„Danke.“
Die Mutter ist gerade außer Sichtweite, da gibt der Kleine mit dem Kipplaster richtig Gas und steuert ihn zielstrebig in die große Pfütze vor unserer Campsite. Gebremst wird erst, als er merkt, dass Wasser in seine Gummistiefel läuft. Aber für einen Allradkipper gibt es kein zurück. Es geht nur vorwärts. Langsam verschwindet der Plastiklaster vollständig und das braunschwarze Schlammwasser steigt genauso langsam in den Ärmeln des Blondschopfs nach oben. Zwei Kinderschritte weiter rinnt die Brühe in seinen Kragen.
Es geht weiter vorwärts. Respekt.
Erst als das Pfützenwasser ihm bis zum Kinn steht, verzieht er das Gesicht, als wolle er losheulen. „Wenn er jetzt den Mund aufmacht, säuft er ab“, denke ich und springe von der Haube.
Aber das ist ihm wohl auch in dem Moment klar geworden und so presst er die Lippen fest zusammen und schiebt weiter. Der Pfützentiefpunkt ist durchschritten. Das Kind und auch der Laster tauchen wieder auf. Beide sind total mit Schlamm und Modder behangen, weder von den Klamotten des Fahrers noch vom Kipplaster lässt sich irgendeine Farbe erkennen. Wasser läuft aus den Ärmeln und bei jedem Tritt spritzt eine kleine Fontäne aus den Stiefeln.
Es sind vielleicht gerade mal 40 Sekunden vergangen und die Mutter kommt zurück: „Ich nehme ihn doch mit“, wollte sie wohl sagen, aber ihr Satz endet, als sie an den Umrissen erkennt, dass der Schlammhaufen ihr Sohn sein muss. Mit weiten Schritten stürmt sie auf ihn zu und zieht den kleinen Rabauken hinter sich her. Ich werde keines Blickes mehr gewürdigt. „Er hat überhaupt nicht geweint, sein Papi kann stolz auf ihn sein“, rufe ich noch hinterher, setzte mich wieder auf die Motorhaube und denke: „Der Tag fängt gut an, den Morgenkaffee noch nicht leer getrunken und schon eine gute Tat vollbracht.“
I'm dreaming of a purple christmas …
Die angelegten Urwaldwege werden von Rangern instand gehalten und fordern unseren Land Cruiser nicht wirklich, aber man sieht am Pistenrand häufiger abgerissene Plastikteile vom Motorschutz oder Schmutzfänger liegen, so ganz ohne sind die Wege wohl doch nicht.
Über dunkle Dschungelpisten geht es zurück zum Strand. Heute ist Weihnachten und wir müssen noch den Baum schmücken. Nur welchen Baum, die Auswahl ist groß. Letztendlich entscheiden wir uns für einen abgefallenen Pinienast, den wir vor unseren Tisch in den Sand stecken und mit Kugeln behängen – violette natürlich.
Namensgebung von Fraser Island
Der Name Fraser Island geht auf ein Schiffsunglück im Jahr 1836 zurück. Zuvor hieß die Insel „Great Sandy Island“. Der Kapitän James Fraser steuerte das Segelschiff „Stirling Castle“ von Sydney nach Singapur. Am Great Barrier Reef lief das Schiff auf Grund, der Rumpf wurde beschädigt, das Schiff sank. Die Überlebenden, darunter James Fraser und seine Frau Eliza, versuchten mit Rettungsbooten das Festland zu erreichen, was ihnen auch nach etwa 30 Tagen gelang. Kapitän James Fraser und viele Schiffbrüchige verstarben auf der Insel. Seine Frau überlebte durch die Hilfe von Aborigines. Monate später wurde sie gerettet und kehrte nach England zurück. Die Geschichte erzählte sie als Jahrmarktattraktion in London und die Insel bekam ihren heutigen Namen nach Kapitän James Fraser.
Die Geschichte wird in dem Roman „A Fringe of Leaves“ des australischen Literaturnobelpreisträgers Patrick White nacherzählt.
Stahlbeton für Schickimickis
Surfers Paradise: Wolkenkratzer direkt am Strand
Stahlbeton für Schickimickis
Durch ein Gebiet erloschener Vulkane kurven wir zurück nach Brisbane. Die Felsspitzen erinnerten James Cook, den Entdecker Australiens (na ja, ob er überhaupt Australien entdeckt hat, ist zweifelhaft) an seine Heimat mit den hohen Schornsteinen der Glashütten. Die Landschaft bekam von James Cook den Namen Glasshouse Mountains verpasst. Wahrscheinlich waren die Holländer bereits mehr als 150 Jahre vorher an Land gegangen, als sie auf der Suche nach einem sicheren Seeweg von Indien in ihre Heimat waren. Da sie außer Haue von ein paar Wilden nichts mitnehmen konnten, war ihr Interesse gering. Die Arbeit, einen Mast in die Erde zu rammen und die Fahne zu hissen, machten sie sich erst gar nicht.
