Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-554-5
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
So freundlich wie an diesem Nachmittag hatte man die Männer der „Isabella VIII.“ schon lange nicht mehr begrüßt. Am felsigen Ufer der Insel, die knapp zweihundert Seemeilen nördlich des Wendekreises des Steinbocks mitten im Atlantik lag, stand ein Mann und winkte ihnen zu. Damit nicht genug – er schwenkte sogar ein großes Tuch über seinem Kopf und benahm sich etwa so, als freue er sich über die Rückkehr sehr guter alter Freunde.
Sämtliche Einzelheiten, die seine Person betrafen, waren durchs Spektiv zu erkennen, so zum Beispiel seine große und kompakte Statur, sein breites, angenehmes, lachendes Gesicht und sein langes Gewand aus buntem und offenbar sehr teurem Stoff.
Zu den Füßen des Fremden – auch dies vermochten Philip Hasard Killigrew und seine Kameraden beim Heransegeln deutlich zu sehen – standen eine geöffnete Kiste und ein Tonkrug. Außerdem lagen noch ein paar Ballen Tuch auf den Uferfelsen, als habe man sie dort eben gerade kunstvoll drapiert.
Old O’Flynn und Ben Brighton standen mit dem Seewolf auf dem Achterdeck der „Isabella“ und beobachteten den Fremden interessiert durch ihre Fernrohre. Sie blickten über das Backbordschanzkleid, denn noch segelte die Galeone nördlichen Kurs mit achterlichem Wind, aber die kleine Gruppe von Inseln, die Bill vor etwa einer Stunde vom Großmars aus entdeckt hatte, befand sich im Nordwesten, also Backbord voraus.
Old O’Flynn verzog griesgrämig das Gesicht und ließ das Spektiv sinken.
„Der Kerl gefällt mir gar nicht“, sagte er. „Um den schlagen wir am besten einen großen Bogen.“
Ben lachte. „Typisch Donegal! Etwas anderes als dieses vernichtende Urteil war von dir wohl nicht zu erwarten, was?“
„Natürlich nicht“, sagte Big Old Shane, der eben zu ihnen trat. „Aber wir kennen die Leier ja schon, Ben. Wir müssen es eben lernen, damit fertigzuwerden.“
Der Alte warf ihm einen schrägen Blick zu. „Dir fällt es schwer, mich zu ertragen, was, Shane, du blinder Aal? Ich bin mal wieder der Geisterseher und Schwarzmaler, der von vornherein alles im falschen Licht sieht, oder? Aber denk mal an die Insel Tristan da Cunhas zurück, die jetzt mehr als tausend Seemeilen hinter uns liegt. Da hätten wir uns auch eine Menge Ärger sparen können, wenn alles auf mich gehört hätte.“
Jetzt griff Hasard ein und sagte: „Dafür haben wir jetzt aber auch wieder genügend Trinkwasser an Bord, Donegal, was sonst nicht der Fall gewesen wäre.“
Der alte O’Flynn setzte ein schiefes Grinsen auf. „Es soll ja auch keine Kritik an deiner Entscheidung sein. Ich muß mich nur gegen diesen Armleuchter verteidigen, der wie alle anderen immer wieder meine gutgemeinten Warnungen in den Wind schlägt.“
Shane lachte. „Eins ist mal sicher – wenn statt des Kameraden mit dem komischen Gewand dort drüben am Ufer ein paar handfeste Ladys ständen, würde deine Begeisterung keine Grenzen mehr kennen.“
„Kann schon sein“, sagte der Alte. „Aber nach Frauen kannst du dir hier, in dieser gottverlassenen Ecke Welt, die Augen aus dem Kopf starren, du findest keine.“
Ben Brighton hatte inzwischen nicht aufgehört, das Tun des Fremden zu verfolgen.
„Hilfe scheint der Mann nicht nötig zu haben“, meinte er. „Er sieht nämlich rundum zufrieden aus. Was will er also von uns?“
„Ich frage mich, was er in seiner Kiste hat“, brummte Old O’Flynn. „Und was, zum Teufel, steckt in dem merkwürdigen Topf?“
„Das müßtest du doch eigentlich wissen“, sagte Shane. „Du bist der einzige von uns, der von sich behauptet, hellsehen zu können.“
Der Alte wollte aufbrausen, aber Hasard trat zwischen ihn und den graubärtigen Riesen, ehe ein richtiger Streit entflammen konnte.
