Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-798-3
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Roy Palmer
Sklavenfracht für Spanien
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
„Golondrina“ – so hieß die spanische Dreimastgaleone, „Schwalbe“ also. Vergleiche drängten sich beim Klang dieses Namens auf, die Vorstellung von Schönheit, Schnelligkeit, Gewandtheit und Eleganz. Die Schwalbe flog über die See, weißer Gischt, wie Schneeflocken wirkend, umschäumte ihren Bug. Sie strebte fernen, paradiesischen Zielen entgegen.
Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Plump und trist war der äußere Anschein, den das Schiff bot. Sie war kein schneller Segler, diese „Golondrina“, sondern eine höchst lahme Ente, und sie war nicht der Inbegriff romantischer Seefahrt, sondern es herrschte die Hölle an Bord.
Pater David erhielt von diesen Zuständen einen ersten Eindruck, als er sich an Bord der „Golondrina“ begab und in den großen Laderaum hinunterstieg. Unwillkürlich blieb er auf den Stufen des Niederganges stehen und preßte die rechte Hand vor den Mund. Ein infernalischer Gestank schlug ihm entgegen – doch das war nichts im Vergleich zu dem erbarmungswürdigen Bild, das sich im nächsten Moment seinen Augen bot.
Da hockten sie im trüben Schein einer einzigen Öllampe, die an dem Eisenhaken eines der Deckenbalken taumelte: nackte und halbnackte Gestalten, deren fiebrig glänzende Augen sich auf den großen Mann richteten. Ihr Zustand sprach für, sich und bedurfte keiner weiteren Erläuterung. Abgezehrt und ausgemergelt waren sie, bis auf die Knochen abgemagert, verschmutzt und verwahrlost. In stummem Leid ertrugen sie ihr Dasein, längst waren ihre Tränen versiegt, denn sie hatten keine andere Wahl, als sich ihrem grauenvollen Schicksal zu fügen.
Dieses Schicksal hatte gewollt, daß man sie gewaltsam ihrer Heimat entriß, sie an Bord dieses Schiffes trieb und prügelte und zusammenpferchte wie Vieh. Kaum etwas zu essen und zu trinken und das schmähliche Dahinvegetieren im eigenen Schmutz – keinem Menschen konnte eine größere Schande und Erniedrigung zugefügt werden.
Nach Spanien hatte man sie verschleppen wollen, wo sie als „besonders seltene und eigentümliche Rasse Mensch“ vorgeführt werden sollten. Hunger, Durst und Krankheit gingen in diesem übelriechenden Raum um. Jeder Widerstand gegen das furchtbare Los – ohnehin sinnlos – war von Anfang an durch Gewalt unterbunden worden.
Am schlimmsten, so fand Pater David, erging es den Kindern. Skeletthafte Hände reckten sich ihm entgegen und schienen hilfesuchend zugreifen zu wollen. Dünne, ausgetrocknete Lippen murmelten Worte, die er nicht verstand.
Er trat mitten zwischen eine Gruppe von Kindern, die sich an der Backbordwand zusammengekauert hatte, beschrieb das Zeichen des Kreuzes vor der Brust und sagte mit ruhiger Stimme: „Der Herr segne euch und sei euch gnädig.“
Jetzt nahm er auch den schier unerträglichen Gestank nicht mehr wahr. Denn was war der Gifthauch des Todes gegen die Wichtigkeit seines Einsatzes, die Rettung dieser armen Teufel? Ohne zu zögern, griff er nach den Händen, die ihn betasteten, lächelte und sprach beschwichtigende, tröstende Worte.
Auch die Frauen und die Männer rückten nun näher auf ihn zu. Ihre Mienen waren verstört, aber auch fragend. Wer war dieser hünenhafte Mann mit der Kutte, der sich ihrer erbarmte und Mitleid zeigte? Er war ein weißer Mann aus der fernen Welt Europa. Weiße Männer waren böse, sie mordeten und brandschatzten und rissen an sich, was sie erraffen konnten. Dieser hier aber schien gut zu sein. Sie spürten seine Menschlichkeit und Güte, sie konnten sich ihr nicht entziehen. Er sprach die Sprache derer, die das Schiff befehligten und Tod und Grauen säten.
Wie paßte das zusammen?
Pater David las es in den Gesichtern der Männer: Sie hatten alles verloren – nur ihren Stolz nicht. Er war das einzige und letzte, was sie aufrecht erhielt. Insgeheim konnte er nicht umhin, den Mut und Überlebenswillen dieser Menschen zu bewundern.
