Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-574-3
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Der Böller einer Kanone riß Kapitän Leone Cantieri höchst unsanft aus seinen Träumen. Er fuhr hoch, warf die Decke zur Seite, sprang ungestüm von seiner Koje auf und stieß sich dabei den Kopf an einem der niedrigen Deckenbalken.
Etwas heulte heran, und dann stieg rauschend das Wasser neben der Bordwand auf, so nah, daß er es in aller Deutlichkeit vernehmen konnte.
Wieder donnerte es ohrenbetäubend. Die Planken vibrierten unter Cantieris Füßen und verkündeten ihm, daß es diesmal eins der eigenen Geschütze war, das gezündet worden war.
Allmächtiger, dachte er entsetzt, laß es nicht wahr sein!
Aber das Schreien der Männer auf dem Batteriedeck, das Trappeln hastiger Schritte und das Rumpeln der Kanonen, die in aller Eile ausgerannt wurden, verrieten ihm, daß er keiner Täuschung erlegen war. Die Wirklichkeit bot sich ihm hart und unerbittlich dar, sie kannte keinen Kompromiß. Das Unheil war über den kleinen Verband von drei Schiffen hereingebrochen, jäh und gänzlich unerwartet.
Capitano Cantieri fluchte und taumelte, noch halb benommen vom Schlaf, durch seine Kammer im Achterkastell der Galeone. Er raffte seine Kleidungsstücke zusammen, stieg ins Beinkleid und zog sich Hemd und Wams über. Mit den ledernen Stulpenstiefeln in der Hand stürmte er in den Mittelgang hinaus.
Nach vier oder fünf Schritten prallte er mit Franco Benedetti, seinem Ersten Offizier, zusammen, der ihm aufgeregt gestikulierend entgegenhastete. Sie gerieten miteinander ins Gehege und drohten zu fallen. Außer sich vor Wut, stieß der Kapitän dem anderen die Hand gegen die Brust.
„Mann!“ schrie er ihn an. „Was, zum Teufel, hat das zu bedeuten? Seid ihr Kerle verrückt geworden?“
„Wir sind angegriffen worden, Signore“, erwiderte Benedetti schwer atmend.
Mit einem weiteren Fluch riß Cantieri sich von ihm los und stürzte zum offenen Schott. Er stürmte aufs Hauptdeck hinaus – und genau in diesem Augenblick ertönte wieder das Krachen einer Kanone, diesmal aber nicht an Bord seiner „Michelangelo“, sondern außerhalb, draußen auf See, beängstigend nah an der Backbordseite des Schiffes.
Er sah den Feuerblitz, hörte das wilde Grölen von Männern in einer Sprache, die er nicht verstand, und dann raste auch diese Kugel mit jenem eigentümlichen Pfeifen heran, das jeden erfahrenen Seemann veranlaßte, unverzüglich in Deckung zu gehen.
Capitano Cantieri warf sich hinter die Nagelbank des Großmastes. Mit ihm legten sich auch die anderen flach auf die Planken, alle, vom Ersten Offizier, der inzwischen wieder neben ihm war, bis hin zum Moses, der wieselflink unter den Steuerbordniedergang der Back kroch.
Das Schanzkleid der Kuhl erbebte, als hätten Giganten mit Hämmern darauf eingeschlagen. Es krachte und knirschte, und in die berstenden Geräusche mischte sich das Schreien der Männer. Trümmerteile wirbelten wie ein Haufen Grashalme, in die jemand mit aller Kraft hineingeblasen hatte, durch die Dunkelheit.
O Hölle, dachte Cantieri mit aufkeimender Panik, sie haben dich überrumpelt, sie haben dich in eine tödliche Falle gelockt, Herrgott, wie viele sind es nur?
Er begriff, daß es ein Fehler gewesen war, sich für die Zeit der Mittelwache schlafen zu legen. Aber Benedetti, der planmäßig die Leitung der Deckswache übernommen hatte, hatte ihn überzeugend darauf hingewiesen, daß es eine ruhige Nacht werden würde, in der sie sich um nichts zu sorgen brauchten. Die See war ruhig, der Wind blies frisch aus Südwesten, und eine Verschlechterung der Wetterlage war nicht zu erwarten.
