Impressum
© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-360-2
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Bootsmann Sullivan war ein gewissenhafter Mann. Er nahm seine Aufgaben – und das waren zur Zeit nicht wenige – höllisch ernst. Es gab nichts, das ihn von der kompromißlosen Erfüllung seiner Pflicht abhalten konnte. Gut eine Stunde hatte er darauf verwendet, zunächst das Unterdeck und dann das Vorschiff der Kriegskaravelle „War Song“ zu inspizieren. Und er hatte einiges zu beanstanden gefunden!
Einige Kojen in den Mannschaftsräumen waren nicht ordnungsgemäß gerichtet, die Logis bot ein Bild, das ihn schauderhaft fluchen ließ. In der Kombüse hatte er an den Wänden Fettflecke und auf den Vorratsschapps fingerdicken Staub entdeckt.
Sullivan trat durch das Backbordschott des Vordecks auf die Kuhl. Er stemmte die Fäuste in die Seiten und ließ den Blick wandern. Er war ein stämmiger Mann mit breiten Schultern. Seine blauen Augen hatten Tiefe und Ausdruck und vermittelten etwas von der Härte und Unnachgiebigkeit, aber auch von der Vertrauenswürdigkeit seines Charakters. Seine rotblonden Haare wurden von dem handigen Nordwestwind zerzaust, der an diesem Nachmittag des 10. Februar 1580 über die Mill Bay vor Plymouth blies.
„Harris! Jenkins!“ rief Sullivan.
„Sir?“
„Ab ins Vorschiff mit euch zum Aufklaren! Was ist denn das nur für ein verdammter Saustall?“
Harris und Jenkins, zwei Kerle, so groß wie Schränke, lösten sich vom Backbordschanzkleid und drehten sich zu ihm um. Zuerst sahen sie ihn etwas verdattert an, aber dann setzten sie sich schleunigst in Bewegung. Sie flitzten an ihm vorbei.
„Räumt die Mannschaftsräume auf und schrubbt die Kombüse, bis die Schwarte kracht!“ rief Sullivan ihnen nach. „Ich will alles glänzen sehen. Ich dulde keine Schweinerei und keinen Schlendrian an Bord. So was wollen wir gar nicht erst einreißen lassen.“
Er wandte sich wieder der Kuhl zu. Sie war nicht sehr groß. Gleich hinter dem Großmast begann das höhergelegene Quarterdeck und ganz achtern ragte das Achterdeck mit dem Besanmast auf. Bootsmann Sullivan erfaßte die Situation mit einem Blick. An der Backbordseite der Kuhl, wo auch das Beiboot in seinen Laschings ruhte, drängten sich sämtliche Männer der Deckswache und scherten sich einen Dreck um die Borddisziplin.
Sullivan schritt zu ihnen. Er baute sich mit verschränkten Armen hinter ihnen auf, aber sie schienen ihn nicht zu bemerken. Wie gebannt blickten sie voraus, nach Nordwesten in die Mill Bay.
Sullivan war ein aufrechter, im Grunde seines Herzens ausgesprochen gutmütiger Mensch. Aber, wie gesagt, er duldete keine Trödelei an Bord eines Schiffes, schon gar nicht auf einer Kriegskaravelle vom Format der „War Song“.
Er sprach nicht besonders laut. Dennoch zuckten einige Männer jetzt zusammen.
„Ihr Himmelhunde! Ja, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen? Ihr glaubt wohl, weil der Kapitän nicht an Bord ist, könnt ihr wie die Mäuse auf dem Tisch tanzen, wie? Aber da habt ihr euch verrechnet.“
„Aye, aye, Sir“, antworteten einige Männer. Dennoch hielten sie den Blick unverwandt auf die am nördlichen Ende der Mill Bay gelegenen Hafenanlagen und Piers gerichtet.
Sullivan trat ganz dicht hinter sie. „Was, zum Teufel, gibt es da zu gaffen? Habt ihr Rindviecher etwa einen Weiberrock entdeckt? Ich werde ...“
Einer, der ein Spektiv vor dem Auge hielt, entgegnete: „Nein, Sir, keine Weiber. Wir beobachten nur, was sich da am Ende der langen Pier abspielt.“
Sullivan spähte nun selbst Backbord voraus und sah die große Dreimast-Galeone, die am äußersten Ende der Pier vertäut war. Zwischen ihr und der „War Song“, die an der Pontoon Pier ganz am östlichen Eingang der Mill Bay lag, erstreckte sich etwa eine Viertelmeile Distanz, doch Sullivan sah ohne Schwierigkeiten die Menschenmenge, die sich dort drüben auf der Pier bewegte. Die Galeone hatte er bereits am Vormittag gesehen, als sie unter dem wolkenverhangenen Himmel in den Hafen von Plymouth eingelaufen war.
„Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt“, sagte Sullivan. „Habt ihr Narren noch nie eine Galeone gesehen? Ich streiche euch den Landurlaub, wenn ihr weiter verrückt spielt.“
Der Mann mit dem Spektiv, ein gewisser Feeney, erwiderte: „Sir, das ist keine gewöhnliche Galeone. Ich erkenne an der Bauart, daß es sich um ein spanisches Schiff handelt.“
„Das sieht doch ein Blinder mit dem Krückstock.“ Sullivan zeigte eine wegwerfende Geste. „Die Dons haben zwar die geklinkerte Bauweise von uns übernommen, aber zwischen ihren und unseren Schiffen gibt es doch erhebliche Unterschiede. Seht euch bloß mal die Heckgalerie mit den Verzierungen an!“
„Ein schmuckes Schiff“, sagte Feeney.
„Edel“, sagte ein anderer.
Sullivan grinste. „Und die Besatzung besteht aus Engländern. Der Leibhaftige soll mich holen, wenn es nicht so ist. Unsere Leute haben die Galeone irgendwo vor der spanischen Küste, in der Biskaya, vor Frankreich oder sogar vor Irland aufgespürt, gekapert und als Prise mitgebracht. Ich habe heute früh, als sie vorüberzog, die Kampfspuren gesehen, die sie trägt. Da ist kräftig hingelangt worden, kann ich euch sagen. Ich kann mir vorstellen, wie erbittert der Kampf um das Schiff verlief. Wer weiß, was es in seinen Frachträumen birgt.“
„Coleman weiß es“, sagte Feeney. „Coleman war heute morgen an Land.“
Coleman, ein vierschrötiger, etwas einfältiger Seemann und Soldat Ihrer königlichen Majestät Elizabeth I., nickte. „So ist es. Die Galeone hieß früher ‚San Josefe‘, wurde aber in ‚Isabella V.‘ umgetauft – und sie gehört keinem anderen als Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, wie die Leute ihn nennen.“
Sullivan zog die Augenbrauen hoch. „Donnerwetter. Und das erfahre ich erst jetzt, Coleman?“
„Sie – Sie haben mich ja nicht danach gefragt, Sir.“
„Dummkopf. Feeney, gibt mir mal den Kieker.“
Bootsmann Sullivan blickte angestrengt durch das Spektiv. Die Optik fing die Pier ein und brachte sie ihm nahe. Der Pöbel von Plymouth drängte sich dicht vor der Bordwand des großen Schiffes. Da wurden Fäuste gereckt, Rufe ausgestoßen. Die Masse wogte hin und her. Jemand wurde beinahe ins Wasser gedrückt.
Sullivan wußte, was das zu bedeuten hatte.
„Dieser Seewolf“, sagte er. „Er soll ein tollkühner Kerl sein, der weder Tod noch Teufel fürchtet. Ich habe schon die haarsträubendsten Geschichten über ihn vernommen. Wenn die alle wahr sind ...“
Er ließ den Blick über die Decks der „Isabella V.“ wandern. Er sah einen breitschultrigen Mann mit dunkelblondem Haar, einen weißhaarigen Alten, der auf Krücken lief, einen rothaarigen Riesen und einen Koloß von Mann mit grauem Haupthaar und wirrem grauem Bartgestrüpp. Sie schritten ziemlich aufgeregt auf dem Achterdeck auf und ab.
„Jemand hat mir mal erzählt, wie der Seewolf aussieht“, sagte Sullivan. „Er soll ein großer, ziemlich junger Mann mit schwarzen Haaren und blauen Augen sein. Ich kann ihn aber auf der Galeone nicht erkennen.“
Coleman meldete sich wieder zu Wort. „Er wurde noch am Vormittag von Bord gebracht. Er ist verletzt. Ziemlich schwer soll’s ihn erwischt haben, am Kopf, glaube ich. Die Leute von Plymouth munkeln, man habe ihn zu Sir Freemont transportiert.“
„Sir Anthony Abraham Freemont? Kann schon sein“, sagte Sullivan. „Aber die Leute schwätzen viel, wenn der Tag lang ist. Eins steht jedoch fest. Da drüben braut sich was zusammen. Das Volk sieht mir verdammt gierig und angriffslustig aus, und die Männer an Bord der Galeone scheinen auch ziemlich gereizt zu sein.“
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