Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-524-8
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Das letzte blaßrote Licht der Abenddämmerung stahl sich nach Westen davon und verlor sich in den scheinbar endlosen Weiten der See. Dunkelheit breitete sich über der Insel Tutuila aus und schien alles Unheil dieser Welt zuzudekken.
Aber die Nacht vermochte das blutige Drama nicht auszulöschen, das sich soeben hier, in der großen Nordbucht, abgespielt hatte. Sie konnte auch das schallende Gelächter Don Mariano José de Larras nicht erstikken, das in den Ohren der Männer der „Isabella“ gellte und nicht abreißen wollte.
Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, stand wie gelähmt auf der Kuhl seines Schiffes. Sein Blick war starr auf die doppelläufige sächsische Reiterpistole gerichtet. Sie lag auf den Planken, leergefeuert, nicht mehr zu gebrauchen für einen blitzschnellen, tollkühnen Ausfall gegen Don Mariano José de Larra. Ein wenig Schmauch kräuselte sich noch aus den Mündungen und bildete eine weißliche Spur im Schwarz der Nacht, das jetzt alle Konturen zerfließen und untergehen ließ.
Nie hätte sich Hasard auch nur auszumalen gewagt, daß es eines Tages ausgerechnet seine eigene Waffe sein würde, die seinen Sohn und einen seiner Männer schwerverletzte.
Und doch war es geschehen. Das schier Unfaßbare war eingetreten: Hasard junior war von dem ersten, Batuti von dem zweiten Schuß aus der Doppelläufigen niedergestreckt worden.
Der Blick des Seewolfs wanderte langsam zu ihren reglosen, blutüberströmten Gestalten, die jetzt kaum noch wahrzunehmen waren. Der Kutscher hatte sich über den Jungen und den schwarzen Herkules aus Gambia gebeugt, und er tat sein Bestes, um ihnen zu helfen. Aber vielleicht war hier jede Hilfe bereits zu spät, vielleicht konnte der Kutscher nur noch ihren Tod feststellen und ein letztes Gebet für sie sprechen.
Gerade hielt er sein Ohr an Hasard juniors Brust, um nach dem Herzschlag zu lauschen. Er verharrte, und aus seinem Benehmen ließ sich nicht erkennen, welches Ergebnis die Untersuchung gebracht hatte.
Es war ein einziges Bild des Jammers, wie Hasard junior und der Gambia-Mann dalagen und der Rest der Crew mit gesenkten Köpfen um sie herum versamme’t stand.
Hasard schloß in ohnmächtiger Erschütterung die Augen.
Dies war die größte Niederlage seines Lebens.
Wenn Hasard junior und Batuti starben, dann würde er, der Seewolf, sich nie wieder von diesem Schlag erholen, soviel wußte er mit Sicherheit. Es würde auch sein Ende sein.
Seine Haltung war gebeugt. Er schien um Jahre gealtert zu sein.
De Larras Lachen brach plötzlich ab.
Der Spanier begann wieder zu schreien: „Das Logbuch des Satans läßt uns nicht im Stich! Es wird uns den Weg weisen, den richtigen Kurs – zum Südland, zum Südland! Bewegt euch, ihr Hunde! Wir gehen noch heute nacht in See. Ich will keine Zeit verlieren. Du da, Bastard, nimm deinen Kameraden alle Waffen ab, alle, hörst du? Trag sie hier herüber und wirf sie vor mir auf einen Haufen! Wird’s bald?“
Bill, der Moses, trat zu Smoky und zog diesem die Pistole und das Entermesser aus dem Gurt. Er ging weiter und wandte sich Matt Davies zu.
Der Seewolf öffnete wieder die Augen, sah den glatzköpfigen Spanier an und spürte eine Woge kalten Hasses in sich aufsteigen.
De Larra hatte das Logbuch jetzt wieder im Ausschnitt seines Hemdes versenkt. Er war eine ausgemergelte, zerlumpte Erscheinung, die geradewegs den Tiefen der Hölle entstiegen zu sein schien – der leibhaftige Teufel. Immer noch glaubte Hasard in seinen Augen das Licht des Irrsinns glimmen zu sehen.
Die Pistole, die de Larra von seinem Landsmann Domingo erbeutet hatte, nachdem er ihn mit einem Speer getötet hatte, zielte nach wie vor genau auf Philip juniors Schläfe. Knapp eine Handspanne Distanz lag zwischen der Mündung der Waffe und dem Kopf des Jungen.
