Davis J. Harbord
Im Mississippi-Delta
Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-743-3
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Lake Pontchartrain, Mitte September 1593.
Über die Weite des Sees, an dem weiter unten im Süden, etwa fünf Meilen entfernt, der „missi sepe“, das „große Wasser“, vorbeifloß, zogen die Nebelschwaden. Gerade noch hatten Schüsse über den See gedröhnt, auch der Donner von Kanonen war über das Wasser gerollt, und zwischen dem Dröhnen und Donnern waren die gellenden Stimmen der Kämpfenden, ihr wütendes Gebrüll oder die Aufschreie der Verwundeten zu hören gewesen.
Die Stille, die dann plötzlich, fast von einer Minute auf die andere einkehrte, war fast beängstigend – denn der Kampf war entschieden.
Die nach Nordosten ziehenden Nebelschwaden, die sich zwischen den Sümpfen am Rande des riesigen Sees noch einmal stauten, gaben den Blick frei.
Da lagen auf dem Wasser zwei Galeonen Bord an Bord. Nicht weit von ihnen trieb ein sonderbares Gefährt, ein farbig bemaltes Ding, das auf einem eher plumpen Unterbau, einem Floß nicht unähnlich, eine große Hütte trug. Und weit im Osten des Sees verschwanden drei Einmaster in den kanalartigen Verbindungen, die der See mit dem Lake Borgne hatte, der wiederum in den Chandeleur Sound und damit in einen Teil des nördlichen Küstengebietes des Golfes von Mexiko mündete.
Auf einer der beiden Bord an Bord liegenden Galeonen spähte ein Mann, als ihm die Stille bewußt wurde, ostwärts, und sein verkantetes Gesicht entspannte sich, als er sah, daß der Gegner das Weite suchte.
Philip Hasard Killigrew, in diesem Augenblick an Bord der „San Donato“, senkte den Degen und wischte sich mit dem linken Arm den Schweiß vom Gesicht.
Er schaute nach links hinüber, wo die „Isabella“ längsseits lag, längsseits der „San Donato“, jener Galeone, die kein spanisches Schiff mehr war – abgesehen von fünf Spaniern, die sich ihres Landes schämten.
Drüben auf der „Isabella“ waren die Decks fast leer, weil die Arwenacks auf die „San Donato“ übergewechselt waren, um ihren indianischen Freunden vom Stamme der Timucuas beizustehen, die ein Schnapphahn namens Duvalier mit seinen Kerlen versucht hatte, zu entern. Fast hätte er das geschafft. Aber die Arwenacks waren das Zünglein an der Waage gewesen und hatten den Galgenvögeln handfest dargelegt, daß es für sie besser sei, ihr Heil in der Flucht zu suchen.
Buchstäblich im letzten Moment war die „Isabella“ bei der so hart bedrängten und bereits geenterten „San Donato“ längsseits gegangen, um die Timucuas herauszupauken.
Als Hasard jetzt zu seiner „Isabella“ hinüberschaute, winkte ihm vom Achterdeck her Old O’Flynn zu. Und seine Geste besagte, daß alles klar sei. Der alte Knochen war beim Entern der Arwenacks an Bord der „Isabella“ geblieben – nicht weil es ihm an Elan fehlte, irgendwelchen Schnapphähnen an die Gurgel zu gehen, nein, einer mußte ja schließlich auf die „Isabella“ aufpassen, falls der Gegner plötzlich auf die Idee verfiel, die Fronten zu wechseln.
Oft genug hatte Old O’Flynn in solchen Fällen die „Isabella“ verteidigt – nicht ganz allein, denn aufgrund einschlägiger Erfahrungen blieb immer eine Reserve an Bord der „Isabella“ – drei, vier Seewölfe samt des Bestandes der Bordtiere, nämlich Arwenack, dem Schimpansen, Sir John, dem Papagei, und Plymmie, der Wolfshündin. Und auch Hasard junior und Philip junior, die beiden Söhne des Seewolfes, gehörten zur letzten Reserve.
Aufatmend registrierte Hasard also, daß die „Isabella“ ungeschoren geblieben war. Keiner der Kerle hatte sich „verirrt“, um sein eigenes Süppchen zu kochen. Sein Blick kehrte zur „San Donato“ zurück und huschte über die Kuhl, wo sich der Kutscher und Mac Pellew bereits um die Verwundeten kümmerten.
