„Dann hätten uns die Russen wohl kaum mit Trinkwasser versorgt. Es gäbe dann ja genug davon.“
„Trotzdem kann das ein Anhaltspunkt sein.“
Hasard wollte erst widersprechen, doch Dan O’Flynn fackelte nicht lange. Er schnappte sich eine Pütz, hievte Wasser an Bord und starrte in die Pütz.
„Hm, gar nicht mehr so dunkel, die Brühe“, sagte der Profos nach einem intensiven Blick. „Sieht aus wie ganz normales Wasser.“
„Ist auch ganz normales Wasser. Es wirkt nur schwarzgrau, weil der Untergrund dieselbe Farbe hat. Willst du nicht mal einen kleinen Schluck probieren, Ed?“
Carberry blickte in die Pütz, als sei da soeben der Mond hineingefallen. Dann sah er Dan an.
„Also, Mister O’Flynn“, brummte er. „Hast du schon mal gehört, daß ein Seemann das Element säuft, auf dem er fährt? Wenn das jeder tun würde, gäbe es bald keine Ozeane mehr. Ein Bauer frißt doch auch nicht die Scholle, auf er ackert.“
„Sonst gäbe es eines Tages keine Erde mehr“, sagte Dan grinsend.
„Richtig. Solltest du auf die verwegene Idee verfallen, mir ein kleines Schlückchen Wodka anzubieten, würde ich mich natürlich nicht lange zieren. Aber Wasser – da sei Gott vor.“
Hasard, Ben und Don Juan hörten lächelnd zu.
„Wodka bringt auch keine neuen Erkenntnisse“, meinte Dan. „Außer, daß man nach einer bestimmten Menge besoffen ist.“
„Das vergeht wieder“, murmelte der Profos. „Was willst du denn mit der Brühe?“
„Einen Schluck probieren.“
„Mann, sauf bloß nicht soviel davon“, brummte Carberry besorgt, „sonst laufen wir noch auf Grund.“
Dan schöpfte mit den Händen Wasser, hielt es an den Mund, roch ein bißchen daran und trank einen winzigen Schluck.
Die anderen Kerle, die nicht wußten, um was es ging, standen da und stierten verblüfft.
„Man könnte meinen, wir hätten nichts anderes“, sagte Matt Davies erstaunt.
Dan O’Flynn ließ sich jedoch nicht beirren. Nach einigem Herumkosten spie er das Zeug wieder aus.
„Sind wir jetzt schlauer?“ erkundigte sich Hasard anzüglich.
„Es schmeckt salzig“, urteilte Dan, „aber der Salzgehalt ist nicht so hoch wie in den anderen Meeren, lange nicht so hoch.“
„Und was schließt du daraus?“
Dan O’Flynn drückte dem verdutzten Profos die Pütz in die Hand und sagte grinsend: „Der Rest ist für dich. Ich gebe ’ne Runde Schwarzes Meer aus.“ Dann ging er die paar Schritte nach achtern zurück.
Hasard sah ihn erwartungsvoll und skeptisch zugleich an.
„Ich bin zu der Überzeugung gelangt“, sagte Dan, „daß dieses Meer eine Verbindung zum Mittelmeer hat. Der Salzgeschmack im Wasser ist nicht zu leugnen, folglich ist es kein Binnensee mit einem in sich geschlossenen Kreislauf. Irgendwo findet ein schwacher Wasseraustausch statt, da bin ich ganz sicher.“
„Und das ist der Weisheit letzter Schluß?“
„Meiner Ansicht nach – ja.“
„Schon mal was vom Toten Meer gehört?“ fragte Hasard.
„Ist mir nur aus der Bibel bekannt, Sir.“
„Da gelangt man mit einem Schiff weder hinein noch hinaus. Es wird nur vom heiligen Jordan gespeist, der bekanntlich Süßwasser führt. Und trotzdem ist das Meer so salzig wie kein anderes. Nicht einmal ein Fisch kann darin leben.“
Dan O’Flynn blickte entsagungsvoll zum Land hin.
