Impressum
© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-269-8
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Die Dunkelheit hatte das Zwielicht der Abenddämmerung verdrängt und sich über Panama gesenkt. Ein bleicher Mond goß sein kaltes Licht über dem Hafen und der Stadt aus. Den Wellen, die leise gurgelnd gegen die Bordwände der dahingleitenden Segelpinasse schlugen, setzte er feine Silberkronen auf. Acht Männer hatten sich auf die Duchten gehockt. Ferris Tucker, der Schiffszimmermann an Bord von Philip Hasard Killigrews „Isabella III.“, kauerte im Bug. Der ehemalige Profos bei Francis Drake, Edwin Carberry, saß am Heck und hielt die Ruderpinne. Das Segel war aufgegeit worden. Smoky, Matt Davies, Stenmark, Darl von Hutten, Jeff Bowie und Piet Straaten legten sich in die Riemen und pullten so gekonnt, daß die Blätter beim Eintauchen ins Wasser kaum ein Geräusch verursachten. Fast lautlos bewegte sich die Pinasse fort.
Matt Davies nahm den Platz auf der Ducht neben dem Holländer Piet Straaten ein. Er grinste wie ein Teufel. Achteraus lag die stolze, schlanke „Isabella III.“, die sie soeben verlassen hatten. Ein prächtiges Schiff! Es hatte ihnen eine Menge Glück gebracht. Trotz des unermeßlichen Schatzes, der inzwischen im Bauch der Zweimastgaleone ruhte, würde sie damit immer noch flinker und wendiger sein als sämtliche normalgebauten Dreimaster dieser Welt.
Ja, Matt Davies hielt riesengroße Stücke auf die „Isabella“ – und auf ihren Kapitän, den verwegenen Seewolf! Während dieser mit Jean Ribault den Hafenkommandanten Alfonso de Roja begleitete und sich sozusagen mitten in die Höhle des Löwen begab, pullten sie weisungsgemäß über die Reede von Panama und vollendeten den tollkühnen Plan, den Hasard gefaßt hatte.
Matt drehte sich halb um und blickte voraus. Da lagen sie wie dikke, träge Tiere im dunklen Wasser: neun Galeonen der Spanier. Vorgestern waren es noch zwölf gewesen. Doch der Seewolf hatte das Dutzend verkleinert, indem er drei mit seiner Mannschaft auf den Grund der See geschickt und die Bordwachen auf den Panama, vorgelagerten Inseln ausgesetzt hatte. Das waren die „Victoria“ und die „Saint Gabriel“ gewesen. Wie die dritte geheißen hatte, war Matt entfallen. Wichtig war für ihn auch bloß, daß sie die Schiffe vor dem Anbohren um ihre Frachten erleichtert hatten: Gold, Silber und Perlen, alles fein säuberlich zum Mitnehmen in Truhen verpackt – und Tabak! Er lachte leise, als er daran zurückdachte, wie schlecht dem Bürschchen Dan O’Flynn nach seinem ersten Raucherlebnis geworden war, so speiübel, daß er beinahe seine ganze Seele in die See gespuckt hätte.
„Was ist los?“ fragte Piet Straaten nicht gerade freundlich.
„Ich freue mich auf die blöden Gesichter der Dons, wenn sie sehen, was wir mit ihren verdammten alten Waschzubern anstellen.“ Matt zeigte bedeutungsvoll seine Hakenprothese hoch. „Hoffentlich hat keiner der Philipps ein solches Ding wie ich, denn damit kann man nicht bloß Holz hacken, sich in der Nase bohren, Schädel spalten, Lasten heben und jemandem den Arsch aufreißen – man kann damit auch Spundlöcher und alle möglichen anderen Löcher verdübeln.“
„Deubel ok“, erwiderte Piet in seiner Muttersprache. „Zum Teufel, mach doch keine blöden Witze.“
Stenmark raunte: „Haltet den Rand, ihr beiden!“
„Was ist denn los?“ zischte Jeff Bowie.
„Matt erzählt mal wieder von seinem Haken“, sagte Smoky spöttisch. „Als ob wir noch nicht wüßten, was für Wunderdinge er damit vollbringt.“
Matt wollte einen gesalzenen Fluch vom Stapel lassen, aber Carberry gab einen drohenden, grollenden Laut von sich und brummte: „Ruhe an Bord, ihr Rübenschweine. Wer jetzt noch ein Wort sagt, dem zieh ich die Haut in Streifen vom Hintern, verstanden, was, wie?“
Ferris Tucker gab ihnen durch Winke zu verstehen, welchen Kurs sie zu steuern hatten. Vor ihnen nahmen sich düster die Konturen der spanischen Galeonen aus, sie schienen langsam zu wachsen. Ferris hielt angestrengt Ausschau und wählte die erste Galeone aus, der ihr Unternehmen gelten sollte. Sie schwoite ziemlich weit vor ihnen in nördlicher Richtung an der Ankerkette. Der Wind stand von Norden, war also ablandig. Die Galeone lag nach Ferris’ Ansicht insofern günstig, als sich genau hinter ihr ein zweites Schiff befand. Die Distanz zwischen beiden betrug höchstens eine halbe Kabellänge.
