Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-719-8
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Hundewache!
Beliebt war sie nicht an Bord der „Isabella“, aber ebenso zwingend notwendig wie alle anderen Wachen.
Damit es dem Decksältesten Smoky nicht so schwerfiel, aus der Koje zu klettern, purrte ihn der belesene Kutscher mit einem aus Wismar überlieferten, aber humorvoll abgewandelten Text hoch. Der Kutscher stellte sich vor Smokys Koje und sang getreu nach der alten Überlieferung:
„Reise, Quartier, in Gottesnaam, Kain hett sien Broder Abel dootslahn,
Wenn ji nich ut de Koj rutkam, dann ward ji dat nich bäter gahn.“
Smoky erhob sich gähnend und sah den Kutscher mißmutig an.
„Darüber soll ich wohl auch noch lachen, was?“ brummte er etwas schlaftrunken.
„Mußt du nicht, das überlasse ich dir.“
„Ah, verdammt, Hundewache. Wie spät ist es, Kutscher?“
„Logischerweise kurz vor Mitternacht, du Rechengenie. Wenn deine Wache von Mitternacht bis vier Uhr …“
„Jaja“, knurrte Smoky, „logischerweise liege ich in vier Stunden wieder in der Koje. Wie ist das Wetter, welcher Kurs liegt an?“
Smoky kleidete sich brummig an, sah hin und wieder den Kutscher an und wartete auf eine Antwort.
„Eh, ich hab dich was gefragt, Kutscher.“
„Bin ich hier vielleicht als Wettergast an Bord? Das wirst du ja gleich selbst sehen, aber offenbar bist du noch leicht vernagelt. Wir haben bösartigen Wind aus West, haben die Danziger Bucht überquert und befinden uns in Höhe der Halbinsel Hela. Vor uns segelt die ‚Wappen von Kolberg‘, und wir müssen kreuzen. Polnische Bernsteinjäger haben wir nicht mehr gesichtet. Zum Frühstück gibt es Pfannkuchen mit Marmelade oder Sirup und Dünnbier. Carberrys Haare wachsen prächtig nach, die Mannschaft erfreut sich bester Gesundheit, und auf dem Achterdeck befinden sich zur Zeit Ben, Blacky, Bill, Matt und Gary. Die Tiefe beträgt etwa sechzig Yards. Wir segeln nach Rügenwalde und später nach Kolberg. Irgendwo auf der Halbinsel Hela habe ich vorhin einen Kauz schreien hören. Langt das, oder soll ich dir noch mehr aufzählen?“
„Du bist vielleicht ’ne komische Nudel“, brummte der Decksälteste. „Ist es kalt an Deck?“ wollte er dann noch wissen.
„Das hängt davon ab, wie man es betrachtet“, sagte der Kutscher grinsend. „Aus der Sicht eines Eskimos nicht. Aus Batutis Sicht ist es ziemlich kühl, und ein Eisbär würde transpirieren.“
„Ein Eisbär würde frieren?“
„Transpirieren“, verbesserte der Kutscher.
Aber das kapierte Smoky nicht.
„Dann muß es ja lausig kalt sein“, meinte er. Er gähnte noch einmal ausgiebig und schlurfte aus dem Quartier an Deck.
Bevor er nach achtern ging, hievte er erst einmal eine Pütz Wasser an Deck, tunkte den Finger hinein und putzte sich mit der Adamsbürste die Zähne, genau gesagt also mit dem Zeigefinger. Danach steckte er den Schädel in die Pütz und prustete erschrocken wie ein Wasserbüffel.
Die See war rauh und kabbelig. Der Wind heulte, und immer wieder jagte ein Bö heran, die die „Isabella“ hart überkrängen ließ.
Nichts erhellte die Nacht, nur helle Katzenköpfe waren auf den Wellen zu sehen und das Licht der Hecklaterne der voraussegelnden „Wappen von Kolberg“ unter dem Kapitän Arne von Manteuffel.
Es war die Nacht zum dritten April. Eine mondlose Nacht voller Wolken, die eilig unbekannten Zielen zustrebten, die wogten und durcheinanderquirlten, sich ballten und wie eilige Reiterscharen davonjagten.
Smoky sollte Gary Andrews am Ruder ablösen. Der Gefechtsrudergänger Pete Ballie lag in der Koje und schlief seine wohlverdiente Runde ab.
