Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-795-2
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Roy Palmer
Im Sog des Sturmgotts
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Der Mann mit der Kutte – ein wahrer Goliath an Gestalt – stand auf dem Achterdeck der Dreimast-Handels-Galeone „Valencia“ und blickte voraus. Seine Miene war nachdenklich, seine Stirn leicht gefurcht.
„Was halten Sie von diesem Wetter, Señor Capitán?“ fragte er mit dunkler, wohlklingender Stimme, als der Kapitän zu ihm trat.
Don Angelo Val de Montez betrachtete den Himmel, der sich allmählich dunkler färbte, dann sah er auf das Wasser. Es war von milchigtrübem Blaugrün. Obwohl nur eine schwache Dünung die See kräuselte, schien es sich um unheilverkündende Zeichen zu handeln.
„Es könnte ein Gewitter geben“, sagte Val de Montez. „Daß wir aber Havanna, unser Ziel, sicher erreichen, daran brauchen Sie nicht zu zweifeln, Padre.“
„Aber man soll den Tag auch nicht vor dem Abend loben, wie Sie immer sagen, Señor. Wieso sind Sie plötzlich so zuversichtlich?“
„Weil Kuba nicht mehr weit entfernt ist“, erwiderte Val de Montez lächelnd. „Das gibt mir Zuversicht. Das ist immer so, wenn man von der Heimat her den Atlantik überquert und die Karibik erreicht hat.“
Der Gottesmann fuhr sich mit der Hand über den Bart. „Ja, da haben Sie sicherlich recht, und ich kann diese Stimmung wohl schlecht nachempfinden, obwohl ich selbst froh bin, daß wir bald in Havanna sind.“
„Irgend etwas gefällt Ihnen nicht, Padre David“, sagte der Kapitän. „Ich lese es an Ihren Zügen ab.“ Rasch war er wieder ernst geworden. „Vielleicht rechnen Sie mit einem Sturm. Aber wenn sich das Wetter in den nächsten Stunden verschlechtert, haben wir Zeit genug, die Turks- oder Caicos-Inseln anzulaufen und in eine Bucht zu verholen. Es ist Vormittag. Anders würde es aussehen, wenn es schon Abend wäre und wir eine Nacht mit ungewissem Ausgang vor uns hätten.“
„Ja“, sagte der Mönch. „Da muß ich Ihnen zustimmen. Und ich will auch nicht den Teufel an die Wand malen. Nur habe ich daheim, in Valencia, davon vernommen; daß es hier in der Karibik den Huracán, den gefährlichen Wirbelsturm, geben soll. Die gelbliche Färbung des Himmels in der Ferne scheint mir darauf hinzudeuten.“
Val de Montez zuckte kaum merklich zusammen. Wieder einmal überraschte es ihn, wie gut dieser Mann, der keinerlei Erfahrung in Sachen Seemannschaft hatte, sich auskannte.
„Padre“, sagte er. „Wir haben uns bislang gegenseitig vertraut, nicht wahr?“
Pater David wandte den Kopf und sah ihn offen an. „Das will ich meinen.“
„Dann verlassen Sie sich darauf: Es gibt keinen Huracán.“
Pater David verschränkte die Arme vor der mächtigen Brust. „Um so besser. Die Männer an Bord dieses Schiffes sind mir in der Zeit der Überfahrt ans Herz gewachsen, ich bete täglich für ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen. Es ist mir ein persönliches Anliegen, daß sie alle wohlauf die Insel Kuba erreichen.“
„Und daß wir dort unsere Ladung, die Bauhölzer und Werkzeuge, löschen“, fügte der Kapitän mit einem leichten Lächeln hinzu. „Schließen Sie bitte auch das mit in Ihre Gebete ein.“
Der Gottesmann blieb ernst. „Ich tue auch das.“
„Eigentlich bedaure ich, daß sich unsere Wege in Havanna trennen“, sagte Val de Montez, und er meinte es aufrichtig. „Sind Sie denn sicher, daß Sie das Richtige tun?“
„Völlig sicher.“
„Sie wollen Ihr Werk den Eingeborenen widmen?“
„Allen Menschen, die meine Hilfe und Gottes Beistand brauchen“, erwiderte Pater David. „In erster Linie aber scheinen es die andersfarbigen Menschen zu sein, die in der Neuen Welt Not leiden.“
„Das mag stimmen.“
„Es ist so, ich habe genug darüber gehört.“
„Ja“, sagte Val de Montez. „Aber die Berichte zu vernehmen, die in Spanien kursieren, oder sich direkt mit der harten Wahrheit zu befassen, sind zwei unterschiedliche Dinge.“
„Eben deshalb habe ich in die Neue Welt reisen wollen“, erklärte der Gottesmann. „Um vor Ort selbst urteilen und handeln zu können. Ich weiß schon, was Sie jetzt wieder sagen wollen, verehrter Capitán: daß die Indianer und die Schwarzen Heiden und Menschenfresser seien. Ich gebe mich keinen Illusionen hin, aber man muß auch die feinen Unterschiede erkennen. Was würden Sie davon halten, wenn man behauptet, alle Spanier wären Räuber und Schlagetots?“
„Das wäre eine glatte Verleumdung.“
„Und doch hat es Leute wie Pizarro und Cortez gegeben.“
„Sie haben die Neue Welt dem christlichen Glauben geöffnet“, sagte Val de Montez.