Nach den wenigen Kreuzschlägen, mit denen der Verband von seinem Heimathafen Livorno aus die offene See angesteuert hatte, waren die „Michelangelo“, die „Tirrenia“ und die „Leonardo da Vinci“ hoch an den Wind gegangen, und es schien gewiß zu sein, daß sie bei der guten Fahrt, die sie, über Backbordbug liegend, liefen, im Verlauf des nächsten Nachmittags die Insel Elba – ihr Ziel – erreichen würden.
Mit dieser optimistischen Vorausschau vor Augen hatte der Kapitän sich nur zu gern in seiner Koje zur Ruhe gelegt. Etwas von der Energie, die er in den letzten Tagen bei den Vorbereitungen der kurzen, aber wichtigen Reise hatte aufwenden müssen, hatte er auf diese Weise zurückgewinnen wollen. Doch der Preis für die wenigen Stunden Schlaf war hoch, zu hoch.
Mit Überfällen mußte man in diesen Gewässern immer rechnen. Piraten aller Herren Länder verunsicherten die Tyrrhenischen Küsten, vorwiegend Türken und Nordafrikaner, aber auch Franzosen, Engländer und Holländer.
Cantieri hatte sich jedoch auf seine Deckswache und deren Ausguck verlassen und fest damit gerechnet, daß die Männer etwaige Feinde rechtzeitig genug sichten würden.
Heftig prasselten die Trümmer auf die Planken nieder. Schräg links vor sich sah Cantieri einen der Decksposten, der verkrümmt neben einer der Culverinen lag und sich stöhnend den Unterleib hielt.
„Feldscher!“ schrie Cantieri. „Den Mann verarzten! Profos!“
„Signore?“ rief der Zuchtmeister der „Michelangelo“.
„Eine halbe Backbordbreitseite auf den Feind abgeben! Schnell, schnell, beeilt euch doch, ihr Hunde, verflucht noch mal!“
Der Profos scheuchte die Männer aus ihren Deckungen hoch, seine Rufe hallten über Deck.
Cantieri fuhr zu seinem Ersten Offizier herum.
„Warum hat man mich nicht eher geweckt?“ schrie er ihn an.
„Es erfolgte zu überraschend, Signore!“
„Wie konnte das geschehen?“
Die Kanonen der „Michelangelo“ wummerten und ließen das Deck schwanken. Grell stachen die Mündungsblitze in die Nacht. Benedetti erwiderte etwas auf die Frage seines Kapitäns, doch dieser begriff kein Wort und gab es ihm durch eine Gebärde zu verstehen.
Benedetti wiederholte: „Das Schiff näherte sich plötzlich in Lee, aus Richtung der Küste, von dorther also, wo wir am allerwenigsten mit einem Gegner gerechnet hätten.“
„Man muß stets auf alles gefaßt sein!“ rief der Kapitän wutentbrannt. „Ich werde den Ausguck auspeitschen lassen, er hat geschlafen!“
„Signore, das ist nicht wahr! Auch die ‚Tirrenia‘ und die ‚Leonardo‘ haben das Schiff nicht gesehen!“
Das Johlen der Männer um sie herum besagte, daß drüben beim Gegner zumindest ein Treffer zu verzeichnen war. Jetzt aber donnerten wieder die Geschütze auf der anderen Seite, und rasch suchten die Männer der „Michelangelo“ ihre Deckungen auf.
„Nur ein Schiff?“ schrie Leone Cantieri. „Nur ein einziges, haben Sie gesagt?“
„Ja, aber es ist ein Dreimaster, groß, mit starker Armierung. Er …“
Der Rest seiner Worte ging in dem Getöse unter, mit dem die feindlichen Kugeln die Galeone erreichten. Wieder ging ein Teil des Backbordschanzkleides zu Bruch, aber bedenklicher schien der Treffer zu sein, der irgendwo weiter unten im Schiffsleib zu verspüren war. Eine weitere Kugel heulte flach übers Hauptdeck und riß einen Mann mit sich, dessen gellender Todesschrei alle anderen Laute übertönte und sich dann an Steuerbord in der Nacht verlor.
„Zur Hölle“, rief Cantieri, „wer sind diese Teufel?“
„Engländer“, erwiderte Benedetti. „Soviel habe ich aus ihren Worten verstanden. Ihr Schiff ist groß …“
„Das haben Sie mir eben schon gesagt, verflucht!“
„… und hat dunkel gelohte Segel“, fuhr der Erste Offizier fort. „Natürlich segelten sie ohne jegliche Beleuchtung heran, so daß wir sie erst im allerletzten Moment sahen. Dann setzten sie uns einen Schuß neben die Bordwand.“
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