Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-700-6
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Eisig blies der Westwind und trieb die „Isabella IX.“ an diesem 3. Februar 1593 durch die grauen Fluten der Nordsee in den Skagerrak. Grimmig kalt war es geworden, die Gestalten auf den Decks waren dick vermummt. Der Schnee, der in der vergangenen Nacht gefallen war, lag noch wie ein Teppich auf der Heckgalerie und der Galion und wollte nicht auftauen.
Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hatte soeben seine Kapitänskammer verlassen und enterte auf dem Weg über das Quarterdeck das Achterdeck. Ben Brighton, sein Erster Offizier und Bootsmann, stand ganz achtern an der Heckreling, und im Ruderhaus, das die Männer vor zwei Tagen um das Ruderrad herum aufgebaut hatten, waren die Gesichter von Pete Ballie, dem Rudergänger, und Nils Larsen, dem dänischen Bootsmann aus der Crew von Jean Ribault, zu erkennen. Hasard schritt auf sie zu.
Ehe er das Ruderhaus betrat, warf er einen Blick in die Runde. Carberry brüllte wie üblich auf dem Hauptdeck herum und purrte die Männer, die zum Wachwechsel angetreten waren, an die Brassen und Schoten. Acht Männer befanden sich zur Zeit auf der Kuhl, auf der Back hielten sich Smoky, der Decksälteste, und Al Conroy auf. Bill hockte im Großmars und versah pflichtgemäß seine Aufgabe als Ausguck. Alle anderen Männer – auch Big Old Shane, Ferris Tucker, die beiden O’Flynns und Roger Brighton – waren unter Deck, wo wegen der bitteren Kälte zwei Öfen in Betrieb gesetzt worden waren.
Hasard mußte unwillkürlich grinsen, denn genau in diesem Moment sagte Pete Ballie zu Nils Larsen: „Hölle und Teufel, wohin geht dieser verflixte Törn bloß? Nach Skagen, gut, soviel wissen wir. Und weiter?“
„Das erfahren wir bald“, entgegnete Nils. „Du wirst dich ja wohl noch ein bißchen gedulden können.“
„Das bestimmt“, sagte Pete. „Aber ich habe den Verdacht, daß uns eine Fahrt durchs Eismeer bevorsteht – wie damals, als wir an Grönland vorbeisegelten und dann die Nordwestpassage fanden. Sollen wir etwa nach einer Nordostpassage suchen? Steht das in der geheimen Order, die Lord Gerald Hasard übergeben hat?“
„Hoffentlich nicht“, brummte Nils. „Sonst hätten wir ja auch gleich dem Wikinger hinterhersegeln können.“
Der Seewolf trat zu ihnen und sagte: „Geht das große Rätselraten wieder los? Ich finde, wir können es uns ersparen. Bald haben wir unser vorläufiges Ziel erreicht. Aber auf große Forschungsreisen, bei denen wir am Ende doch nur zum Narren gehalten werden, lasse ich mich nicht ein, das versichere ich euch schon jetzt.“
Er spielte damit nicht auf die Nordwestpassage an, die sie seinerzeit vom Atlantik in den Pazifik geführt hatte, sondern auf die Abenteuer in Ägypten. Es war noch gar nicht so lange her, daß die Seewölfe mit der „Isabella VIII.“ im Kanal der Pharaonen steckengeblieben waren. Sie hatten das Schiff aufgeben müssen, und die Suche nach dem in Wirklichkeit nicht vorhandenen Seeweg nach Indien war eine totale Niederlage gewesen. Dies hatte Hasard trotz der Erfolge, die er anschließend in Irland und dann in der Bretagne hatte verzeichnen können, nicht vergessen.
Andererseits konnte er sich aber auch nicht vorstellen, daß ausgerechnet Lord Gerald Cliveden, der Sonderbeauftragte der englischen Königin, ihn auf einen Kurs schickte, der ins sichere Verderben führte. Es gab gute Gründe dafür, daß Hasard die versiegelte Mappe, die Cliveden ihm im Hafen von Plymouth ausgehändigt hatte, erst auf der Höhe von Skagen öffnen durfte. Die Erfahrungen mit Easton Terry ließen es dem Hof geraten erscheinen, strengste Geheimhaltung zu wahren. Terry hatte den Seewolf und sogar seine eigene Crew verraten und um ein Haar ans Messer geliefert. Wegen Terry hätte das Unternehmen in der Bretagne platzen können. Aber Hasard war auf der Hut gewesen, er hatte Terry von Anfang an nicht getraut.