Hasard atmete noch einmal durch. Keiner von seinen Arwenacks war unter den Betroffenen, soweit er das feststellen konnte. Da hatte der große Kapitän mal wieder den himmlischen Daumen dazwischengehalten.
Aber die Timucuas hatten drei Tote zu beklagen, und zwölf Krieger hatten Wunden empfangen. Zu viele, dachte Hasard erbittert. Der Weg in die Freiheit und zum Coral Island schien voller Blut und Tränen zu sein. Dabei standen sie erst am Anfang der langen Reise hinunter zu den Caicos-Inseln. Anders ausgedrückt: sie hatten sich infolge des Sturms von ihrem eigentlichen Ziel noch weiter entfernt.
Hasard wurde in seinen Gedanken, die alles andere als frohgemut waren, unterbrochen. Marcos, einer der fünf Spanier, die sich auf die Seite der Timucuas geschlagen hatten, war zu ihm getreten.
Etwas verwirrt sagte er: „Entschuldigen Sie, Capitán Killigrew, haben Sie José gesehen?“
„José?“ Hasard schaute auf und schüttelte den Kopf. „Nein. War er nicht auf der Kuhl gewesen, als wir enterten?“
Marcos zuckte ratlos mit den Schultern.
Etwas bissig sagte Hasard: „Irgendwo muß er doch sein, nicht wahr?“
„Ja“, sagte Marcos lahm und fast hilflos. „Irgendwo muß er sein. Ob er über Bord gegangen ist?“ Sein Blick irrte über das Wasser des Sees, wo die Trümmer der vier versenkten und zerschossenen Einmaster trieben.
Hasard knurrte etwas Unverständliches und setzte mit einer Flanke über die Querbalustrade des Achterdecks. Er landete auf der Kuhl, überquerte sie schräg nach Backbord voraus und steuerte dort die vorderste Culverine an, die nach hinten ausgerollt war, als Marcos und seine vier Kameraden auf die Piraten Duvaliers gefeuert hatten.
Dort lag ein Mann auf dem Bauch – neben ihm noch einer, aber auf der Seite. Er drehte Hasard den Rücken zu.
Hasard beugte sich über den Mann, der auf dem Bauch lag, und drehte ihn um.
Er starrte in die gebrochenen Augen Josés, der ein Messer in der Brust hatte. Hasard wandte sich zum Achterdeck um, aber Marcos stand bereits dicht bei ihm, die Augen aufgerissen. Und dann zuckte noch etwas in seinen Augen auf. Mit einem Sprung fiel er Hasard an, umklammerte ihn und riß ihn zur Seite.
Sie krachten beide auf die Planken. Einen Lidschlag davor war der Schuß gefallen. Das Blei pfiff über sie weg und raste seewärts.
Der Mann, der auf der Seite gelegen und Hasard den Rücken zugedreht hatte, hockte zusammengekrümmt da, die noch rauchende Pistole in der rechten Faust.
Er hatte dreckig gegrinst, als er herumgeschnellt war und gefeuert hatte. Aber dieses Grinsen erstarb zur Fratze, als er sah, daß sein Schuß das gewünschte Ziel verfehlt hatte.
Da hatte er wohl umsonst den „toten Mann“ gespielt. Eine Waffe hatte er auch nicht mehr.
Doch!
Er ließ die abgeschossene Pistole fallen, packte mit schnellem Griff das Messer, das aus der Brust Josés ragte, riß es heraus und federte hoch. Das Grinsen auf seinem Gesicht belebte sich wieder.
Dieser Kerl, einer aus dem verluderten Haufen Duvaliers, war Wohl so das Übelste, was die Seewölfe jemals erlebt hatten. Und man hätte nicht behaupten können, daß sie wenig erlebt hatten. Aber dieser Kumpan eines Oberschnapphahns hatte schlicht die mieseste Visage, der sie je begegnet waren.
Dem Kerl hing das linke Lid halb übers Auge. Es wirkte, als schiele er. Die Nase stand quer und war dabei breitgeschlagen. Das rechte Ohr fehlte – bis auf zerfranste Reste. Und hohlwangig war der Kerl, als sauge er alle Luft gierig nach innen. Die Wangenknochen schienen durch die Haut zu stoßen. Unter diesem wenig erfreulichen Gesicht ragte ein spitzes Kinn vor, ein nach oben gespitztes Kinn, das sich dem Mund entgegenwölbte, als sei es darauf erpicht, abgebissen zu werden.
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