Wie es hier war, ließ sich nicht voraussagen. Wenn die Eingeborenen erfuhren, was sie wollten, dann war es mit der Freundlichkeit vermutlich sofort vorbei.
Die Brotfrüchte stellten ihre Hauptnahrung dar, und die würden sie sich nicht so ohne weiteres wegnehmen lassen.
Sinona lachte ärgerlich auf. Sollten sie, er hatte genügend Soldaten an Bord, die mit den paar Insulanern im Handumdrehen fertig werden würden.
Sinona übernahm wieder die Führung, erklomm den schrägen Pfad und sah sich immer wieder um. Die Pistole hielt er in der rechten Hand, bereit, sich nicht überrumpeln zu lassen.
Ein winziger Seitenarm der Lagune lief weiter ins Land und teilweise um den Berg herum. Es war nicht mehr als ein kleiner Bach, und Sinona glaubte auch von ihm, daß er künstlich angelegt worden sei.
Nach etwa zehn Minuten erreichten sie die Biegung. Sinona blieb stehen, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer geprallt.
Vor ihnen, in einem kleinen Tal, mehr einer größeren Mulde, lagen die Hütten der Eingeborenen.
Sieben Hütten zählte Sinona. Sie waren auf Pfählen errichtet, waren aber keine Pfahlbauten wie bei den Salzwasserleuten, denn hier waren die Pfähle nicht höher als ein Yard. Und die Hütten waren oval und nicht rechteckig oder lang wie bei den anderen.
Sinona nahm das Bild in sich auf.
Zwischen den sieben Hütten stand eine Gruppe Kokospalmen. Ganz dicht dabei befand sich ein Wasserlauf, der aus den Bergen als Rinnsal hinunterfloß, hier unten breiter wurde und in den Nebenarm der Lagune mündete.
Niemand erscheint, um uns zu begrüßen, dachte Sinona. Das winzige Dorf schien verlassen zu sein, aber dagegen sprachen die beiden Ziegen, die hinter der Palmengruppe standen und herüberäugten. Eingeborene waren nicht zu sehen.
Sinona lächelte, aber es war kein gutes Lächeln.
„Sie haben uns längst gesehen“, sagte er ärgerlich. „Und ich halte jede Wette, daß sie jetzt irgendwo in den Bergen sitzen und uns beobachten. Weiter, wir sehen uns das Dorf an! Haltet die Waffen schußbereit und paßt auf!“
Mit schußbereiten Waffen näherten sie sich den Hütten, erklommen die kurzen Leitern und durchsuchten sie.
Außer einigen Hühnern, die in den Hütten kreischend auseinanderstoben, fand sich kein Lebewesen.
„Die Hühner, Senor Capitan“, sagte ein Seesoldat, „und die beiden Ziegen. Sollen wir …“
Sinona, verärgert darüber, daß sich die Insulaner so heimlich empfohlen hatten, nickte knapp.
„Lassen Sie das Viehzeug an Bord bringen! Die Kokosnüsse werden ebenfalls geerntet.“
Da sich keiner der spanischen Seesoldaten auf die hohen Palmen hinauftraute, wurde die erste kurzerhand mit den Schiffshauern gefällt. Sie krachte in eine Hütte und zerschlug sie.
Als Sinona das kommentarlos geschehen ließ, fällten sie die anderen Palmen ebenfalls, erschlugen die Ziegen und trieben die Hühner zusammen, denen sie die Beine zusammenbanden.
Sinona suchte Brotfruchtpflanzen, aber er hatte schon zuvor keine entdekken können, und so fand sich auch hier keine einzige.
Mittlerweile hatten die Seesoldaten auch die letzte Palme gefällt und von den Hütten standen nur noch die Pfähle. Alles andere war von den stürzenden Stämmen und ihren dichten Wedeln zermalmt worden.
„Cerana, Sie begleiten mich dort hinauf“, sagte der Kapitän. „Dort hat man mit Sicherheit einen Blick über den größten Teil der Insel. Ich will sie mir ansehen. Die anderen warten hier, bis ich zurück bin. Krempelt hier im Tal alles um, vielleicht gibt es doch noch irgendwo Pflanzen der Brotfrucht.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sich Sinona um. Er fürchtete sich nicht vor den Eingeborenen, und er glaubte auch nicht mehr, daß sie ihn von den Bergen aus mit Steinen bombardieren würden. Dazu hatten sie zu sehr Angst. Sie mußten schon geflohen sein, als die „Kap Hoorn“ die Insel anlief und hielten sich jetzt irgendwo versteckt.
