Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-680-1
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Die Nacht hatte sich über Plymouth gesenkt. Neblige Spukgestalten geisterten durch die Gassen, nisteten sich in Ecken und Türen ein und krochen die feuchten Mauern der Häuser empor. Der Wind hatte leicht aufgebrist und pfiff über den Plymouth Sound und in den Hafen hinein, bis das Wasser sich kräuselte und kleine Schaumkronen darauf tanzten, doch er vermochte die weißlichen Schwaden nicht zu vertreiben.
Die Schritte von Männern klapperten durch das Hafenviertel. Einer von ihnen trug ein Holzbein, wie durch den trockenen, dumpfen Klang auf den Katzenköpfen, der in rhythmischen Abständen erfolgte, leicht herauszuhören war.
Dieser Mann war Old Donegal Daniel O’Flynn. Er bildete den Abschluß der kleinen Gruppe, die sich zielstrebig in Richtung auf die Kneipe „Bloody Mary“ zubewegte. Sein Sohn Dan schritt genau vor ihm, neben ihm befanden sich Ben und Roger Brighton, die ihrerseits hinter Edwin Carberry und Ferris Tukker hermarschierten, und ganz vorn gingen Big Old Shane und Philip Hasard Killigrew, der Seewolf.
Old O’Flynn blieb plötzlich stehen und wandte sich um. Seine listigen kleinen Augen spähten argwöhnisch in die Dunkelheit, sein verknittertes Gesicht hatte sich zu einer Grimasse verzogen.
Die anderen bemerkten es zunächst gar nicht, doch dann war es Ben, der sich zufällig umdrehte und den Alten wie einen Kobold auf drei, vier Yards Distanz in der Gasse dastehen sah, gebückt, lauernd und wegen der schlechten Sichtverhältnisse in den Umrissen leicht verschwommen.
Ben warf Dan einen raschen Blick zu, dann blieb mit ihnen auch Roger stehen, und zu dritt kehrten sie zu dem Alten zurück.
„Was ist denn los, Donegal?“ fragte Ben. „Hast du wieder mal einen Dämon gesehen?“
„Still“, zischte Old O’Flynn. „Mal bloß nicht den Teufel an die Wand.“
„Au weh.“ Dan hatte sein bestimmtes Grinsen aufgesetzt. „Es wird ernst, Freunde. Die Mächte der Finsternis sind im Begriff, Plymouth anzugreifen. Ich hab’s ja immer geahnt. Hier kann nichts Gutes gedeihen.“
„Laßt uns eben noch den Rum und den Whisky bei Plymson wegholen, dann hauen wir ab“, sagte Roger, der auch eine Ader für diese Art von Humor hatte.
Der Alte begann mit einer seiner Krücken herumzufuchteln, sie mußten ihm ausweichen, um nicht getroffen zu werden. Nur Ben blieb in Old O’Flynns unmittelbarer Nähe stehen und blickte ihn unter hochgezogenen Augenbrauen an. Meistens bahnte sich tatsächlich etwas an, wenn der Alte die Ohren spitzte und mißtrauisch herumzuspähen begann, das hatte sich auf ihren vielen Reisen immer wieder gezeigt.
„Es ist jemand hinter uns her“, brummte Old O’Flynn.
„Der verdammte Nebel gaukelt dir was vor“, sagte Roger.
Der Alte schüttelte den Kopf. „Nichts da. Ich bin mir da ganz sicher, und du, Roger Brighton, solltest lieber die Klappe halten.“
„Hast du jemand gesehen?“ erkundigte sich Ben leise.
„Nein, aber sie sind dicht hinter uns.“
„Mehrere?“
„Jawohl, so wahr ich hier auf meinen lahmen Krücken stehe. Ich spür’s mal wieder in meinem Beinstumpf: Es gibt Verdruß.“
„Das ist die Feuchtigkeit, Dad“, sagte Dan leise. „Vergiß nicht, daß du wetterfühlig bist.“
Sein Vater warf ihm einen giftigen Blick zu. „Wie lange ist es eigentlich her, daß ich mein Holzbein nicht mehr auf deinem Rücken ausprobiert habe, du Schnösel? Bilde dir bloß nicht ein, daß du alt genug bist, um mir gegenüber so eine dicke Lippe riskieren zu können.“
„Nein, Sir. Soll ich Hasard Meldung erstatten?“
„Nicht nötig“, brummte der Alte und wies zum Seewolf, der sich inzwischen ebenfalls umgedreht hatte und Shane, Carberry und Tucker durch eine Geste zum Stehen brachte. „Er ahnt wohl schon, daß was im Busch ist. Los, weitergehen. Wir müssen so tun, als hätten wir nichts bemerkt.“
Sie gesellten sich wieder zu den anderen, und Hasard erkundigte sich mit verhaltener Stimme, was vorgefallen sei.