„Dann ist meine Annahme eine haltlose Theorie?“
„Genau das ist es – eine bloße Vermutung, die wie eine Seifenblase platzen kann.“
„Mist, verdammter“, knurrte Dan. „Nicht mal ein Besteck können wir hier nehmen, weil wir nicht einmal die einfachsten Mittel haben. Wir verfügen nur über ein paar Karten.“
„Den Jakobsstab haben wir von der ‚Santa Barbara‘ mitgenommen“, erwiderte Hasard. „Er ist nur noch nicht ausgepackt. Ich weiß genau, daß wir ihn mitgenommen haben. Aber er nutzt uns vorerst nichts. Wir können lediglich unseren Standort bestimmen, und den kennen wir so ungefähr.“
„Ja, wir sind im Schwarzen Meer“, sagte Dan sarkastisch, „eine direkt umwerfende Neuigkeit.“
„Du sagst es.“
Gegen Mittag gab es georgischen Schaschlik. Die Scheiben aus Hammelfleisch wurden normalerweise am Spieß geröstet, aber da sie keine Spieße für die Spezialität hatten, wandelte der Kutscher die Köstlichkeit ein wenig ab und spießte sie auf Säbeln auf, was aber auch sehr originell aussah und phantastisch mundete. Die Säbel gingen reihum, und jeder konnte sich etwas abschnippeln. Sinnigerweise nannte der Kutscher es „Piratendinner“ und „Korsarenspieß“.
Am späten Nachmittag tauchte ein kleines Dorf auf. Es lag etwa eine Meile querab an Steuerbord.
Zwei Fischerboote waren draußen. In dem einen Nachen hockten zwei Männer und angelten. In dem anderen zogen zwei weitere Männer gerade ein Netz an Bord, in dem es blinkte und zappelte.
„Die preien wir an“, schlug Ben Brighton vor. „Wir erkundigen uns ganz freundlich, wie es weiter im Norden aussieht.“
Wieder konnte sich Hasard das Grinsen nicht verkneifen.
„Na schön, versuchen wir es.“
Er ließ die Dubas näher zur Küste hin abfallen. Die russische Küstenschaluppe lief jetzt im spitzen Winkel auf die Fischerboote zu.
Am steinigen Strand waren mittlerweile ein paar Gestalten erschienen. Sie hielten die Hände über die Augen und blickten der Dubas entgegen. Die Fischer, längst aufmerksam geworden, gaben Handzeichen zum Land hin. Dann packten sie in aller Eile ihr Angelzeug ein, warfen das Netz in den Nachen und pullten zur Küste.
Hasard sah ihnen mit zusammengekniffenen Augen nach.
„Die scheinen von unserem Besuch nicht gerade erbaut zu sein. Sieht so aus, als wollten sie verschwinden.“
„Küstenschaluppen sind offenbar nicht sehr beliebt“, murmelte Ben enttäuscht. „Offenbar haben sie nicht gerade die besten Erfahrungen damit.“
An Land standen ein paar hölzerne Hütten. Frauen und Kinder waren zu sehen. Ein Hund bellte laut, drei Schweine rannten zwischen den Hütten herum, Federvieh war ebenfalls zu erkennen.
Die Fischer pullten die letzte Strecke zum steinigen Strand, als säße ihnen der Leibhaftige im Genick.
Hasard und seine Mannen verfolgten staunend und verblüfft, wie die Fischer ihre Nachen auf Grund setzten, aus den Booten sprangen und die Beine in die Hand nahmen.
Ein paar Arwenacks begannen zu winken, um die aufgescheuchten Leutchen zu beruhigen. Aber niemand kümmerte sich darum.
Die Leute – insgesamt etwa drei Dutzend – setzten sich in Trab, kaum daß die Fischer das Land erreicht hatten. Unter Zurücklassung ihrer Habe rannten sie in einen Laubwald und waren innerhalb weniger Augenblicke darin verschwunden. Nur den Köter hörten sie noch einige Zeit kläffen.
Die Arwenacks sahen sich ratlos an. Am Strand war keine Menschenseele mehr zu entdecken. Alle waren geflüchtet.
„Ein seltsames Völkchen“, meinte Ben. „Was haben sie nur?“
„Das, was du vorhin schon angedeutet hast“, sagte Hasard. „Sie haben mit Schaluppen offenbar schlechte Erfahrungen gemacht. Vermutlich gibt es an dieser Küste ein paar Schnapphähne, die hin und wieder die Ortschaften plündern. Daher bringen sich die Leute immer gleich rechtzeitig in Sicherheit. Wer will es ihnen verdenken?“
„Wir könnten trotzdem vor Anker gehen, um den Leuten unseren guten Willen zu demonstrieren“, sagte Ben. „Wenn sie sehen, daß wir absolut harmlos sind, denken sie darüber anders.“
Hasard schüttelte nach kurzer Überlegung den Kopf.
„Wir segeln weiter, Ben. Es hat keinen Zweck, die Leute von unserer Friedfertigkeit überzeugen zu wollen. Sie würden sich nicht blicken lassen. Und selbst wenn sie Zutrauen faßten, wäre das nicht gut für sie. Wir sind harmlos, und sobald sie ihre Meinung geändert haben, tauchen die wahren Schnapphähne auf und überfallen sie. Ich denke, wir lassen es so, wie es ist. Später wird sich schon noch die Möglichkeit ergeben, etwas in Erfahrung zu bringen.“
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