Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-851-5
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Davis J. Harbord
Tagsüber verschwand der Gouverneur – und nachts explodierte das Pulverlager
Am 28. November 1594 war Hasard mit seinem elfköpfigen Trupp aus dem Tacna-Tal aufgebrochen – zum Marsch auf die Silberstadt Potosi. Pater Aloysius aus dem Land Tirol diente den Männern als Bergführer und Scout – und sie konnten froh sein, diesen zähen, mutigen und kundigen Mann für sich gewonnen zu haben, denn der Marsch und der Aufstieg in die eisigen Höhen der Anden waren mörderisch. Oben, auf der tristen Hochebene des Altiplano, mußten sie Fred Finley mit gebrochenem Fußknöchel zurücklassen. Aber eine Indiofamilie würde für ihn sorgen. Und als sie den Elendszug der Indios sichteten, der sich unter Bewachung nach Potosi schleppte, da schlugen sie zum ersten Male zu. Am 27. Dezember erreichten sie ihr Ziel Potosi …
Die Hauptpersonen des Romans:
Philip Hasard Killigrew– entwickelt fast generalstabsmäßig einen Plan, um die Stadt zu lähmen.
Pater Aloysius– kennt sich gut in Potosi aus und hat ebenfalls Ideen.
Don Ramón de Cubillo– erhält eine Chance zum Überleben und greift zu.
Edwin Carberry– ernennt sich selbst zum Gefängnisdirektor.
Die Stadträte von Potosi– empfangen Befehle, die ihnen die Sprache verschlagen.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Potosi, 28. Dezember 1594.
An die dreizehntausend Fuß hoch liegt die Stadt, an deren Südrand der „Cerro Rico“ aufragt, der reiche Berg, der Silberberg, der „Sumack Orcko“, wie ihn die Inkas genannt hatten. Über den Dächern der Stadt erhebt er sich wie ein Kegel – noch einmal an die über zweitausend Fuß hoch.
Die Sage berichtet, daß die Inkas den „Sumack Orcko“ unberührt gelassen hätten. Eine Stimme aus dem Berg soll ihnen befohlen haben, seinen Reichtum nicht anzurühren, das Silber sei für andere Besitzer bestimmt.
Die Sage berichtet viel – so von dem Indio aus Porco, südwestlich von Potosi, der bereits zur Zeit der Spanier in eine Höhle des Berges gekrochen wäre, um sich dort vor der Kälte der Nacht zu schützen. Die Hitze seiner Fackel, die er in den Felsen gesteckt hatte, um Licht und Wärme zu haben, hätte das Silber im Fels zum Schmelzen gebracht. Und Tage später hätte dieser Indio seinem spanischen Patrón in Porco von seinem erstaunlichen Fund berichtet.
Eine andere Sage wiederum erzählt, im Jahre 1545 hätte ein indianischer Hirte ein Lama am Hang des Berges verfolgt und sich beim Aufsteigen an dem niedrigen Gestrüpp festgehalten. Das aber wäre aus dem Erdreich gerissen worden, und an den Wurzeln hätten helle Kügelchen gehaftet – Silber!
Ob nun der Indio aus Porco oder der Hirte – beide zu den Ärmsten der Armen zählend – die Entdecker waren, spielte keine Rolle mehr. Das Geheimnis sickerte durch, und die Geier waren zur Stelle, menschliche Geier, in diesem Falle jene, die diesen Teil der Neuen Welt für sich beanspruchten und ausbeuteten oder – um im Bilde zu bleiben – bis auf die Knochen abnagten.
Später sagte man vom Cerro Rico, er sei der Berg mit den dreißigtausend Löchern. Man hätte aber auch sagen können, er sei der Berg Tausender an Hunger, Durst oder Erschöpfung krepierter Indios – so sie nicht von zusammenbrechenden Stollen verschüttet oder von ihren Aufsehern wegen „Faulheit“ erschlagen wurden. Die Geschichte berichtet, die Zahl dieser Toten sei mit Sicherheit fünfstellig.
Die Geschichte berichtet auch, Philipps II. Vater – Karl V. – hätte die 1546 gegründete Stadt Potosi bereits 1547 zur „Villa Imperial“, zur kaiserlichen Stadt, erhoben. Kein Wunder, denn vom Zeitpunkt der Gründung an begann aus dem Berg das Silber zu fließen – natürlich nach Spanien, falls nicht Schnapphähne zupackten und den Silberstrom ein bißchen unterbrachen.
