Roy Palmer - Seewölfe - Piraten der Weltmeere 327

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Der Verband der drei englischen Kriegsgaleonen jagte unter vollen Segeln auf die Rockall-Bank zu. Gegen alle Regeln echter Seemannschaft hatte der Geschwaderchef, der erlauchte Sir Andrew Clifford, kein Stück Tuch vor dem Sturm bergen lassen. Und so trat ein, was Kapitän O´Brien, Kommandant der «Vanguard», prophezeit hatte. Aber Sir Andrew hatte es mal wieder besser gewußt. Zuerst brachen der «Serapis» und der «Antilope» im wilden Wüten von Wind und Wasser die Masten weg. Dann schlug die See erbarmungslos zu und stieß die beiden Schiffe hinunter in die tödliche Tiefe. Sie versanken mit Mann und Maus. Die «Vanguard» konnte nichts tun zur Rettung, sie raste allein weiter durch den tobenden Hexenkessel und dann war auch ihr Schicksal besiegelt: Sie fegte in die mörderischen Klippen der Rockall-Bank…

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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-724-2

Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Auf den Klippen der Rockall-Bank

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Zwei völlig unterschiedliche Charaktere stießen an Bord der „Vanguard“ aufeinander und gaben sich nicht die geringste Mühe, ihre beiderseitige Abneigung voreinander zu verbergen. Sir Andrew Clifford, Earl of Cumberland, war ein eitler Stutzer von grenzenloser Arroganz, der seine Verachtung gegenüber dem „gemeinen Schiffsvolk“ immer wieder kundtat. Kapitän Oliver O’Brien hingegen war ein gerechter, geradliniger und offener Mann. Er erfreute sich bei seiner Crew größter Beliebtheit.

Sir Andrew Clifford war der Befehlshaber des Verbandes von drei Kriegsschiffen, O’Brien gehorchte seiner Order. Trotzdem bahnte sich eine Auseinandersetzung zwischen ihnen drohend an, seit sie England verlassen hatten. Sie schien unvermeidlich zu sein.

Der Earl hatte sich zwecks größerer Bequemlichkeit einen Stuhl auf das Achterdeck der Dreimastgaleone „Vanguard“ bringen und ihn festschrauben lassen. Hier saß er nun und vertrieb sich die Zeit damit, über die Stellung der Segel, über die angebliche Unordnung an Bord und über den Ungehorsam der Decksleute herumzumäkeln. Zwischendurch ließ er sich von seinem Kammerdiener die Uniform zurechtzupfen oder beauftragte seinen persönlichen Adjutanten, ihm eine Tasse heißes Wasser mit Whisky zu servieren.

Er hatte seinen eigenen Stab von acht Mann mit an Bord gebracht und ließ sich von vorn bis hinten bedienen – ganz im Gegensatz zu O’Brien, der sogar seine Uniform und seine Schuhe selbst abbürstete, wenn es erforderlich wurde.

Eine Kluft gähnte zwischen diesen beiden so verschiedenen Männern. Auch rein äußerlich hatten sie nichts miteinander gemein. Der Earl hatte kalte und herablassend wirkende Augen, seine Wangenknochen hoben sich scharf aus seinem Gesicht ab, auf dem der überpuderte bläuliche Bartschatten zu erkennen war. Sein Mund war schmal und verkniffen, das Kinn leicht eckig, die Nase hart und gerade. In diesem Gesicht stand der Ausdruck von Boshaftigkeit und Übellaunigkeit, gleichzeitig drückte es Hochmut gegenüber allem aus, was nicht seinem Rang und Stand entsprach.

Er trug eine lange blaue Jacke mit silbernen Knöpfen, Hosen von derselben Farbe, die unterhalb des Knies endeten, weiße Strümpfe und kostbare Schnallenschuhe. In seinem Wehrgehänge steckte ein teurer ziselierter Degen, auf dessen Knauf er oft die Hand zu legen pflegte, wenn er mit jemandem sprach.

Oliver O’Brien indes war ein Seemann von echtem Schrot und Korn, der auf ein piekfeines Aussehen keinen Wert legte, sondern seine Aufmerksamkeit lieber dem Zustand des Schiffes und dem Wohl seiner Mannschaft widmete. Er war stämmig gebaut, hatte graue Augen in einem kantigen, wettergegerbten und gebräunten Gesicht und kurze dunkelblonde Haare. Er hatte als Moses und Schiffsjunge seine seemännische Laufbahn begonnen und sich von der Pike auf hochgedient. Nie hätte er sich träumen lassen, einmal von einem Mann wie diesem Earl of Cumberland Befehle zu empfangen.

Doch es gab Gründe dafür, und O’Brien mußte sich den Umständen natürlich anpassen, was er auch zu tun versuchte. Der Dreier-Verband bestand aus den Dreimast-Galeonen „Vanguard“, „Serapis“ und „Antiope“. Sie waren von London nach Nordwesten unterwegs, und hatten den fünfundfünfzigsten Grad nördlicher Breite überquert, so daß sie nicht mehr weit von der Rockall-Bank entfernt waren, die zwischen Irland und Island lag.