Cerana, einer der Bootsleute, ging schwitzend und keuchend den steilen Weg voran. Er schleppte die schwere Muskete, drei Pistolen im Gürtel, einen Schiffshauer und ein Entermesser. Immer wieder blickte er nach oben, in der Befürchtung, ihnen würde es Steine auf die Helme regnen.
Doch es regte sich nichts, alles blieb verdächtig still.
Es war ein mühsamer Aufstieg durch dichtes Unterholz, zugewachsenen dschungelartigen Busch und größere Geröllbrocken.
Je höher sie stiegen, desto malerischer wurde der Ausblick. Tief unter ihnen war jetzt die „Kap Hoorn“ winzig klein zu erkennen. Aus dieser Höhe sah man sogar die Korallenbänke und das dazugehörende prächtige Farbenspiel des Wassers. Es schimmerte grünlich, zarthellblau, dann wieder tiefdunkel oder, wie an den Rändern der Korallenbank, grünlichweiß mit wirbelndem Schaum.
Aber dafür hatte weder Sinona noch der nach Luft ringende Cerana einen Blick übrig. Sie beschränkten sich auf ein flüchtiges Hinsehen, ihre Gedanken waren ganz woanders.
Sinonas anfangs noch gute Laune verflog zusehends, als sie die letzten Yards erklommen und nun auf der Spitze standen, die ihnen einen Überblick über die gesamte Insel gestattete.
Der Kapitän stieß unbeherrscht einen Fluch aus.
„Puta madre santissimo!“ schrie er laut. „Todos Santos, sehen Sie sich das an, Cerana, und dann sagen Sie mir gefälligst auf der Stelle, wo wir hier eigentlich sind. Diesen unfähigen Idioten von Offizier werde ich mir später vorknöpfen.“
„Das – das ist nicht Tahiti, Senor Capitan“, murmelte Cerana. „Es muß sich um eine vorgelagerte Insel handeln, aber Tahiti liegt fraglos da vorn, weiter im Süden. Die Berge haben die eigentliche Insel unseren Blicken entzogen.“
„Wie schön, daß Sie das auch schon gemerkt haben“, sagte Sinona voller Sarkasmus. „Dieser navigatorische Versager wird das von seinem Sold bezahlen, alles, die gesamten Unkosten! Natürlich ist das Land im Süden Tahiti, und auf diesem lausigen Eiland werden wir ganz sicher keine Brotfrucht finden.“
Er hob das mitgebrachte Spektiv an die Augen und suchte die Strände der Insel ab.
Alle beide Gruppen waren zu sehen, die unter dem Profos und die andere, die Fusté führte. Nicht mehr lange, und die beiden hatten die Insel umrundet und würden sich begegnen.
Weitere Hütten der Eingeborenen gab es nicht, nur weiter hinten, direkt auf dem Strand, lag ein kleines Auslegerboot. Die paar Insulaner, die hier hausten, mochten sich irgendwo im Gewirr der Berge versteckt halten. Aber das war Sinona egal, mochte der Teufel die Insulaner holen, sie scherten ihn nicht mehr.
„Feuern Sie einen Schuß ab!“ befahl er und setzte das Spektiv wieder ans Auge, als sich neben ihm mit lautem Knall eine Pistole entlud.
Die Soldaten blieben Sekunden später stehen. Wie erstarrte Figuren aus einer Erzählung standen sie da. Dann setzten sie sich in Marsch und gingen den Weg zurück.
Sinona warf einen letzten, galligen Blick auf das Paradies, das sich tief unter ihm ausbreitete, und schaute zu der anderen Insel hinüber. Sie war höchstens zehn, zwölf Meilen entfernt und breitete sich aus wie Festland.
Gerade, als er sich endgültig abwenden wollte, sah er das Boot, das von der anderen Seite der Insel ins Wasser geschoben wurde. Es war ein Auslegerboot wie jenes, das am Strand lag. Ein knappes Dutzend Gestalten waren darin zu erkennen, die in auffallender Eile durch die schwache Brandung segelten und Kurs auf Tahiti nahmen.
„Sie haben uns beobachtet“, murmelte Sinona, „und jetzt treibt die Angst sie voran.“
Er winkte verächtlich ab. „Weiter, Cerana, diese Insulaner können uns nicht gefährlich werden, sie sind anscheinend nicht einmal mit Speeren bewaffnet.“
Cerana lächelte überheblich. Nein, dieses knappe Dutzend Insulaner konnte ihnen wirklich nicht gefährlich werden. Was wollten die schon gegen eine Kriegsgaleone der Spanier ausrichten?
Читать дальше