“ rief Hasard. „Aufpassen!“
Douglas fuhr zu ihm herum und hob drohend die Faust. „Schweig, du Galgenstrick, oder ich stopfe dir eigenhändig das Maul!“
„Wir sprechen uns noch ausführlich“, knurrte der Seewolf, und der Blick, den er dem Stadtkommandanten aus seinen eisblauen Augen zuwarf, verhieß wahrhaftig nichts Gutes.
„Wir sind keine Piraten“, sagte Jean Ribault. „Wie oft soll ich das noch sagen? Sie unterliegen einem peinlichen Mißverständnis, Monsieur.“
„Maul halten!“ zischte René Douglas ihm zu.
Ben Brighton, Big Old Shane, Dan O’Flynn und Ferris Tucker, die neben Hasard standen, hätten sich jetzt gern auf den Mann gestürzt – und auch Jerry Reeves’, Mulligans, Juans und Nils Larsens Mienen war abzulesen, wie sie in diesem Moment dachten. Thorfin Njal hatte den Kopf gesenkt und schoß finstere Blicke auf den Kommandanten ab, die, hätten sie töten können, Douglas auf der Stelle ins Jenseits befördert hätten.
Stoker hetzte weiter, bemerkte jedoch zu spät den Schatten einer Gestalt hinter sich, die seine Verfolgung aufgenommen hatte.
Es war der Lieutenant des Trupps von Soldaten, der dem flüchtenden Decksältesten nachstürzte, jener Mann, der den Trupp aus einer nahen Garnison nach Concarneau geführt hatte. Ihm oblag der eigentliche Befehl über die achtzig Mann, Douglas war nur ein Begleiter. Douglas und Jean-Luc Martier, der Hafenkapitän, hatten einen Boten mit der Bitte um Hilfe geschickt, als sie das Unheil hatten nahen sehen, und der Ruf war erhört worden.
Concarneau war kein sonderlich gut befestigter und bewachter Hafen, auf den Wehrgängen des Kastells gab es lediglich vier Minions, die im Vergleich zu der Armierung der Schiffe eher lächerlich wirkten. So gesehen, hatten Douglas und Martier durchaus richtig gehandelt, als sie sich um Unterstützung bemüht hatten.
Trotzdem verkannten sie die Lage, denn nicht die Männer der drei Schiffe, die dort im Hafen vor Anker lagen, waren die „Piraten“, vor denen sie Angst haben mußten. Die Stadt zitterte vor einem Angriff, die meisten Bürger hatten sich in der Kirche versammelt, um vor einem furchtbaren Schicksal bewahrt zu werden, viele waren auch geflohen, als der Kanonendonner von Mordelles herübergedrungen war. Doch es waren nicht der Seewolf und dessen Kameraden, die der Stadt das große Unglück brachten. Gegen Yves Grammont hätten Douglas und Martier vorgehen müssen, gegen Lucio do Velho und die spanischen Spione, doch das sollte den Franzosen erst aufgehen, als es bereits zu spät war.
Der Lieutenant hechtete vor und brachte Stoker zu Fall. Stoker prallte hart auf die Katzenköpfe der Gasse und stöhnte auf, dann aber drehte er sich trotz der Last des Gegners herum und setzte sich zur Wehr.
Sie balgten sich wie zwei Straßenjungen. Stoker mußte einen Hieb gegen die Brust einstecken, doch dann schlug er zurück und erwischte den Lieutenant am Kinn. Dem Franzosen drohten die Sinne zu schwinden. Schon wollte sich Stoker von ihm befreien, aufspringen und forthetzen, aber da waren zwei, drei andere Uniformierte heran und traten mit ihren Stiefeln auf ihn ein. Stoker brach in den Knien zusammen und schützte seinen Kopf mit den Händen.
„Diese Schweine“, sagte Ben Brighton. „Das werden sie noch bereuen. Drecksäcke!“
„Den Kerl da, den Lieutenant, fordere ich noch zum Duell heraus“, sagte Thorfin Njal mit grollender Stimme. „Mit dem rechne ich ganz groß ab.“
„Nein.“ Hasard schüttelte den Kopf. „Den überläßt du mir.“
„Baxter!“ brüllte Stoker. „Baxter!“
Dies war der Name des Profos’, der während der Abwesenheit von Reeves, Stoker und Mulligan auf der „Fidelity“ das Kommando übernommen hatte. Wie er warteten auch Old O’Flynn von der „Hornet“ und Arne vom Schwarzen Segler auf die Rückkehr des zwölfköpfigen Landtrupps, der eigentlich wieder von sich hatte hören lassen wollen.
Einer der Franzosen drehte seine Muskete um und knallte Stoker den Kolben gegen den Kopf. Stoker fiel bewußtlos auf die Katzenköpfe und regte sich nicht mehr. Der Soldat wollte noch einmal zuschlagen, doch in diesem Moment richtete sich der Lieutenant auf und hob die Hand.
„Das genügt“, sagte er. „Wir brauchen diese Kerle lebend.“
„Sehr richtig“, pflichtete ihm Douglas bei, der jetzt ebenfalls die Gasse betreten hatte. „Wir wollen sie verhören. Möglicherweise haben wir sogar noch irgendwelche Verwendung für sie.“
„Habt ihr das gehört?“ flüsterte Jean Ribault seinen Kameraden zu. „Womöglich legen die uns in Ketten und verfrachten uns in ein Lager, wo wir Zwangsarbeit verrichten müssen.“
„Gibt’s denn so was auch in Frankreich?“ erkundigte sich Juan.
„Natürlich“, erwiderte Jean Ribault. „Denkst du etwa, meine Landsleute sind Engel? Gerade unter Heinrich von Bourbon hat die Verfolgung der Hugenotten wieder stark zugenommen.“
„Wenn Le Testu jetzt hier wäre“, sagte Ferris Tucker. „Dann würden die Franzmänner vielleicht was zu hören kriegen.“
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