Hasard zog seine ärmellose Lederweste aus, dann das weiße Hemd und drehte der Königin den Rücken zu. Da konnte sie die Schußnarbe sehen.
Hasard wandte sich wieder zu ihr um, sah ihr in die Augen und sagte: „Das ist die Wahrheit, Majestät, und wer etwas anderes behauptet, ist ein Lump!“ Sein Blick wurde eisig, als er jetzt zu dem Grafen von Essex schaute. „Das sollten Sie sich merken – Mister!“
Die Rechte des Grafen zuckte zum Degengriff.
„Laß das Ding stecken, Essex“, sagte die Königin, und sie schien sich zu amüsieren. „Ich habe Sir Hasard einmal bei Hof mit dem Degen kämpfen sehen – gegen Sir Jon Doughty, der ihn beleidigt hatte. Der gute Sir John stand hinterher nur noch im Unterbeinkleid da – ein gedemütigter Hanswurst, den Sir Hasard schließlich mit einem Tritt in den Hintern aus dem Saal beförderte. Ich warne dich also, mein Guter. Sir Hasard ist ein Sieger – nicht mal ein feiger Schuß in den Rücken hat ihn umgebracht. Er steht unter meinem Schutz. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“
„Jawohl, Majestät“, sagte der Graf von Essex, und es klang, als habe er eine quabbelige Qualle im Mund.
„Danke, Majestät“, sagte Hasard und verneigte sich wieder.
„Du hattest mir gestern eine Botschaft geschickt“, sagte die Königin, „und mich gebeten, dich hier um diese Stunde aufzusuchen. Ist das nicht etwas ungewöhnlich, Rebell? Bittsteller kommen zu mir, aber nicht umgekehrt.“
„Das gebe ich zu, Majestät“, erwiderte Hasard, „aber ich bin kein Bittsteller. Vielmehr ist es mein Wunsch, Ihrer Majestät etwas zu übergeben, und das konnte ich nicht nach Whitehall schleppen. Ferner liegt mir daran, daß Ihre Majestät persönlich sieht, um was es sich handelt, nämlich um ein Schiff mit einer kostbaren Ladung. Leider ist es so – jedenfalls nach unserer Erfahrung –, daß bei unseren jeweiligen Ankünften in London zwischen Ihrer Majestät und uns stets gewisse Gentlemen auftauchten, die meinen, sie könnten ihr eigenes Süppchen kochen. Kurz, sie zeigen sich äußerst interessiert an den Ladungen, die wir mitbringen. Wir haben sie die ‚Themsegeier‘ getauft, jene Kerle, die als Beamte in hohen Positionen sitzen und aufgrund ihrer Machtstellung meinen, sich an Ihrer Majestät vorbei die eigenen Taschen füllen zu können. Darum bat ich Ihre Majestät hierher – eben um zu verhindern, daß noch einmal Unbefugte auftauchen, die sich in ihrer Gier an einer für Ihre Majestät bestimmten Ladung vergreifen. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Ihre Majestät hierher bemühen mußte.“
„Das ist korrekt“, sagte die Königin nachdenklich, „aber du weißt, daß die Schuldigen bereits enthauptet wurden.“
„Ja, das weiß ich“, sagte Hasard, „aber mir ist unbekannt, wie viele Schuldige es noch gibt. Die Hydra ist vielköpfig, wenn man ihr einen Kopf abgeschlagen hat, wachsen zwei neue nach. Meine Männer und ich wundern uns über nichts mehr. Vielleicht ist es unser Mißtrauen, daß wir alle noch am Leben sind. Also: Unser Geschenk für Ihre Majestät ist jene Galeone samt Ladung, die hinter unserer Schebecke liegt …“
„Schebecke?“ unterbrach die Königin. „Was für ein merkwürdiges Schiff!“ Sie spähte an Hasard vorbei zu dem schlanken Dreimaster.
Der Graf von Essex geruhte, die Nase zu rümpfen.
