Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-444-9
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
„Also dann – bis später, Schanghai“, sagte der eiserne Profos.
„Heimweh, Ed?“ fragte Ben Brighton.
„Was, ich? Nach dem verfluchten Hafen etwa?“
„Unter anderem …“
„Der Teufel soll’s holen. Fast hätten sie mir dort die Haut in Streifen abgezogen. Oh, diese triefäugigen Kakerlaken und Kanalratten.“
„Ed.“
„Hör mal, kannst du mich nicht ’ne Weile in Ruhe lassen, Mister Brighton? Ich habe nachzudenken.“
„Wenn die steife Brise aus Nordwesten anhält, laufen wir gute Fahrt.“
„Sag mal, hältst du mich für blöd? Weiß ich das etwa nicht?“
„In zwei Wochen könnten wir die Philippinen erreichen.“
Carberry verzog die Narbenwüste, die er in maßloser Übertreibung sein Gesicht zu nennen pflegte, zu einer Grimasse. Furchtbar sah er aus. Wer ihn nicht kannte, konnte Angst vor ihm kriegen. „Schlag dir das aus dem Kopf, Ben. Bis dahin ändert sich das verdammte Wetter mindestens ein dutzendmal.“
„Wer weiß. Wir könnten aber auch Glück haben und …“
„He, hast du einen Stich, daß du so dämlich daherfaselst, oder was ist los? Bist du unter die Landratten gegangen? Oder willst du mich vielleicht ablenken, was, wie?“
„Ich? Von was denn?“ Ben zog die Augenbrauen hoch.
„Tja, weiß ich auch nicht.“ Carberry blickte voraus. Er stand mit Ben auf dem Quarterdeck der „Isabella VIII.“ und konnte die gesamte Kuhl, sein eigentliches Reich, überwachen. Aber seltsamerweise nahm er die Männer dort unten kaum wahr. Er fiel nicht mit der üblichen Brüllerei über sie her — und das war bedenklich. Sein Blick verlor sich irgendwo in der Ferne, jenseits des Bugspriets der großen Galeone. „Die Philippinen, wie?“ murmelte er. „Weiß der Henker, wo die liegen. Hat jemand eine Ahnung, was wir da wollen? Sollen von Dons verseucht sein, die verdammten Inseln, aber viel zu holen gibt’s da nicht, schätze ich. Nur Reis, Gemüse, Gewürze und so’n Zeug. Pfui Teufel. Soll mit den Dons zusammen absaufen, der Grünkram. Sag mal, wo liegen diese Scheiß-Philippinen?“
„Im Süden.“
„Wo genau? Müssen wir über den Äquator rüber?“
„Nein. Das weißt du doch. Auf dem Herweg waren wir ziemlich dicht dran“, erwiderte Ben Brighton. „Und du hast doch auch die Karten gesehen, die wir inzwischen von den Chinesen erhalten haben.“
„Hab die Orientierung verloren“, brummelte der Profos.
Er drehte sich um, stapfte zum Niedergang der Backbordseite und stieg aufs Achterdeck. Ben folgte ihm mit ziemlich besorgtem Gesichtsausdruck. Carberry trat weit nach achtern und schien Big Old Shane, Ferris Tucker und den alten Donegal Daniel O’Flynn nicht zu sehen, nicht einmal den Seewolf.
Carberry schaute nach Nordwesten. Der Wind blies ihm ins Gesicht und kitzelte sein mächtiges Rammkinn. Carberrys Miene nahm etwas Entrücktes, fast Verträumtes an. Er merkte nicht, wie die anderen hinter ihn traten.
Dort, im Nordwesten, hinter der Kimm, war Schanghai verschwunden. Schanghai am Wangpufluß und Jangtsekiang, Schanghai mit seinen Sampans, mit seinem schnatternden Durcheinander, mit seinen Abenteuern und einem majestätischen schwarzen Schiff, das vier Masten führte — fort, weg, aus. Aber die Erinnerung war damit noch lange nicht ausgelöscht.
„Schockschwerenot“, sagte Carberry leise. Leise, das war bei ihm etwas Besonderes, murmeln, das ließ seine Kameraden besorgt die Stirn runzeln. Denn wenn der Profos brüllte, war er gesund, aber wenn er leise sprach, war er irgendwie krank.
Sir John, der karmesinrote Ara, saß in den Besanwanten, spähte zu seinem Herrn hinunter und wagte es in diesem Augenblick nicht, zu ihm zu flattern und ihn zu ärgern. Er spürte instinktiv, daß im Moment mit dem Profos nicht gut Kirschen essen war.
