Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-453-1
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
„Ich liebe dich, Negwa.“
„Ich liebe dich auch von ganzem Herzen, Sarego.“
„Bald feiern wir das Fest unserer Vermählung.“
„Bald …“
„Wenn Mulungu den Tag zum drittenmal auferstehen läßt, Negwa.“
„Von jetzt an gerechnet?“
„Von heute nacht an.“
„Ich wünschte, die Zeit würde im Flug vergehen“, sagte das hübsche schwarze Mädchen. Sie seufzte und sah zu Sarego auf, der sich ihr gegenüber mit dem Rücken gegen den Stamm eines der hoch aufstrebenden Köcherbäume des Hügels gelehnt hatte.
Der junge Bantu-Neger, ein hochgewachsener und schlanker Mann mit schmalen Hüften und breiten Schultern, streckte beide Arme vor, und Negwa legte ihre Hände in die seinen.
„Du wirst sehen, die Zeit fliegt wie ein großer Vogel über das Meer. Die Götter sorgen dafür, denn sie sind allen glücklichen Paaren wohlgesonnen“, sagte er.
Sie lachte leise, beugte sich vor und küßte ihn. „Zwei Tage und zwei Nächte werden wir tanzen“, sagte sie dann.
„Wir Männer werden Kaffernbüffel und Ochsen schlachten.“
„Wir Frauen werden ihr Fleisch über den Feuern zubereiten.“
„Und dann ziehen wir in die Rundhütte, die mein Vater uns geschenkt hat, Negwa.“
„Und wir werden immer glücklich sein, Sarego.“
„Und Kinder haben.“
„Endlich eine Familie sein …“
„Noch nie war ich so froh.“
„Niemand kann unser Glück und unseren Stolz brechen“, sagte das Mädchen.
Saregos Miene verfinsterte sich. „Auch die weißen Männer nicht, die uns ausnutzen und uns zwingen, etwas zu tun, was uns widerstrebt.“
„Aber nur so können wir verhindern, daß sie uns auf ihre Schiffe verschleppen“, flüsterte sie. „Nur so entgehen wir dem Schicksal der anderen, die über das weite Meer fortgebracht und nie wieder gesehen worden sind. Solange wir ihnen die weißen Zähne des Elefanten besorgen und schenken, lassen sie uns in Frieden leben.“
„Auch sie sind sterblich“, stieß Sarego voller Haß hervor. „Auch die Weißen sind nicht allmächtig. Sie sind nicht gegen das tödliche Fieber, den Biß der giftigen Schlange, den Tatzenhieb des Königs der Savanne, den Speer des schwarzen Kriegers gefeit.“
„Sarego – sprich nicht so!“
Er beruhigte sich und besänftigte auch sie mit einem Lächeln. „Hab keine Sorge, Negwa. Niemals werde ich die Hand gegen diese bärtigen Männer in der seltsamen Kleidung erheben. Zwei blutrote Sonnen werden am Himmel von Südafrika aufleuchten, und dann wird ein Wirbelsturm alle Weißen zurück ins Meer fegen – dorthin, woher sie gekommen sind.“
„Ich glaube auch fest daran, Sarego.“
Sie schwiegen und traten sich näher. Eng umschlungen standen sie unter den eigentümlich anmutenden Wipfeln der Köcherbäume und genossen die Stille und Beschaulichkeit des Hügels, der von Süden her über das Dorf hinwegblickte.
Von dieser Kuppe aus sahen sie die Lichter ihres Dorfes anheimelnd flakkern. In fast jeder der aus leichten Rohrgestellen errichteten, mit Schilfmattengeflecht bedeckten Rundhütten des Krals brannte noch das Feuer, das für Helligkeit und Wärme sorgte. Im Mittelpunkt der Jägersiedlung wurde eine Feuerstelle von zwei jungen Kriegern in Betrieb gehalten.
Kühl war die südafrikanische Nacht im Februar, aber Sarego und Negwa froren trotz ihrer leichten Lederschurze nicht. Sie schmiegten sich aneinander, küßten und liebkosten sich.
Sarego hielt plötzlich inne und hob den Kopf.
„Was ist, Liebster?“ raunte das Mädchen.
„Es liegt Unruhe in der Luft …“
„Die Unruhe ist in dir selbst.“
„Schweig.“ Abrupt wandte er sich dem Dorf zu.