Sie waren Mixteken und stammten aus Neuspanien, aus dem Land Mexiko also, in dem auch die Azteken und Mayas gelebt hatten. Sie waren ein Indianerstamm mit einer der ältesten und höchstentwickelten Kulturstufen in Mexiko, wie Pater David wußte, und sie lebten in den Bergen des Binnenlandes, wo sie friedlich Ackerbau und ein wenig Viehzucht betrieben. Berühmt geworden aber waren sie durch ihre Goldschmiedekunst. Niemand konnte das edle Metall so gut verarbeiten wie diese Menschen mit den geschickten Fingern.
Der Beweis ihres Könnens lagerte in den anderen Frachträumen der „Golondrina“: Kult- und Schmuckgegenstände der Mixteken, eine Fülle von funkelnden Kostbarkeiten. Die Spanier hatten den Stamm überfallen und ausgeplündert. Diejenigen, die das Massaker überlebt hatten, waren an Bord der Galeone verschleppt worden. Sie sollten zur „Schau und Belustigung“ dem königlichen Hof von Spanien übergeben werden.
So erhielt Pater David den ersten Anschauungsunterricht, wie seine Landsleute es in der Neuen Welt trieben. Die Wut hatte nicht nur ihn, sondern auch den Seewolf selbst und die anderen Männer der „Isabella IX.“ gepackt, doch er gab sich Mühe, sich zu beherrschen. Sonst hätte er dem feisten Kapitän der „Golondrina“ nämlich längst die Faust mitten ins Gesicht geschmettert.
Wenn es darum ging, sich seiner Haut zu wehren oder irgendwo tatkräftig einzugreifen, stand Pater David in nichts hinter den Männern der „Isabella“ zurück. Dann handelte er getreu dem Bibelwort „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Dennoch war er kein Mann der Gewalt, besessen nur von dem Wunsch, die „Wilden“ in den Kolonien zu taufen und zu frommen Christenmenschen zu erziehen. Für ihn waren sie keine Heiden, sondern in erster Linie Menschen, denen man einen anderen Glauben nicht einfach aufzwingen durfte. Nach diesem schlichten Prinzip handelte er. Er war ein Jünger von Las Casas, an dessen Lehren und Philosophie er sich hielt.
Er streichelte den Kopf eines etwa zehn Jahre alten, bis auf die Knochen abgemagerten Mädchens, das neben ihm stand und seine Hand fest drückte. Plötzlich veränderten sich ihre Züge. Sie lächelte.
Es war das erste Lächeln, das Pater David in diesem Schmutz und Elend sah.
„Hab Vertrauen“, sagte er zu dem Mädchen. „Es wird alles wieder gut. Die Zeit des Leidens ist vorbei.“
Sie betrachtete ihn interessiert, schüttelte dann aber den Kopf. Er blickte zu den anderen, forschte in ihren ledrig und versteinert wirkenden Gesichtern nach einem Signal des Verstehens.
„Versteht mich denn keiner?“ fragte er. „Leider beherrsche ich eure Sprache nicht. Aber ich werde sie lernen.“
Eine alte Frau näherte sich mit schlurfenden Schritten. Sie schien krank und schwach zu sein und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Sie wirkte eher tot als lebendig, aber in ihren Augen war der Funke der Energie und Zähigkeit – wie bei den anderen. Sie hob die Hand, deutete mit dem Finger auf Pater David und murmelte etwas, das er wieder nicht verstand.
„Laßt uns beten“, sagte Pater David. „Es tut uns allen gut. Morgen scheint die Sonne für uns alle, sie pflanzt neue Hoffnung in eure Herzen.“
Siebzig Menschen. Wie lange befanden sie sich an Bord dieses Sklavenschiffs? Wieviel Zeit hatte die Überfahrt von Neuspanien bis nach Havanna und den Bahama-Inseln in Anspruch genommen? Pater David nahm an, daß es drei bis vier Wochen waren.
Die Überquerung des Atlantiks würde zwei bis drei Monate dauern, je nach Wind und Wetterbedingungen. Nicht die Hälfte der Gefangenen würde die Reise unter den unmenschlichen Bedingungen überstanden haben. Vielleicht wären sogar nur knapp zwei Dutzend Mixteken in Spanien angelangt – oder noch weniger.
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