Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-664-1
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Dieser späte Nachmittag des neunten Juni blieb dem alten Piraten Uluch Ali noch sehr lange in Erinnerung. An diesem Tag nämlich hatte ihm der Seewolf zum zweiten Male eine schmähliche Niederlage bereitet.
Noch wußte Uluch Ali nichts davon, aber er sollte es bald erfahren. Seine Gedanken waren seit jenem Augenblick schlagartig abgerissen, als er eine Drehbasse auf den verhaßten Killigrew abfeuern wollte, um ihn vom Achterdeck seiner Feluke zu putzen.
Er wollte die Lunte gerade auf das Zündkraut drücken, da blitzte es von der Feluke auf. Ein grimmiger Kerl drüben hatte seine Muskete abgefeuert.
Uluch Ali sah noch das kleine Rauchwölkchen, das dem gelben Blitz folgte, dann hatte er einen dumpfen Schlag verspürt, und um ihn herum war alles seltsam still und friedlich geworden.
Unter starken Schmerzen öffnete er ein Auge. Es ließ sich nur mühsam öffnen, denn es war von Blut verklebt, das längst geronnen war.
Rechts und links war sein Blick stark eingeengt. Er sah nur Planken, die ihn von allen Seiten wie einen Sarg umgaben.
Langsam tasteten sich seine Hände nach oben. Quer über seine Stirn lief ein dünner Verband, und an den Seiten spürte er getrocknetes Blut. Was, beim dreimal geschwänzten Scheitan, war nur geschehen?
„Der Erhabene ist erwacht, Allah sei Dank!“ hörte er eine Stimme direkt neben sich in diesem verfluchten engen Sarg.
Der Erhabene! So nannten ihn seine Kerle, die ihn mehr als den Teufel fürchteten. Aber der Erhabene hatte eine unglaublich zähe Kondition, und außerdem war der Erhabene so sauer wie selten zuvor.
Ungeachtet der Reiterscharen, die durch seinen Schädel brausten, richtete er sich ruckartig auf. Er sah, wie die Kerle zusammenzuckten.
Er bot allerdings auch einen schrecklichen Anblick. Sein schwarzer, von der Oberlippe bis zum Kinn reichender Bart war blutverklebt. Seine dunklen Augen blickten grausam und gnadenlos, und auf seiner fleischigen Nase befand sich ebenfalls getrocknetes Blut. Seinen blutverschmierten Schädel zierten die Überreste einer alten zerrissenen Djelaba, durch und durch von geronnenem Blut getränkt.
Fassungslos sah Uluch Ali sich um.
Der Sarg war ein Beiboot, genauer gesagt, das Beiboot seiner Flaggschiff-Feluke. Von der war allerdings weit und breit nichts zu sehen.
Im Beiboot hockten zehn übel zugerichtete Kerle, Kameltreiber, die unter die Hufe ihrer durchgehenden Tiere geraten waren.
Die lädierten Kerle im Boot hatten ein kleines Notsegel angeschlagen und trieben vor dem Wind dahin. Einem fehlte das linke Ohr, zwei andere trugen ebenfalls einen blutdurchtränkten Turban, einer hatte ein zerschossenes Bein, und ein anderer konnte sich kaum noch bewegen.
Uluch Ali blickte den Steuermann an. Der saß zwar in sich zusammengesunken wie ein Häufchen Elend auf der Ducht, aber ihm fehlte nichts, überhaupt nichts. Der Kerl hatte nicht die kleinste Blessur. Er war also in dem Gefecht mit dem Seewolf mit heiler Haut und gesunden Knochen davongekommen.
„Was ist passiert?“ fragte Ulluch Ali rauh. Seine Stimme ließ die Kerle noch mehr in sich zusammenkriechen.
Der Steuermann sprach für die anderen.
„Dieser Christenhund hat uns …“
„… versenkt“, vollendete Ali mit weißem Gesicht.
„Nein, Erhabener“, widersprach der Steuermann. „Er – er hat das Flaggschiff genommen.“
Uluch Ali starrte den Kerl an, als sähe er einen Geist.
„Er hat das Flaggschiff genommen?“ brüllte er, außer sich vor Wut. „Wie konnte er das Flaggschiff nehmen?“
„Ihr erhieltet einen Kopfschuß, Erhabener, und als die Hunde immer noch weiterfeuerten, haben wir Euch ins Boot gebracht und sind davongesegelt, um Euch in Sicherheit zu bringen, Erhabener“, fügte der Steuermann schnell noch entschuldigend hinzu.