Smoky durchquerte die Kuhl zum Achterdeck. So kalt war es gar nicht, fand er, und er war jetzt auch wieder völlig klar. Weit voraus war in der Dunkelheit die Hecklaterne der „Wappen von Kolberg“ als heller Lichtpunkt zu sehen. Sie warf milchigen Schein durch die Finsternis. Smoky verlor fast den Halt, als wieder ganz überraschend eine Bö einfiel und das Meer wütend hochstiebte.
Zur Zeit segelte die „Isabella“ über Backbordbug auf die Küste zu, in Richtung auf Rixhöft, und folgte dem Kurs der anderen Galeone, deren Männer sich in den Gewässern bestens auskannten.
Bei Rixhöft würden sie durch den Wind auf den anderen Bug gehen müssen und dann mit Backbordhalsen über Steuerbordbug segeln.
Doch bis dahin hatten sie noch eine gute Viertelstunde Zeit.
„Endlich“, sagte Gary Andrews, als Smoky auf dem Achterdeck erschien. „Mann, ich kann kaum noch aus den Klüsen gucken und könnte im Stehen einschlafen. Andauernd Böen abfangen, anluven, auf den Kompaß stieren und dann noch Kurs nach Vordermann segeln, das haut einen restlos zusammen.“
„Um die Hundewache von zwölf bis vier bin ich auch nicht gerade zu beneiden“, meinte Smoky.
„Aber du hast wenigstens gepennt.“
„Und du kannst jetzt pennen, das ist noch besser“, erwiderte Smoky. „Liegt noch irgend etwas an?“
„Alles klar. Du mußt nur verdammt auf die Böen achten. Die fallen so schnell ein, daß du meist zu spät reagierst.“
„Das habe ich gerade eben gemerkt. Mir hat es fast die Beine unter dem Leib weggerissen.“
Innerhalb kurzer Zeit trudelten auch die anderen ein, die zur Hundewache eingeteilt waren. Auch Dan O’Flynn erschien, um Ben Brighton abzulösen. Die beiden sprachen leise miteinander, aber dafür hatte Gary kein Ohr mehr. Er war hundemüde und sah nur noch die Koje vor sich. In Gedanken schlief er schon fast.
Smoky peilte auf den Kompaß, dann blickte er zu den Segeln, und schließlich sah er nach der Hecklaterne der „Wappen von Kolberg“, die, über Backbordbug rollend, durch die See zog.
„Dort bei Rixhöft wenden“, sagte Ben Brighton gerade zu Dan. „Ihr könnt euch ganz nach Manteuffels Galeone orientieren, der kennt hier alles wie seine Hosentasche. Unser Ziel ist Rügenwalde, wo die Freiin von Lankwitz zu Hause ist. Danach geht es nach Kolberg.“
„Hat mir Hasard schon gesagt“, erwiderte Dan.
Ben Brighton enterte ab, um seine Kammer aufzusuchen. Auch die anderen verschwanden. Der letzte, der das Achterdeck der alten Wache verließ, war Gary Andrews. Er schlief tatsächlich schon halb im Stehen.
„Ich denke, du bist so hundemüde“, lästerte Smoky, „dann hau dich doch endlich auf die Matte und horch die Koje ab.“
„Das tue ich jetzt auch. Macht’s gut.“
Er gähnte so ausgiebig wie Smoky zuvor, dachte nur noch an seine Koje und enterte ganz langsam ab zum Quarterdeck. Nur noch ein paar Yards, dann konnte er sich langlegen, ein wenig das Geschaukel der Wellen genießen, ohne am Ruder stehen zu müssen, und dann schlafen, nichts als schlafen.
Ist doch verdammt hart, so ein Törn, dachte er. Pete Ballie stand immer wie selbstverständlich da achtern, als hätte er zeit seines Lebens nichts anderes getan.
Aber für einen, der das nicht so oft tat, war das wahrhaftig kein Spaß, den man mit links erledigte.
Er reckte die Arme, drückte die Brust heraus und gähnte wieder. Seine Augen waren vor Müdigkeit schon halb geschlossen.
Er hielt sich auch nicht am Geländer des Backbordniederganges fest, als er abenterte.
In diesem Augenblick holte der Wind kurz Luft. Dann hielt er eine Sekunde lang den Atem an und blies ihn unter fürchterlichem Getöse schlagartig aus. Die einfallende Bö ließ die „Isabella“ von oben bis unten hart erzittern. Gleichzeitig holte sie stark nach Lee über, und über das Schanzkleid der Kuhl stieg an Backbord wild und brüllend die See ein. Für Augenblicke war es durch Schaum und Gischt fast hell an Deck.
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