Negwa wollte noch etwas sagen, ihn auf irgendeine Weise zu beschwichtigen versuchen, doch in diesem Augenblick wehte ein Schrei vom Kral zu ihnen herauf. Negwa fuhr zusammen. Saregos Gestalt straffte sich noch mehr. Er spähte ins Dorf und versuchte etwas zu erkennen, aber die zuckenden Lichter gaukelten ihm Trugbilder vor und gaben nichts Deutliches wider.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte das Mädchen entsetzt.
„Das war die Wache.“
„Ob der König der Savanne erschienen ist, um sich seine Beute zu holen?“ fragte sie schaudernd.
„Es sind Eindringlinge im Dorf.“
„Wer?“
„Ich weiß es nicht. Bleib hier. Ich sehe nach.“
„Nein …“
Mehrere Schreie ertönten jetzt zwischen den Rundhütten. Die jungen Krieger am Hauptfeuer waren aufgesprungen und hatten ihre Speere erhoben. Aus den Hütten lösten sich Gestalten, die offenbar alle auf der Suche nach einer Klärung der Situation zum Zentrum des Rondells hasteten.
Zweimal krachte es, und die beiden jungen Krieger brachen neben dem Feuer zusammen. Sarego stöhnte voller Wut. Er raffte seinen Bogen und den Köcher mit den Pfeilen vom Boden auf und stürmte los. Nichts konnte ihn mehr auf dem Hügel halten, nicht das Flehen von Negwa, nicht die Furcht vor denen, die soeben mit Donnerrohren geschossen hatten und den Bantus überlegen waren. Selbst Mulungu persönlich, der Allgeist im Himmel, hätte Sarego in diesem Augenblick nicht zu bremsen vermocht, denn grenzenloser Haß auf die fremden Eindringlinge trieb den jungen Mann voran.
Wer waren diese Halunken? Weiße? Die hatten es nicht nötig, sich im Dunkeln anzuschleichen und als Meuchelmörder in den Kral einzudringen. Die erschienen gewöhnlich bei Tag, in würdiger Prozession, mit überlegenem Gebaren in den Sätteln von vierbeinigen Tieren sitzend, die sie Pferde nannten. Die Zähne des Elefanten luden sie diesen Tieren auf, Elfenbein für Lourenco Marques, den Hafen der Weißen an der großen Bucht, Elfenbein für die arroganten Senoras und Senores, alle Emporkömmlinge und Hidalgos jenes Landes, das vorgab, Herrscher der Welt zu sein.
Nein, Sarego glaubte nicht an einen Überfall der Spanier und Portugiesen.
Höher loderten die Feuer im Dorf, ihr Schein geisterte wie ein Dämonenhauch zwischen den Rundhütten. Immer mehr Gestalten hasteten durcheinander. Wieder krachten Schüsse, Schreie gellten, Männer stürzten zu Boden, andere Männer, die nie und nimmer zum Stamm der Bantus gehörten, gaben triumphierende Laute von sich.
Ein wildes Handgemenge entbrannte.
Die fremden Männer hatten ihre feuerspuckenden Rohre geleert, und jetzt drangen sie mit Speeren und Säbeln gegen die Bantus vor.
Sarego lief so schnell wie nie zuvor in seinem Leben.
Große, unheimliche Schemen hatten sich im Hintergrund erhoben. Sie bildeten eine Silhouette im Verbund mit den runden Hütten. Sarego schrie unwillkürlich auf, als er ihrer gewahr wurde, denn er wie alle anderen Männer des Stammes wußte, was dies zu bedeuten hatte.
Dromedare – hier!
Sarego hatte längst einen Pfeil aus seinem Köcher gezogen. Er legte das Schaftende im Laufen gegen die Bogensehne, spannte, dann stoppte er zwischen zwei Hütten und zielte auf einen der Angreifer, der mit dem Krummsäbel gegen einen jungen Bantumann kämpfte und ihm, Sarego, die Körperseite zugewandt hielt.
Weiß und unschuldig wirkte das Elfenbein, das die Bantus den weißen Männern beschafften, aber es rief Tod und Verdammnis hervor.
Die Bantus erlegten die Elefanten, um sie ihrer Zähne zu berauben, denn allein diese Zähne bewahrten sie vor dem bitteren Los der Sklaverei – immer wieder. Weit oben im Norden in einem Land, in dem Somali gesprochen wurde, lebten jedoch kriegerische Völker, die auszogen, um sich das begehrte Elfenbein auf unrechtmäßige Weise zu verschaffen. Sie überfielen die Elefantenjäger und raubten deren Beute, wobei sie, die hageren, raffgierigen Hamiten, den überragenden Vorteil ausnutzten, im Besitz von Schußwaffen zu sein.
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