Bevor er an Land gegangen war, hatte der Seewolf ihnen nämlich empfohlen, sich zunächst das am weitesten in Luv liegende Schiff vorzuknöpfen. Denn wenn Ferris die Bordwand unterhalb der Wasserlinie anbohrte und die Ankertrosse kappte, dann mußte die erste Galeone unweigerlich auf die weiter leewärts befindlichen Schiffe zutreiben und zumindest den ihr am nächsten liegenden Dreimaster rammen.
Die Männer hinter Ferris Tucker begriffen, was er vorhatte – und jetzt grinste nicht nur Matt Davies. Sie konnten sich ausmalen, was für eine Verwirrung es auf der Reede geben würde! Besonders Carberry konnte da in seinem Geist auf ein noch nicht sehr lange zurückliegendes Erlebnis zurückgreifen, hatte er doch – noch unter Francis Drake – in der Nacht des 15. Februar 1579 im Hafen von Callao selbst die Ankertrossen mehrerer leerer spanischer Kauffahrer gekappt. Es hatte ein wüstes Durcheinander gegeben. Die Dons an Bord der Schiffe und am Hafen hatten sich vor Verwirrung fast gegenseitig über den Haufen gerannt. Unterdessen hatten sich Drake und seine Mannschaft mit der vorsichtshalber gefechtsklar gehaltenen „Golden Hind“ heimlich verzupft.
Die Pinasse mutete beinahe wie ein gespenstisches Gebilde an, als sie jetzt auf die „auserkorene“ Galeone der Spanier zuhielt. Ferris Tucker legte seine – Werkzeuge zurecht. Ed Carberry lenkte die Bootsbewegung konzentriert mit der Ruderpinne. Die sechs Männer nahmen die Riemen ein und Carberry steuerte die Pinasse an die Steuerbordseite der Galeone. Behutsam verholten sie das Boot zum Vordersteven.
Von oben waren verhaltene Stimmen zu vernehmen. Der Profos und der Zimmermann legten die Köpfe in den Nacken, vermochten jedoch keinen Spanier zu erkennen. Die Burschen da oben mußten sich irgendwo auf der vorderen Kuhl aufhalten, wo genau, ließ sich nicht orten. Hasards Männern war das auch ziemlich egal. Hauptsache, die Dons lugten nicht vor der Zeit über das Schanzkleid und entdeckten sie!
Die Bordwand der Galeone wuchs finster und drohend neben ihnen hoch, als wolle sie sich über ihnen ausstülpen und sie erdrücken. Ferris Tucker hatte sich im Bug aufgerichtet. Er tastete vorsichtig mit den Fingern an dem Schiff entlang. Der Profos hatte das Manöver so berechnet, daß die Pinasse direkt unter der Galion auslief. Ferris half noch ein bißchen nach und bremste mit den Händen ab. Sie stoppten und konnten über sich den behäbig aufragenden Bugspriet und das Vorgeschirr des Spaniers erkennen.
Die Ankerklüse nahm sich schräg über ihnen, wie ein glotzendes Gigantenauge, aus. Carberry beäugte grinsend die Trosse. Sie stach nicht weit von ihm entfernt in die Fluten. Er tippte sich an die Brust, und damit lag der Fall klar: Er würde sie kappen.
Ferris begann mit seinem Werkzeug zu hantieren. Natürlich hätte er den Bohrer auch irgendwo mittschiffs ansetzen können, doch wegen der Stimmen, die sie gehört hatten, hielt er den Bug in diesem Fall für den günstigsten Platz, um ungestört zu arbeiten. Er brachte der Galeone das erste Loch unterhalb der Wasserlinie bei. Und das war durchaus kein leichtes Stück, er geriet richtig ins Schwitzen dabei. Die Dons bauten ihre Segler aus jahrelang abgelagertem Pinien- oder Edelkastanienholz, denn beide quollen im Wasser nicht auf und erwiesen sich auch sonst als außerordentlich widerstandsfähig.
Diese Galeone hatte einen Rumpf aus Kastanie, echte, gute, harte spanische Edelkastanie! Was die Härte betraf, so stand sie Eichenholz in nichts nach. Ferris fluchte im stillen. Nicht, weil er die Mühe scheute sondern weil es ihm nicht schnell genug ging. Wenn nur die Philipps nicht auf die abwegige Idee verfielen, ausgerechnet jetzt auf die Back ihres Schiffes zu klettern und einen prüfenden Blick übers Schanzkleid nach außenbords zu werfen!
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