Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-481-4
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Thomas Milford, Hauptmann der königlichen Hofgarde, war genau der Typ, dessen Erscheinung allein schon genügte, um die Seewölfe rot sehen zu lassen. Und mehr als einer fragte sich, wer eigentlich dafür verantwortlich zeichnete, einen solchen Mann Offizier der Garde werden zu lassen – jener Truppe, die bereit sein mußte, bei Gefahr für Ihre Majestät die Königin sich in Stücke hauen zu lassen, aber keinen Schritt zu weichen.
Vielleicht war da durch schmutzige Hände schmutziges Geld geflossen. Vielleicht auch gehörte dieser Milford zu jenen Kerlen, die nach oben zu buckeln und nach unten zu treten verstanden, kräftig die Ellbogen benutzten und andere Kameraden in die Pfanne hauten.
Bei der Royal Navy gab’s solche Typen – warum nicht auch bei der königlichen Garde?
Jedenfalls war es ausgerechnet Hauptmann Milford, den man unter den Offizieren der Garde dazu auserwählt hatte, den Transport der „Isabella“-Beute in die Towergewölbe zu leiten.
Wer etwas „leitet“, braucht nicht unbedingt selbst mit anzupacken. Schließlich mußte ja jemand die Übersicht behalten. Für die Arbeit waren dem Hauptmann sechzehn Soldaten der Garde unterstellt worden, die es zu beaufsichtigen galt – wir werden sehen.
Die „Isabella“-Beute!
In Jahren wilder Raids und tollkühner Unternehmungen auf allen Meeren der Erde hatten die Seewölfe sie zusammengetragen und mehr als einmal dabei Kopf und Kragen riskiert. Sie hatten sich durchgebissen – um Ihrer Majestät der Königin ein „kleines Geschenk“ – wie sie es nannten – zu überreichen.
Vorgestern mittag hatte die Königin diesen Schatz an Bord der „Isabella“ besichtigt – und Philip Hasard Killigrew zum Ritter geschlagen. Das war der Höhepunkt all der Jahre ihrer Weltumsegelung gewesen: ihr Kapitän zum Ritter geschlagen!
Das Begeisterungsgebrüll der Seewölfe, nachdem die Königin den Ritus mit dem Staatsschwert vollzogen hatte, war ohrenbetäubend gewesen.
Die Londoner Bürger hatten zitternd und bebend gedacht, der Weltuntergang sei nahe.
Am Vormittag des nächsten Tages war Hasard zur Audienz nach Schloß Whitehall gebeten worden. Er hatte vor der Königin und hohen Mitgliedern der Regierung über die Weltumsegelung berichtet, aber auch seine Ansichten über die politische Lage geäußert und seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß der bewaffnete Konflikt mit Spanien unmittelbar bevorstünde.
Die Übernahme einer führenden Position in der Royal Navy, wie sie von der Königin vorgeschlagen worden war, hatte Hasard mit dem Hinweis abgelehnt, seine Männer und er seien Einzelkämpfer und würden sich niemals in die Royal Navy einordnen. Statt dessen hatte er um einen Kaperbrief gebeten und ihn erhalten.
Aber eine unliebsame Überraschung hatte es am Abend desselben Tages gegeben. Hasard war von der Königin zum Hofball auf Schloß Whitehall eingeladen worden. Unter den Gästen hatte sich ein Mann befunden, der Hasard und die Seewölfe glühend haßte: John Doughty, jener Mann, der an dem Profos der „Isabella“, Edwin Carberry, einen Mordversuch unternommen hatte. Das war zur Zeit der Weltumsegelung Kapitän Drakes gewesen. Damals hatte Hasard eine harte Bestrafung Doughtys verlangt, die von Drake verweigert worden war. Daraufhin hatten Hasard und seine Männer Drake den Gehorsam aufgekündigt.
Dieser Mann nun hatte es gestern abend gewagt, Hasard vor der Königin und der gesamten Hofgesellschaft auf die infamste Weise zu beleidigen. Hasard hatte Doughty daraufhin zum Zweikampf gefordert, ihn mit Hieben der Degenklinge bis auf die Unterbeinkleider ausgezogen – in brillanten Fechtparaden – und ihm dann mit der flachen Klinge den Hintern verdroschen. Mit einem Fußtritt hatte er ihn schließlich aus dem Festsaal befördert.