Old O’Flynn sagte genauso leise: „Wir haben ein paar Kerle hinter uns, die uns ganz bestimmt nicht um ein Almosen anbetteln wollen.“
„Sondern?“ fragte Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann. „Könnten es nicht ein paar fromme Klosterbrüder sein, die uns nach dem Weg zur Kirche fragen wollen?“
„Kann man mit euch Himmelhunden eigentlich kein vernünftiges Wort mehr reden?“ Old O’Flynn schoß einen Blick auf Ferris ab, der so freundlich war wie der eines hungrigen Hais. „Habt ihr euch vorsichtshalber schon einen angesoffen, weil ihr Angst habt, daß es beim alten Plymson nicht genug gibt?“
„Ach, Quatsch“, brummte Carberry. „Es ist wohl mehr die Vorfreude auf das neue Schiff, die die Kerle so ausgelassen stimmt. Was, Shane?“
Der graubärtige Riese begann zu grinsen. „Von welchem Schiff sprichst du eigentlich, Ed? Von der neuen ‚Isabella‘ oder von der ‚Hornet‘?“
„Von beiden“, antwortete der Narbenmann. „Und auch mich juckt’s überall, und zwar gewaltig, wenn du’s genau wissen willst. An Land halte ich es nicht mehr lange aus. Daher ist es auch mir ein innerer Vorbeimarsch, mal wieder so einen feinen Kahn wie diese ‚Hornet‘ unter die Füße zu kriegen. Sie ist doch wirklich für uns bestimmt, nicht wahr, Sir?“
„Nicht so laut“, sagte der Seewolf warnend. „Genaues weiß ich ja noch nicht. Aber um auf deine Beobachtungen zurückzukommen, Donegal – es könnte leicht angehen, daß wir das Interesse gewisser Schnapphähne und Beutelschneider auf uns gelenkt haben, seit mir der Abgesandte der Königin die Pergamentrolle übergeben hat. Wir könnten ja wirklich wichtige Persönlichkeiten sein. Möglicherweise befindet sich an Bord der ‚Hornet‘ ein Schatz, der unter unserem Geleitschutz von Plymouth nach London gebracht werden soll.“
„Wie?“ Carberry war hell erstaunt. „Das glaubst du wirklich? Ist das dein Ernst?“
Ein verschmitzter Ausdruck war in die Züge des Seewolfs getreten. „Ich könnte mir vorstellen, daß die Kerle, die hinter uns her sind, so oder ähnlich denken. Deshalb sollten wir auf alles vorbereitet sein.“
„Verstanden“, sagte Big Old Shane, setzte eine grimmige Miene auf und legte die Hand an das Heft seines Entermessers.
Hasard lauschte und vernahm von irgendwoher das Bellen eines Hundes, dann die Geräusche verhaltener Schritte im milchigen Dunkel hinter ihnen. Er gab seinen Männern erneut ein Zeichen, und wieder hielten sie an. Die Schritte in der Gasse verstummten.
Hasard grinste, in seinen eisblauen Augen tanzten jetzt die bekannten tausend Teufel, ein Zeichen von Verwegenheit und Entschlossenheit.
„Wir drehen den Spieß um“, raunte er seinen Männern zu. „Wer immer uns da auf den Fersen sitzt, wir kommen ihm zuvor und stellen ihm eine Falle.“
Sofort waren Ben, Shane, Ferris und die anderen Feuer und Flamme. Es bedurfte keiner weiteren Worte, mit denen sie sich untereinander abstimmten. Hasard bog in eine Seitengasse ab und führte seine kleine Gruppe auf dem Umweg durch Gänge und Höfe zurück zum Hafen. Hartnäckig blieben die Verfolger hinter ihnen, sie hörten es an ihren Schritten, konnten die Gestalten aber nirgends in Nacht und Nebel erkennen. Abhängen ließen diese Kerle sich nicht, soviel stand fest, und sie schienen ihr Metier zu verstehen.
Strauchdiebe und Gassenräuber, dachte Hasard, na wartet, wir werden es euch schon zeigen.
Durch ein paar Blicke in alle Richtungen vergewisserte er sich, daß der Ort für sein Vorhaben richtig gewählt war. Sie hatten einen winzigen Platz zwischen den spitzgiebligen, hier und da leicht altersschwachen und demzufolge gebeugten Häusern erreicht, auf den gleich vier Gassen mündeten.
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