Webster hatte sie vergewaltigen wollen. Dazu war es allerdings nicht mehr gekommen, denn der Ribault-Trupp hatte den Fanatiker kurzerhand einkassiert und an Bord gebracht. Danach war vom Bund der Korsaren das Todesurteil gesprochen worden.
„Das ist jetzt das Resultat Ihres voreiligen Handelns, Baker“, sagte Hasard. „Die Kerle dort oben sehen genau, daß Webster unter Deck getragen wird. Also folgern sie daraus, daß er noch lebt, denn einen Toten würde man logischerweise über Bord geben. Bedauerlich, daß Sie das nicht bedacht haben.“
Der Zimmermann John Baker schluckte und senkte den Kopf.
„Sie haben recht, Sir, ich bitte um Verzeihung. Wie soll es jetzt weitergehen?“
„Das weiß ich im Augenblick noch nicht. Dort oben und in der Bucht befinden sich immer noch Frauen und Kinder, und damit sind uns vorerst die Hände gebunden. Ich kann nicht das Feuer eröffnen lassen, ohne das ganz beträchtliche Risiko einzugehen, eben diese Frauen oder Kinder zu treffen.“
„Feine Situation“, sagte Ben Brighton. „Jetzt müssen wir abwarten, ganz einfach abwarten.“
„Dann hätten wir den Bastard eben über Bord schmeißen sollen“, sagte der Wikinger. „Soll er doch ersaufen, er fährt so oder so zur Hölle. Soll ich ihn an Deck holen?“
„Du weißt, daß das nicht meinen Gepflogenheiten entspricht“, sagte Hasard kühl. „Ich habe versprochen, daß er hängen wird, und dieses Versprechen halte ich auch. Aber nicht in diesem Zustand. Wir werden nachher eine Beratung ansetzen, aber zuvor möchte ich mich noch einmal mit Mister Baker unterhalten, um einiges in Erfahrung zu bringen, was uns vielleicht weiterhelfen kann.“
Zehn Minuten später war der Zimmermann John Baker an Bord der „Isabella“. Als er vor Hasard stand, senkte er beschämt den Kopf und entschuldigte sich zum x-ten Male.
„Schon gut“, sagte Hasard, „das läßt sich jetzt nicht mehr ändern. Wir müssen die Situation so nehmen, wie sie ist. Sie könnten mir etwas mehr über die restlichen Leute erzählen, und wie die Verhältnisse zwischen einigen von ihnen sind.“
„Fragen Sie bitte, Sir, ich werde Ihnen helfen, wo ich nur kann.“
„Was ist dieser Harris für ein Kerl, und wie groß ist sein Einfluß in der Gemeinde?“
„Er ist ein fanatischer und intoleranter, völlig verblendeter Eiferer, der für Webster durchs Feuer geht. Er wird seine Meinung über den Kerl nie ändern, lieber stirbt er.“
„Den Eindruck hatte ich auch von ihm. Und sein Einfluß?“
„Er ist nur der Einpeitscher, der sich ständig berufen fühlt. Die meisten hängen nicht sehr an dem ehemaligen Schreiberling, weil er sich zu sehr aufplustert.“
„Also demnach ist er keine Führernatur.“
„Auf keinen Fall, Sir. Dazu hat er nicht das Zeug.“
„Gut, dann haken wir ihn einmal ab. Wie Sie mir sagten, ist die Gemeinde immer noch gespalten, und die Meinungen und Ansichten gehen hin und her. Sie waren der Sprecher der einen Gruppe, die sich abgesetzt hat. Wer ist denn sozusagen Ihr Nachfolger von denen, die sich noch nicht so recht entscheiden konnten?“
„Das ist Aby Hawk, Sir, der Kapitän der Galeone ‚Nazareth‘. Ein vernünftiger und ganz einsichtiger Mann, aber es dauert bei ihm immer eine gewisse Zeit, bis er sich zu einem Entschluß durchringt. Ich bin sicher, daß auch er sich nicht auf einen Kampf einlassen möchte, das hat er schon angedeutet.“
„Bliebe also der Anführer der ganz Hartnäckigen.“
„Ja, Sir. Das ist ein gewisser Zachary Wotton, ein übler und gewalttätiger Kerl. Er ist ein fanatischer Anhänger und wird auch zu verhindern suchen, daß Aby Hawk sich absetzt. Wotton war früher Captain bei der Armee. Aber er hat Soldgelder unterschlagen und veruntreut, und da stieß man ihn unehrenhaft aus.“
„Lauter liebe und nette Leute“, sagte Hasard spöttisch. „Damit meine ich die Sturköpfe, die nicht begreifen, was Webster alles angerichtet hat. Nun, er wird nichts mehr anstellen, denn ich werde ihn schon aus dem Grund nicht laufenlassen, damit er noch mehr Unheil stiftet.“
„Ich habe leider auch zu spät erkannt, was für ein Kerl er ist“, sagte Baker mit einem bitteren Unterton. „Aber viele lernen ja zum Glück aus ihren Fehlern.“
„Noch eine Frage zur Bewaffnung: Gibt es noch mehr als die zwei Kanonen auf dieser Burg Zion, versteckte oder getarnte etwa?“
„Nein, Sir, es gibt auf den Bastionen nur die beiden Stücke. Das weiß ich ganz genau.“
Das deckte sich mit dem, was Hasard von der Ribault-Truppe erfahren hatte. Zwei Kanonen waren nach oben gebracht worden, mehr hatten sie in der kurzen Zeit nicht geschafft. Vor ein paar Augenblicken hatte es auch nur zweimal geknallt, als die Betbrüder da oben das Feuer eröffneten.