„Hölle und Teufel“, sagte Carberry. „Hätte nicht gedacht, daß ich dem Nest nachtrauern würde.“
Shanes Baß ertönte in seinem Rükken. „Nun mal halbe Fahrt, Ed. Du trauerst Schanghai doch gar nicht nach.“
Carberry drehte sich zu ihm um. Sein Blick streifte auch Ferris, Ben und den alten O’Flynn, die sich zu Shane gesellt hatten. Aus dem Hintergrund näherte sich der Seewolf.
Carberry verfluchte sich innerlich, daß er das gesagt hatte und die anderen es aufgeschnappt hatten. Aber jetzt war es heraus. Und er durfte sich keine Blöße geben. Er hatte sich in der Gewalt.
Er blickte den zweifelnd blickenden Shane feindselig an. „Soll ich losheulen, um mein Bedauern auszudrücken, du Stint?“
Shane grinste. „Das nicht. Aber ich bin felsenfest davon überzeugt, daß du Schanghai, dem Kuan, den Soldaten, den Kriegsdschunken und den Halunken, die dir ein Pulverfaß an den Hintern gebunden haben, nie und nimmer auch nur eine Träne nachweinst.“
„Das wäre ja ein Aberwitz“, bemerkte Old Donegal.
„Felsenfest überzeugt. Aberwitz“, äffte Edwin sie nach. Er stand breitbeinig da und glich die Schiffsbewegungen geschickt in den Kniegelenken aus. „Was wollt ihr eigentlich beweisen?“
„Gar nichts“, erwiderte Ferris Tukker. „Aber der Abschied von Siri-Tong und ihrer Crew ist uns genauso schwergefallen wie dir. Jeder von uns hat noch eine Weile daran zu kauen. Nur sollten wir versuchen, das zu vergessen. Und denk doch mal an Hasard. Was soll der denn sagen?“
Carberrys Blick warnte ihn. Der Seewolf hatte sie fast erreicht. Sollte man ihm die Trennung von der Roten Korsarin noch erschweren? Gewiß, ein Mann wie der Seewolf durfte nirgendwo eine feste Bindung eingehen. Das war ihm selbst klar, das wußte auch seine Crew, und das gehörte zu den stillen Vereinbarungen, die zwischen ihm, Hasard, und Siri-Tong bestanden. Trotzdem, es war nicht leicht, jetzt so einfach davonzusegeln. Sie alle, vom Kapitän bis zum Schiffsjungen, hatten die gesamte Mannschaft des schwarzen Seglers in ihr Herz geschlossen. Das waren keine simplen Verbündeten auf Zeit gewesen, sondern echte Kameraden.
Ganz problemlos war das alles nicht abgelaufen, es hatte beim gemeinsamen Kreuzen in der Karibik, beim Umsegeln der Neuen Welt und schließlich beim Überqueren des riesigen Teiches, den sie Südsee nannten, auch öfter mal Meinungsverschiedenheiten, ja, Streit gegeben. Doch das gehörte dazu. Fest stand, daß die Abenteuer und Entbehrungen beide Crews ziemlich fest zusammengeschmiedet hatten. Bloß eingestehen wollten Hasards Männer es nicht.
„Hölle“, sagte Carberry mit gespielter Erleichterung. „Im Grunde bin ich ja froh, daß wir wieder allein und unabhängig sind. Wir haben genug am Hals und müssen an uns selbst denken.“
„Stimmt“, pflichtete Ferris, der rothaarige Schiffszimmermann, ihm sofort bei. „Und wenn ich an Thorfin Njal denke – diesen behelmten Nordpolaffen! Gut, daß wir den los sind. In letzter Zeit ging der Bursche mir verdammt auf die Nerven.“
„Und seine behelmten Landsleute?“ sagte Shane. „Eike, Arne, Oleg und der Stör? Jetzt kann ich’s ja offen und ehrlich sagen, ich hab die Burschen nie leiden können.“
Old O’Flynn hieb in die gleiche Kerbe. „Also, der blödeste Hund von allen war ja wohl Juan. So ein Schlitzohr. Und der Boston-Mann, der fast nie was sagt? Hat auch nur einer von uns ihm so richtig über den Weg getraut?“
Ben Brighton stellte durch einen raschen Seitenblick fest, daß der Seewolf schräg hinter ihm stehengeblieben war. Ben beschloß, zum Schein mitzuwettern.
„Ach wo“, erklärte er. „Ich sage euch, die Besatzung des schwarzen Seglers ist ein übles Volk. Ein großer Sauhaufen. Denkt doch mal an Bill the Deadhead, diesen Schläger. Oder an Muddi, diese dreckige Ratte. Und Mike Kaibuk? Hat jemand einen ähnlich verschlagenen Typ gesehen? Ganz zu schweigen von Missjöh Buveur, diesem versoffenen Schnapphahn. So was ist doch keine Mannschaft, sondern ein Haufen, bei dessen Anblick sich jedem richtigen Seemann kräftig die Haare sträuben.“
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