„Das ist kein Schiff, Majestät, sondern ein Unding, ein Nichts“, sagte er verächtlich. „Ein Treffer unserer Schiffsgeschütze genügt, um dieses Brettergerüst in seine Bestandteile zu zerlegen. Ich habe selten etwas Minderwertigeres gesehen – ähem!“
„Sie scheinen überhaupt bisher wenig gesehen zu haben“, sagte Hasard sarkastisch, „jedenfalls, was Schiffe betrifft. Ich habe mit diesem ‚Brettergerüst‘, sie Sie das Kampfschiff der nordafrikanischen Piraten soeben bezeichneten, auf der Fahrt von Cadiz bis hierher einige spanische Kriegskaravellen und Kriegsgaleonen zu den Fischen geschickt, die allesamt mit Ihren sogenannten Schiffsgeschützen bestückt waren. Das ‚Brettergerüst‘ empfing zwar auch einige Treffer, über die Sie mein Schiffszimmermann gern belehren wird, aber in seine Bestandteile wurde es nicht zerlegt, sonst würde es nicht hier an der Pier liegen. Sie scheinen etwas vorschnell zu urteilen, Mister – wie war doch Ihr Name?“
„Robert Devereux, Graf von Essex“, schnappte der sehr ehrenwerte Earl. „Im übrigen bin ich der Generalfeldzeugmeister Ihrer Majestät, wenn Sie das bitte zur Kenntnis nehmen würden.“
„Das nehme ich gern zur Kenntnis“, entgegnete Hasard kühl, „hoffentlich sind Ihre Beurteilungen über die Ausrüstung, Bewaffnung und Kampfkraft spanischer Armeen besser als Ihr Urteil über das, was Sie ein Brettergerüst nannten.“
Dem Grafen schwoll der Kamm.
„Verbitte mir Ihre Belehrungen!“ schnarrte er.
Hasard zuckte mit den Schultern und wandte sich der Königin zu, die aufmerksam gelauscht hatte.
„Sehen Sie, Majestät“, sagte er, „das ist genau der Punkt, den ich vor zehn Jahren ansprach, als Sie mir anboten, eine führende Position in der Royal Navy zu übernehmen. Majestät erinnern sich?“
Die Königin senkte den Kopf, dachte nach und murmelte: „Du sagtest dem Sinn nach, ihr – du und deine Männer – würdet euch keinem unterordnen, Ihr wäret euch euren Wertes bewußt, hättet aber oft genug Gelegenheit gehabt, bei den englischen Seeoffizieren bis hin zum Admiral auf Dilettantismus, Unfähigkeit und Arroganz gestoßen zu sein. Ihr wolltet mir lieber als Einzelkämpfer dienen, ohne dabei an die Kette gelegt zu werden. Stimmt’s?“
„Richtig, Majestät, genau das. Vielleicht ist Ihr Generalfeldzeugmeister ein hervorragender Mann, was ich nicht zu beurteilen habe. Aber ich spreche ihm das Recht ab, dieses Schiff dort als ein Unding oder Nichts oder Brettergerüst abzuqualifizieren. Mit diesem Schiff schafften wir es, unsere Beutegaleone abzuschirmen und alle Angriffe der Spanier abzuschlagen. Und sie waren hinter uns her wie der Teufel hinter der armen Seele.“ Hasards Stimme wurde schärfer. „Nein, nein, so geht das nicht. Wir haben überlebt, weil wir dieses Schiff hatten, genau dieses Schiff, das flinker, schneller und wendiger als alle Segler ist, die ich bisher kennenlernte. Wenn die Handelsfahrer im Mittelmeer ein solches Schiff an der Kimm auftauchen sehen, dann wissen sie, was die Stunde geschlagen hat. Und Kapitän und Mannschaft sprechen ihr letztes Gebet. Denn sie wissen, daß die Schebecken der nordafrikanischen Piraten wie Jagdhunde sind.“ Hasard schüttelte den Kopf und sagte fast wütend: „Aber was rede ich da! Entweder hat man einen Blick für Schiffe, oder man hat ihn nicht. Bei dem Grafen von Essex scheint der Blick vernebelt zu sein!“
Der Graf von Essex, seines Zeichens Generalfeldzeugmeister, blickte grimmig drein.
Die Königin indessen lächelte und sagte: „Der gute Essex liebt schnelle Yachten, Rebell, damit du das weißt! Er und seine Freunde veranstalten Wettfahrten auf der Themse. Bisher hat ihn hoch niemand geschlagen.“
Hasard runzelte die Stirn. „Wettfahrten auf der Themse? Haben die Gentlemen nichts Besseres zu tun? Was kostet denn so eine Yacht?“
Der Graf von Essex warf sich in die Brust und näselte: „Meine ‚Arrow‘ hat zwanzigtausend Pfund gekostet, sie ist die verbesserte Kopie einer holländischen Staatenyacht – verbessert natürlich nach meinen Plänen – ähem.“
„Soso“, murmelte Hasard und erinnerte sich an jene „Arrow“, die hinter der „Fidelidad“ an der östlichen Towerpier vertäut lag.
Sie waren an ihr beim Einlaufen zu ihrem Liegeplatz vorbeigesegelt.
„Scheint die Luxuslaube von so einem hochwohlgeborenen Arschloch zu sein“, hatte der Profos in seiner unnachahmlichen Direktheit von dieser Prunkyacht gesagt und damit den Nagel auf den Kopf getroffen.
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