„Kugeln, Pulver, Handfeuerwaffen?“ forschte Hasard. „Wie steht es damit?“
„Etwa achtzig bis hundert Kugeln“, zählte Baker auf. „Dazu genügend Pulver und Blei für mindestens fünfzig Musketen und Pistolen. Es sind Enterhaken und Blankwaffen nach oben gebracht worden. Die fanatischen Webster-Anhänger werden bis zum Letzten kämpfen.“
„Dann gibt es eben ein hartes Sträußchen“, versprach der Seewolf grimmig. „Es sei denn, die Kerle stecken vorher auf.“
„Das glaube ich nicht, Sir. Wotton ist viel zu fanatisch, und es gehorchen ihm viele Leute.“
„Die vermutlich in ihrer grenzenlosen Blindheit für ihn in den Tod gehen würden.“
„Für Webster, Sir. Wotton und Harris reißen die Leute nur mit.“
„Na, dann Mahlzeit“, sagte der Profos, „da haben wir ja auch mal eine Nuß zu knacken. Wenn die Frauen und Kinder nicht wären, hätten wir die Halunken längst einkassiert.“
„Wir werden sie auch so kriegen“, versprach Hasard, „ich habe schon eine ungefähre Vorstellung davon, wie wir vorgehen werden. Das besprechen wir aber später noch in allen Einzelheiten. Du könntest inzwischen mal nach unserem hanging-man sehen, Ed. Laß auch noch einen Posten mehr aufziehen, der Kerl ist mir zu gefährlich.“
„Aye, aye, Sir.“
Während Hasard sich noch mit Baker unterhielt, marschierte der Profos mit schweren Schritten zum Krankenraum, wo sich immer noch der Kutscher und Mac Pellew aufhielten. Vor dem Schott stand Matt Davies, der gerade mit seiner Hakenprothese seine Bartstoppeln kratzte.
„Davon wird der Haken schön blank“, sagte er zu Ed.
„Du solltest sie mal im Bart des Wikingers wetzen“, riet Ed, „aber bring um Himmels willen nicht seine nordischen Elchwanzen um, die sich in der Matte wärmen. Was macht das verdammte Rübenschwein?“
Der Profos konnte seine Frage gleich selbst beantworten, denn aus der Kammer drangen Flüche und Verwünschungen.
„Er flucht wieder mal, statt zu beten“, sagte Matt, „obwohl er ein Gebet sicher sehr nötig hätte.“
„Sein letztes wird er bald sprechen“, meinte Ed, „falls er nicht wieder das Fluchen vorzieht.“
Das Gekeife drinnen wurde noch lauter. Carberry trat ein. Sein Gesicht war so drohend und finster, wie sie es bei ihm schon lange nicht mehr gesehen hatten.
Auf der Koje lag Webster. Um das rechte Schultergelenk trug er einen Verband, und er war sehr munter. Den Profos hatte er noch nicht bemerkt. Er geiferte und schimpfte jedoch mit dem Kutscher und Mac, die beide recht hilflos daneben standen.
„Ihr giftigen Nattern und Ottern!“ zeterte er. „Der Himmel wird über euch einstürzen, verdammt sollt ihr sein, im Fegefeuer sollt ihr auf ewig schmoren!“
Er ließ weitere Unflätigkeiten und Beschimpfungen vom Stapel.
„Müssen wir uns das von diesem Drecksack eigentlich gefallen lassen?“ fragte Mac Pellew erbittert. „Da verbindet man diesen lausigen Hurenbock, und er beschimpft uns pausenlos.“
„Der geht mir schon seit einer ganzen Weile auf den Geist“, sagte der Kutscher ärgerlich.
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