„Wahrscheinlich handelt es sich um irgendwelche Waren, die er zum Kauf feilbieten will“, sagte er. „Mir erscheint es zwar auch ein wenig eigenartig, ausgerechnet hier einen Händler anzutreffen, aber ich werde das Gefühl nicht los, daß er sich ein gutes Geschäft von einer Begegnung mit uns verspricht.“
„Dem husten wir was“, murmelte Donegal Daniel O’Flynn senior zornig.
„Auf jeden Fall ist er ein Europäer“, stellte Ben fest. „Der Himmel mag wissen, was ihn hierher, auf die Martin-Vaz-Inseln, verschlagen hat.“
Auch der Seewolf spähte nun wieder durch sein Spektiv und versuchte, sich ein klares Bild von der Erscheinung des Fremden zu verschaffen.
„Sir!“ rief Bill plötzlich aus dem Großmars. „Ich sehe eine Gruppe Menschen, die sich zwischen den Felsen hinter dem Ufer bewegt! Vielleicht sind das Wilde!“
„Und vielleicht versucht man, uns eine Falle zu stellen“, meinte Old O’Flynn mit hartnäckigem Mißtrauen. „Danach riecht mir das Ganze nämlich.“
Bill konnte von seinem erhöhten Standort aus mehr sehen als die Männer auf dem Oberdeck der „Isabella“, und so erkannte er die Gestalten, die gewandt in den Felsen abstiegen, eher als sein Kapitän und seine Kameraden. Während er die schwankenden Schiffsbewegungen, die im Großmars doppelt und dreifach zu spüren waren, durch Beinarbeit auszugleichen trachtete, versuchte er, den Kieker so ruhig wie möglich zu halten.
Mit einemmal glaubte er, seinen Augen nicht mehr zu trauen.
„Ach, du meine Güte“, sagte er. Diese Bemerkung war eigentlich nicht für die Crew bestimmt, doch Bill sprach sie immerhin noch so laut aus, daß sie auf der Kuhl zu verstehen war.
Carberry stemmte prompt die Fäuste in die Seiten und blickte zu dem Moses hoch. „Hölle und Teufel, was ist los, Bill, du Satansbraten?“ brüllte er zum Großmars hinauf. „Du stehst ja da, als hätte dich aus heiterem Himmel ein Blitz getroffen! Ist dir der Wind in die Hosen gefahren, oder hast du auf der verdammten Insel Menschen mit drei Beinen und zwei Köpfen gesichtet? Antworte!“
„Das da – das sind ja Frauen“, stammelte Bill.
„Frauen“, wiederholte der Profos verächtlich. „Da hört sich doch alles auf. Der Kerl will uns verulken. Na warte, komm du bloß runter auf die Kuhl, Moses, dann kannst du was erleben.“
„Ho!“ schrie jetzt jedoch Blacky, der mit dem Kieker am Backbordschanzkleid des Hauptdecks stand. „Holla, Leute, das ist ja nicht zu fassen! Da versammelt sich wirklich eine Schar von Weibern rings um den bunten Heini! He, seht euch das an!“
Zweimal brauchte er das nicht zu sagen. Alles, was auf der „Isabella“ Beine hatte, stürzte jetzt ans Backbordschanzkleid und spähte mit erwartungsvollen Mienen zu der Insel hinüber. Selbst Arwenack eilte den Männern nach und erklomm die Hauptwanten, und auch Sir John, der karmesinrote Arancanga, flatterte seinem Herrn und Gebieter Edwin Carberry nach. Er ließ sich auf dessen linker Schulter nieder, als dieser zu Blacky und zu Matt Davies trat, die sich fast um Blackys Kieker gebalgt hätten, sandte einen trüben Blick zur Küste des Eilandes und brabbelte unverständliches, griesgrämiges Zeug vor sich hin.
Die Stimmung an Bord der Galeone, die eben noch gespannt und argwöhnisch gewesen war, schlug jetzt wie durch Zauberei um. Carberry bedauerte es, von einer „verdammten Insel“ gesprochen zu haben. Er hob selbst den Kopf und reckte den Hals, um einen günstigen Blick auf die Insel zu erhaschen. Die Crew stieß Hurra- und andere Jubelrufe aus, Bill lachte und rieb sich die Hände, und auch auf dem Achterdeck konnte man gar nicht ausgiebig genug zu dem Mann mit dem Gewand und seinem „Harem“ hinüberäugen.
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