Und wenn es das letzte war, was er in seinem Leben tat – der Spanier würde nicht zögern, auch auf Philip junior abzudrücken, falls einer der Männer ihn anzugreifen wagte.
Das Risiko war zu groß. Sie waren machtlos gegen diesen Satan, der durch einen gemeinen Trick die „Isabella“ in seine Gewalt gebracht hatte.
De Larra war der Sieger und würde von jetzt an das Kommando über die „Isabella“ und ihre Crew führen.
Bill, der Moses, war bei Ben Brighton angelangt und entledigte auch ihn seiner Waffen. Polternd landeten Bens Pistole, der Degen und das Messer auf den Planken. Traurig wirkte das Arsenal, das vor de Larras Füßen wuchs und wuchs.
Bill schaute zu seinem Kapitän auf.
De Larra kicherte. „Ich habe ihn ja schon um seine Waffen erleichtert, den stolzen Lobo del Mar, aber sieh nach, ob er nicht etwa ein Messer in seinem Stiefel verborgen hat. Na los, taste ihn ab.“
Bill tat noch einen halben Schritt auf den Seewolf zu und blieb dann wieder stehen. „Sir, ich …“
„Tu, was er sagt“, befahl Hasard mit leiser, brüchiger Stimme.
„Recht so“, sagte der Spanier schrill. „So gefällst du mir besser, Bastard! So benimmt sich ein kluger Mann, der sich endlich seinem Schicksal beugt, statt ihm zu trotzen. Du willst doch nicht noch mehr Dummheiten begehen, oder? Antworte!“
„Nein.“
„Nein, Senor!“ verbesserte de Larra.
Hasard schwieg.
Der Spanier stand geduckt und allem Anschein nach sprungbereit da. Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte er sich auf den Seewolf stürzen.
Aber dann lachte er nur auf und rief: „Das Wort ‚Senor‘ will dir nicht so leicht über die Lippen, wie? Aber keine Angst, auch das bringe ich dir noch bei. Ich bin der Capitán auf diesem Schiff, und ihr alle habt vor mir zu kuschen. Ich werde euch Lumpenbande schon lehren, wie man sich zu benehmen hat. Ich werde euch zu einem halbwegs ordentlichen Haufen erziehen, das ist mal sicher.“
Luke Morgan konnte nicht mehr an sich halten und schrie: „Und du wirst unser Schiff so gut durch die Südsee steuern wie deinen elenden Kahn, die ‚Hernán Cortés‘? Sie ist doch dein Schiff gewesen, oder? Was hast du mit ihr getan – und was ist mit ihrer Mannschaft geschehen?“
De Larra bückte sich überraschend und klaubte eine der Pistolen auf, die Bill vor ihm hatte aufschichten müssen. Es war Ben Brightons Waffe, ein teures Radschloß-Modell. De Larra hob sie hoch und spannte den Hahn, und somit hatte er jetzt in jeder Hand eine Pistole. Während er mit der ersten weiterhin auf Philip junior zielte, legte er mit der zweiten auf Luke Morgan an.
„Schweig, du Hund!“ schrie er zurück. „Sei still, oder ich schieße dich auf der Stelle nieder. Es steht dir nicht zu, Fragen zu stellen. Es geht keinen was an, was der ‚Hernán Cortés‘ widerfahren ist. Für deine bodenlose Frechheit entschuldigst du dich, du Strolch. Los, bitte mich um Verzeihung!“
Luke Morgan dachte nicht daran, dies zu tun. Er stand neben der Kuhlgräting, nicht weit von Bob Grey und Sam Roskill entfernt, und wartete nur darauf, daß der Spanier sich eine Blöße gab.
Hasard zweifelte nicht daran, daß Luke es wagen würde, über die Gräting zu springen und sich auf den Glatzkopf zu werfen. Es war fast soweit. Luke war ein leicht aufbrausender, jähzorniger Typ, der in gewissen Situationen seine Natur nicht bezwingen konnte. Jetzt war er an der Grenze seiner Beherrschung angelangt.
„Luke“, sagte Hasard. „Halt dich zurück. Sei vernünftig. Du würdest es nie schaffen. Und Philip darf kein Haar gekrümmt werden.“
„Ist das ein Befehl, Sir?“
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