Ähnliches sollte sich nicht wiederholen, daher die ganze Geheimnistuerei – obwohl der Seewolf dieses Mal keinen zweifelhaften Verbündeten zur Seite hatte. Selbst Thorfin Njal, auf den er sich voll und ganz hätte verlassen können, befand sich mit „Eiliger Drache über den Wassern“ – dem Schwarzen Segler – längst auf nördlichem Kurs, denn er wollte nach dem sagenhaften Thule suchen, nach den fernen, glücklichen Inseln, von denen er träumte.
Nach dem Abenteuer auf den Ostfriesischen Inseln waren sich die „Isabella IX.“ und der Schwarze Segler noch einmal kurz begegnet, dann aber hatten sie sich wieder getrennt, und der Seewolf war nun auf sich allein gestellt.
Die nahe Zukunft würde zeigen, was vor ihnen lag. Sie alle hatten schon die haarsträubendsten Theorien aufgestellt, doch natürlich konnte keiner ahnen, was die versiegelte Mappe enthielt.
In Plymouth hatte der Seewolf seine Crew durch den Dänen Nils Larsen sowie die beiden Holländer Jan Ranse und Piet Straaten verstärken können, die vorher mit Jean Ribault an Bord des Schwarzen Seglers gewesen waren. Thorfin Njal hatte eingewilligt, und Hasard konnte die drei Männer wirklich sehr gut gebrauchen. Die neue „Isabella“ war größer als das alte Schiff und brauchte eine größere Besatzung. Nils Larsen beherrschte zudem die schwedische und die deutsche Sprache, ein Umstand, der auf der bevorstehenden Reise möglicherweise von großem Nutzen sein würde.
Larsen, Ranse und Straaten waren ehemalige Piraten der Karibik und hatten früher bereits unter Hasards Kommando gedient, ehe sie zu Jean Ribault gestoßen waren. Jean Ribault war in Plymouth geblieben, denn er wollte mit Hesekiel Ramsgate zusammen neue Schiffe auf Stapel legen, die für die Schlangen-Insel bestimmt waren.
Selbstverständlich war es nun Nils Larsen, der in diesen Breiten zu Hause war und „sein“ Gewässer kannte. Deshalb hatte Hasard ihn als Lotsen zu Pete Ballies Unterstützung ins Ruderhaus abkommandiert.
„Wir haben Hanstholm Steuerbord achteraus gelassen, Sir“, erklärte Nils. „Kurs Nordosten liegt nach wie vor präzise an, und wir segeln jetzt an der Jammerbucht entlang.“
Hasard lachte. „Dieser Name ist wirklich zutreffend, denn wenn ich mich nicht täusche, legt der Wind noch ein bißchen zu und die Temperatur sinkt weiter. Die Arwenacks fangen jetzt langsam an zu jammern.“
Pete und Nils lachten, und auch Ben Brighton, der sich inzwischen dem Ruderhaus genähert hatte, setzte eine amüsierte Miene auf.
„Da unterschätzt du deine Crew aber“, sagte er. „Es muß noch um einiges dicker kommen, um sie aus der Fassung zu bringen.“
„Und was ist, wenn der Wind uns auf Untiefen drückt?“ fragte der Seewolf.
Nils schüttelte den Kopf. „Ich kann dich beruhigen. Längs der Jammerbucht verläuft ein einziger Sandstrand, es gibt keine Drachenzähne.“
„Keine Klippen also wie an der bretonischen Küste?“ fragte Pete mit ziemlich argwöhnischem Gesicht. „Bist du wirklich ganz sicher?“
„Na, hör mal!“ stieß Nils empört hervor. „Ich muß mich hier doch auskennen. Falls wir an Land getrieben werden, brauchen wir nur weich die Dünen hochzufahren. Dann können wir unversehrt aussteigen. Unsere Lady nimmt dabei auch keinen Schaden, denn Sand ist schließlich weicher als Fels.“
„Hör sich das einer an“, brummte Pete. „Der Aufenthalt in der Passage zwischen Norderney und Baltrum ist dir wohl auf den Geist gegangen, was?“
„Wie meinst du das?“ fragte der Däne drohend. „Glaubst du, ich bin so behämmert wie die Ostfriesen? Beim Donner, paß bloß auf, daß ich dir dein Ruderrad nicht um den Hals hänge!“
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