Sir Andrew Clifford hatte bewegte Zeiten hinter sich. Mitte März dieses Jahres war er wieder in London eingetroffen, nachdem er an dem Auftrag, den er in der Ostsee hatte durchführen sollen, kläglich gescheitert war. Erfolglosigkeit, Meuterei und Ungerechtigkeiten am laufenden Band hatten seine Reise begleitet, bis er einem gewissen Philip Hasard Killigrew begegnet war, der all dem ein Ende gesetzt hatte. Dieser „schwarzhaarige Bastard“ hatte sich erdreistet, ihn, den Earl of Cumberland, mitsamt seinem Profos und der kompletten Achterdecks-Clique auszusetzen. Seitdem hatte er, Sir Andrew, sein Schiff „Goliath“ nicht wiedergesehen. Über Schweden und Norwegen war er nach England zurückgekehrt und hatte in London dem Marineamt vorgeschwindelt, seine Galeone sei in der Ostsee von dem „Piraten“ Killigrew aufgebracht und versenkt worden.

Das Marineamt indes hatte neue Pläne. Es war in Fortsetzung der Expeditionen des John Davis an weiteren Erkundungen einer möglichen Nordwestpassage interessiert. Kurzfristig war Sir Andrew zum Befehlshaber des Dreierverbandes „Vanguard“, „Serapis“ und „Antilope“ ausgewählt worden, weil der ursprünglich für diese Reise vorgesehene Kapitän Sir Martin Frobisher plötzlich erkrankt war. Der Verband war bereits fix und fertig ausgerüstet zum Auslaufen, es sollte keine Verzögerungen geben.

Zwar hatte es im Marineamt einige kritische Stimmen gegeben, die Sir Andrew für nicht genügend qualifiziert hielten, ein Unternehmen dieser Art durchzuführen, aber der Earl hatte auch Freunde und Gönner bei Hof, von denen die Kritiker glatt überstimmt worden waren. So hatte der Verband Ende April Deptford verlassen.

Alle Bedenken, die O’Brien und auch die anderen Offiziere der Schiffe von Beginn an gegen Sir Andrew gehegt hatten, waren bestätigt worden. Dieser Mann war in ihren Augen ein ausgesprochener Versager und konnte Sir Martin Frobisher nicht im entferntesten das Wasser reichen. Aber er war nun mal der Geschwaderchef – und das sollte noch verheerende Folgen haben.

Bereits kurz nach dem Auslaufen ließ Sir Andrew an Bord der „Vanguard“, des Flaggschiffes, ein paar Männer auspeitschen, weil sie sich angeblich „unbotmäßig“ und „aufsässig“ verhalten hatten. Mal hatte jemand einen Befehl nicht schnell genug ausgeführt, mal ging es darum, daß eine Nagelbank nach Meinung des Earls nicht vorschriftsmäßig klariert war, mal hatte ein Mann „dreist gegrinst“, wie er behauptete. Diese Lappalien zogen eine strenge Ahndung nach sich, acht bis zehn Hiebe und mehr mit der neunschwänzigen Katze waren die Regel.

All das wäre von der Crew der „Vanguard“ noch zu ertragen gewesen, wenn Sir Andrew nicht seinen eigenen Profos mit an Bord gebracht hätte, einen wahren Gorilla an Gestalt und Verstand, der besonders brutal vorzugehen pflegte.

Dieser Profos war ein übler Schläger, ein Rohling mit einem Gesicht wie aus den schlimmsten Alpträumen. Breitgeschlagen, zerfurcht und voller Narben war diese Visage, und es fehlte ihm mindestens die Hälfte aller Zähne. Er hatte auch nur ein Ohr, das blumenkohlartig verunstaltet war. Kurz – er war ein wandelndes Monstrum, vor dem alle einen Heidenrespekt und viele sogar Angst hatten.

Dieser Kerl kujonierte und schikanierte die Mannschaft, wo und wann er nur konnte, und wenn wieder mal ein Mann an die hochgestellte Gräting gebunden und ausgepeitscht wurde, dann nickte Sir Andrew Clifford wohlgefällig dazu, und die Achterdecksclique lächelte süffisant.

Besondere Freude an dieser Art von Züchtigung schienen Christopher Norton, der sogenannte „Navigationsoffizier“ des Earls, George Snyders, der Offizier für „Sonderaufgaben“, der Kammerdiener Burt Harrison und der Adjutant Raymond Keefer zu haben. Anders ausgedrückt: es bereitete ihnen eine sonderbare Art von Vergnügen, Menschen leiden zu sehen.

Als Oliver O’Brien dies registrierte, kannte sein Zorn gegen die Bande, die sich auf seinem Schiff eingenistet hatte, keine Grenzen mehr.

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