Was dann folgte, erinnerte die anderen lebhaft an den Kampf mit den Seewölfen. Es war, als flögen ihnen erneut Höllenflaschen um die Ohren.
Alis Schmerz war wie weggeblasen. Eine ohnmächtige Wut beherrschte sein Gesicht. Seine Hände zitterten, sein Mund zuckte. Er stand auf, hielt sich an einem der lädierten Kerle fest und trat dem Steuermann voller Wut in den Bauch. Dabei überschlug sich seine Stimme, und er schrie und geiferte, daß es den Kerlen angst und bange wurde.
„Du Sohn einer räudigen Hure bist ausgekniffen?“ brüllte er. „Und ihr anderen Hurensöhne habt auch nicht weitergekämpft. Ihr seid mit vollen Hosen abgehauen. Einfach abgehauen, ihr feigen Schakale. Ihr laßt euch vertreiben wie lästige Sandflöhe. Ihr seid es nicht Wert, daß die Sonne euch bescheint. Aber das werdet ihr mir büßen, einer nach dem anderen. Diese Schande, diese Schande“, murmelte er erbittert, schlug die Hände vor das Gesicht und ließ sich auf die Ducht sinken.
Nein, das überstand er nicht. Diese räudigen Köter waren ausgekniffen und hatten es nicht geschafft, den verhaßten Seewolf zu stellen. Er war ihnen wieder einmal entwischt, aber er war keineswegs geflohen. Er hatte sich, das war das allerschlimmste, noch das Flaggschiff geschnappt und war damit hohnlachend davongesegelt!
Es war eine Blamage, die Uluch Ali nicht verkraftete. Vor allem würde sie seinem Ansehen schaden. Ihm, Uluch Ali, mußte das passieren. Die zweite Niederlage durch einen Gegner, der schon fast gestellt war und sich jetzt über ihn kranklachen würde.
Allein der Name Uluch Alis ließ die Seefahrer des Mittelmeeres bereits zittern, und die meisten hatten die Hosen schon voll, wenn sie an Gibraltar vorbeisegelten – in der bangen Erwartung, sie würden auf einen seiner Piraten oder gar auf ihn selbst treffen. Die meisten ergaben sich auch fast kampflos wie das Kaninchen vor einer Schlange.
Nur einer ergab sich nicht: Der Seewolf und seine Satanskerle. Sie, die immer wieder gestellt wurden, fanden immer einen Weg, um Uluch Ali eine Schlappe zu bereiten, und diesmal hatten sie es auf die Spitze getrieben. Sie hatten sein kostbares, im ganzen Mittelmeer bekanntes Flaggschiff geklaut.
Zuerst war es diese Gruppe gewesen, die die „San Marco“ ausgeplündert hatte, und jetzt trat der Seewolf persönlich in Erscheinung und nahm seinen unfähigen Kerlen die Feluke ab!
Er begann wieder zu toben und zu brüllen, belegte die Kerle mit den unflätigsten Ausdrücken und warf ihnen die Feigheit räudiger Schakale vor.
„Erhabener“, sagte der Steuermann flehend, „wir waren führerlos, als Ihr getroffen wurdet. Aus Sorge um Euch setzten wir den Kampf nicht fort, nur um Euch so schnell wie möglich aus der Kampfzone zu bringen.“
Dafür hatte Ali allerdings kein Verständnis.
„Ausreden!“ schrie er. „Ausflucht von feigen Hunden. Ich hätte es noch verkraftet, wenn der Satan entwischt wäre, aber ich verkrafte nicht, daß er mein bestes Schiff genommen hat. Ihr hättet weiterkämpfen müssen, solange, bis dieser Satan in Grund und Boden geschossen worden wäre, aber ihr kneift einfach aus und läßt die Feluke im Stich mit allem, was an Bord war. Ihr erbärmlichen Schakale.“
Ali trat wieder zu, wahllos drosch er seine harten Fäuste den entsetzten Kerlen an die Köpfe. Mit jedem Schlag, den er verteilte, beschimpfte er sie pausenlos.
Jetzt blieb nur noch Muley Salah, dachte er, den er hinter der Sambuke der anderen Seewölfe hergeschickt hatte. Vielleicht schaffte Salah es noch, diesen Kerlen eins überzubraten.
Wenn Ali allerdings gewußt hätte, daß Salah einschließlich seiner drei Feluken längst versenkt worden war, hätte er wahrscheinlich einen Schlaganfall erlitten. Und er wußte auch nicht, daß es der Seewolf persönlich gewesen war, der eine dieser Feluken zum Teufel geschickt hatte.
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