„Aber sie waren keine Missionare“, erwiderte Pater David fast schroff. „Alles andere als das! Viel Unheil und Schaden sind angerichtet worden, und es gilt, einiges wiedergutzumachen.“
„Wir haben uns während unserer Reise mehrfach darüber unterhalten“, sagte Val de Montez. „Aber die Erfahrungen, die ich gesammelt habe, scheinen Ihnen nicht viel zu bedeuten. Ich bin auf Jamaica von Wilden überfallen, halb totgeschlagen und ausgeplündert worden. Auf den Azoren hat mich vor Jahren ein Schwarzer mit einem Messer angegriffen – auch das hätte mich fast das Leben gekostet.“
„Der Herr stehe ihnen bei, denn sie wissen nicht, was sie tun. Waren es immer nur Indianer und Afrikaner, die Ihnen ans Leder wollten, Capitán?“
„Nein. Auch Weiße.“
„Sehen Sie. Mensch ist Mensch. Nur gibt es keine Untermenschen.“
Val de Montez hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Sie sind zu hartnäckig, bei Ihnen beiße ich auf Granit. Aber ich will Sie auch nicht davon überzeugen, daß die Eingeborenen alle Teufel sind. Ich will Sie nur warnen. Seien Sie nicht zu gutgläubig.“
„Danke. Ich werde mich Ihrer Worte entsinnen.“ Pater David zeigte ihm seine Fäuste. „Ich scheue mich auch nicht, hart durchzugreifen, wenn man mich mit Steinen bewirft. Ich weiß, ich weiß, auch das ist nicht unbedingt die wahre christliche Gesinnung. Doch Jesus hat für uns alle gelitten, und es ist nicht erforderlich, seinen Weg unbedingt nachzuvollziehen.“
„Sie haben gewonnen, Padre“, sagte der Kapitän resigniert. „Ich gebe es auf. Und ich kann Ihnen nur wünschen, daß Sie mit Ihrem Vorhaben, in der Neuen Welt allen Unterdrückten und Geknechteten zu helfen, Erfolg haben.“
Sie schwiegen und blickten wieder voraus. Es war der 20. Mai 1594, und die „Valencia“ näherte sich dem östlichen Bereich der Caicos-Inselngruppe.
Eigentlich hatte sich Old Donegal Daniel O’Flynn wieder einmal alles ganz anders vorgestellt. Etwa so: Nach dem siegreichen Gefecht vor Tortuga gegen den spanischen Flottenverband unter dem Generalkapitän Don Alonso de López y Marqués waren die Schiffe des Bundes der Korsaren zur Schlangen-Insel zurückgekehrt – und dort hätte man im Prinzip tüchtig feiern sollen, und zwar Tag und Nacht: erstens wegen des Triumphes und zweitens wegen der „offiziellen Einweihung“ der Flagge, dem schwarzen Tuch mit den beiden gekreuzten goldenen Säbeln. Mit anderen Worten, all das war Anlaß genug, in „Old Donegals Rutsche“ die Humpen zu lenzen, bis einer nach dem anderen total angeschlagen unter die Tische sank.
Aber er hatte – wie üblich – seine Pläne ohne „den Wirt“ aufgestellt. Der Wirt war zwar eigentlich er, aber das „Sagen“ hatte Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, die vollauf mit den Vorbereitungen für die Taufe des Wikinger-Zwillings-Pärchens auf der Schlangen-Insel beschäftigt war. Alles andere war unwichtig und mußte zurückgestellt werden – auch das Saufen.
Читать дальше