Die scharfe Frage der Königin, warum er Doughty nicht getötet habe, hatte Hasard mit der Antwort zurückgewiesen, John Doughty sei ein Fall für das Henkersschwert, nicht für das Schwert eines Ritters, dessen Klinge sauber zu bleiben habe.
Immerhin hatte die Hofgesellschaft einen kämpfenden Seewolf erlebt, einen Ritter ohne Furcht und Tadel. Und so manchem der blasierten Lordschaften war der kalte Schauer über den Rücken gelaufen. Sie hatten die Nase gerümpft über diesen „Gast“ der Königin, der in seiner einfachen Gewandung zum Hofball erschienen war, aber als er den Degen gezogen und sich zum Duell gestellt hatte, da war ihnen das blanke Entsetzen unter die Perücken gestiegen. Dieser Sir Hasard führte eine Klinge, wie sie es noch nie gesehen hatten. Das war Fechtkunst in höchster Vollendung.
John Doughty, Höfling, blasierter Lebemann, Intrigant und Anhänger der spanienfreundlichen Hofclique, war vor aller Augen zu einem winselnden Nichts deklassiert worden. Er hatte keine Schramme davongetragen, aber Hasard hatte die sogenannte Ehre dieses Mannes im wahrsten Sinne des Wortes zerfetzt – nur die lächerlichen Unterhosen waren übriggeblieben. Tödlicher im moralischen Sinne konnte kein Mann erniedrigt werden. Hasard hatte Doughty wie ein Stück Dreck vom königlichen Hof gewischt.
Für Hasard war das alles schon nicht mehr wichtig. Er hatte dem Kerl eine Lektion erteilt. Sollte er sich rächen wollen, würde er dem schon zu begegnen wissen.
Jetzt ging es darum, die „Isabella“ zu entladen. Es war eine umfangreiche, zeitraubende Prozedur – nicht wegen des Transports aus den Laderäumen der Galeone in die Towergewölbe, sondern wegen der genauen und exakten Registrierung der Truhen und Kisten sowie ihres Inhalts.
Die einzelnen Maßnahmen dazu hatte Hasard vorher mit Lord Burghley, dem Schatzmeister der Königin, und mit Admiral John Hawkins, dem Schatzmeister der Royal Navy, besprochen. Aus Sicherheitsgründen hatte Hasard veranlaßt, daß seine Crew – denn auf die konnte er sich absolut verlassen – die einzelnen Teile der Ladung in einen Raum des Towers transportierte, wo sie registriert und listenmäßig protokolliert wurde. Erst danach sollte sie von dort in die Towergewölbe gebracht werden, und zwar jetzt von den Soldaten der Garde unter dem Kommando des Hauptmanns Milford.
Hasard wollte keine Fremden an Bord und in den Laderäumen der „Isabella“ haben. Lord Burghley und Admiral Hawkins waren mit diesem Verfahren einverstanden gewesen. Für den Transport von Bord bis in den Towerraum waren also die Seewölfe verantwortlich. Nach Übernahme und Registrierung der Schatzbeute war alles weitere Sache der Krone und ihrer verantwortlichen Personen.
So war der Towerraum gewissermaßen der Umschlagplatz für Gold- und Silberbarren, Perlen, Edelsteine, Diamanten sowie diverser Schmuckstücke bis hin zum weißen Gold Afrikas – dem Elfenbein. Alles das wanderte über die wuchtigen, riesigen Tische, hinter denen im Towerraum die Schreiber der beiden Schatzmeister saßen und ihre Listen ausfüllten. Dort auch fand die Verteilung statt, denn ein Viertel der gewaltigen Schatzbeute – damit hatten sich die Seewölfe einverstanden erklärt – sollte in die Schatzkasse der Royal Navy fließen.
Das regelten Lord Burghley und Admiral Hawkins unter sich, denn sie waren in dem Raum ebenfalls anwesend. Für Hasard war das ein Quell unerschöpflichen Amüsements, weil die beiden wie zwei Pferdehändler miteinander schacherten, und oft genug mußte Hasard als der ehrliche Makler zwischen ihnen entscheiden, was die Königin und was die Royal Navy erhalten sollte. Dabei hielt er es für richtiger, der Royal Navy einen im Verhältnis größeren Anteil an Gold- und Silberbarren zu übereignen, der vom Wert her besser zu bestimmen und zu taxieren war als Perlen und Edelsteine.
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