Und die Stadt florierte. Sie mästete sich – es blieb ja genug Silber in der Stadt an klebrigen Fingern hängen. Innerhalb kürzester Zeit entstand am Fuß des mörderischen Berges eine Stadt, in der Pomp, Prunk und Verschwendung beispiellos waren. Kirchen, Klöster, Paläste und Villen wurden gebaut, Wasser wurde meilenweit herangeleitet, man badete in Thermalquellen, und die Chronik berichtet, sogar das Nachtgeschirr der Spanier sei aus Silber getrieben gewesen.
Die Stadt fühlte sich sicher. Die Küste im Westen war über dreihundert Meilen entfernt. Wer von dort nach Potosi aufbrechen wollte, mußte sich darüber klar sein, auf was er sich einließ. Vielleicht nahm er Maultiere mit, um sich weite Strecken tragen zu lassen. Er brauchte sie auf jeden Fall, um nicht selbst sein Gepäck, Proviant und Ausrüstung schleppen zu müssen. Er würde schwindelerregende Pässe und Gletscher übersteigen, sich über schmale Felspfade bewegen oder in eiskalte Schluchten hinunterklettern. Er mußte reißende Bergbäche durchqueren oder sich über schaukelnde Hängebrücken tasten.
Er würde in den menschenfeindlichen Höhen frieren und zugleich von der Sonne erbarmungslos verbrannt werden, wenn er nicht Kopf, Gesicht und Hände schützte. Er würde die Sonne tagsüber verfluchen und in den eisigen Nächten herbeiwünschen. Und er würde, je höher er stieg, einen unsichtbaren Feind haben, die berüchtigte Soroche, die Höhenkrankheit, die ihn mit Kopfschmerzen, Übelkeit, fliegendem Puls und Atemnot quälen würde.
Nein, für Buschklepper und Galgenvögel war Potosi kein Ziel. Sie wollten es bequemer haben und ihre Fußsohlen schonen. Potosi lag für sie auf einem anderen Stern. Wer nach dorthin aufbrach, mußte verrückt sein, ganz abgesehen davon, daß man ja auch zurückkehren wollte – mit Beute beladen. Nein, das war alles viel zu mühsam, zu gefahrvoll und zu unsicher.
Kein Provinzgouverneur, kein Bürgermeister, kein Polizeipräfekt, kein Bürger von Potosi rechnete jemals damit, jemand könne so wahnwitzig sein und über die „Villa Imperial“ herfallen.
Und doch war es so.
Elf verwegene Männer hatten nach einem mörderischen Marsch die Stadt erreicht und waren entschlossen, hier die Kuh fliegen zu lassen.
Anfang Oktober waren die Arwenacks und die Le Vengeurs von der Schlangen-Insel in der östlichen Karibik aufgebrochen, und jetzt, Ende Dezember, hatten von den einundfünfzig Teilnehmern an diesem einzigartigen Unternehmen elf Männer das Ziel erreicht, ein ausgesuchter Trupp unter Führung Philip Hasard Killigrews.
Es waren Jean Ribault, Karl von Hutten, Pater David, Pater Aloysius, Dan O’Flynn, Edwin Carberry, Matt Davies, Gary Andrews, Stenmark und Mel Ferrow. Fred Finley war nicht dabei – er lag mit gebrochenem Fußknöchel bei einer Indiofamilie am Westrand der Puna.
Die Nacht vom 27. auf den 28. Dezember hatten die Männer in einem verlassenen Stollen auf der Südseite des Silberberges verbracht und dort biwakiert. Es war ein feiner Platz: er lag geschützt und bot Wärme. Sie hatten gewissermaßen ein Dach über dem Kopf – ein Silberdach.
Ein bißchen verrückt war das schon, wenn man das so betrachtete und das Spinnen anfing. Carberry zum Beispiel hatte gesagt, so ein teures Dach hätte er noch nie über dem Kopf gehabt, und wenn er das seinen Enkeln erzählte, würden die ihn auslachen oder glattweg erklären, der Opa Edwin sei ein ganz fürchterlicher Aufschneider.
In dieser Nacht nun hatte er davon geträumt, ganz in Silber gebettet zu sein. Gegen Morgen hatte ihn der Traum in ein Bad entführt, dem er versilbert entstiegen war.
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