Die Ehre gebührt dementsprechend offiziell James Cook. Dass die Ureinwohner Australien bereits vor 50.000 Jahren entdeckten, ist zu lange her, als dass es noch Beachtung hervor ruft, es zählt nicht.
Glasshouse Mountains
Unser Cruiser blubbert mit 80 km/h vor sich hin, an einer Schilderbrücke auf dem Pazifik-Highway sehen wir das erste Hinweisschild zum „Surfers Paradise“.
Surfers Paradise, der Name klingt gut, klingt nach ein paar Strandbuden, vor denen sonnengebräunte Twenties ihren Graffiti besprühten VW-Bus parken und sich mit Surfbrett in die meterhohen Wellen stürzen, klingt nach Bikini, Bacardi und Party. Klingt gut.
Die paar Strandbuden sind inzwischen aus Stahlbeton, unzählige Stockwerke hoch und die Bude Q1 war bei der Erbauung 2005 der höchste bewohnte Wolkenkratzer. Sonnengebräunte Twenties sieht man auch, aber in der Mehrzahl blasse Japaner und hellhäutige Nordeuropäer, die, sobald sie braun gebraten sind, nach Hause fliegen. Und einige Deppen rennen mit ihrem Surfbrett herum, hätten sie mal richtig gegoogelt, wüssten sie, dass Surfers Paradise keine guten Surfbedingungen bietet, die Wellen sind am kilometerlangen Sandstrand einfach nicht hoch genug.
Die Hochhäuser sind austauschbar, der Badeort könnte auch an der Côte d’Azur oder in Miami liegen. Die Postkarten sehen so gleich aus wie die Hotels der internationalen Ketten von Hilton, Marriott und Mercure oder die Schaufenster von Rolex, Prada, Gucci und Ralph Lauren. Davor stehen schöne Pärchen und solche, die sich nur für schön halten.
Da Surfers Paradise ein Touristenort ist, an dem ordentlich Geld verdient wird, sieht man auch keine alten VW-Busse (außer den Surfern, die sich verfahren haben), sondern dicke Ami-Schlitten, fette Geländewagen und alles, was einen guten Sound hat, wohingegen mein 4,2-Liter-Motor nur ein Summen von sich gibt. Was bleibt ist Bikini, Bacardi und Party.
Das Hard Rock Café unweit des Q1
Bunte Neonlichter in der Nacht werben für Partys in Discos und Nachtclubs, für Pubs, Restaurants und Hotels, welche die imposante Skyline bilden. Vor allem die Skyline ist absolut beeindruckend, zumindest für jemanden, der aus Wilnsdorf kommt. Okay, der Bauer in Wilnsdorf melkt die Kuh im Stall auch bei Neonlicht. Licht hatte der Bauer, der an der Stelle, wo heute das Stadtzentrum liegt, vor 150 Jahren seine Farm baute, nicht. Er hätte mit seinen bescheidenen Erträgen die Stromrechnung gar nicht bezahlen können. 1877 war der Bauer pleite und verkaufte die Farm an einen Deutschen namens Meyer. Dieser baute Zuckerrohr an und war nach nicht einmal zehn Jahren ebenfalls ruiniert. Er verkaufte das Land und baute am Strand eine Bude, die er Main Beach Hotel nannte. Um das Hotel herum entstand in den nächsten 20 Jahren eine kleine Siedlung. Wahrscheinlich hießen alle Einwohner „Meyer“. Die Meyers vermehrten sich, Touristen kamen und eine bessere Verkehrsanbindung brachte noch mehr Touristen zu den Meyers. Die Meyers wurden reich und die Chance auf Reichtum zog Spekulanten und Investoren an, die das unfruchtbare Land an der Küste erwarben und Hotels bauten. 1925 eröffnete Jim Cavill aus Brisbane das Surfers Paradise Hotel und brachte es mit List und Tücke fertig, dass der Landstrich nach seinem Hotel benannt wurde. 1960 setzte ein Touristenboom ein, Schauspieler und Promis feierten Partys, bauten Villen, brachten Geld und noch mehr Geld. Land wurde knapp und teuer und so wurde in die Höhe gebaut. Wer weiß, was in 150 Jahren aus dem Wilnsdorfer Kuhstall geworden ist, vielleicht heißt Wilnsdorf dann „Bauer’s Paradise“ und Touristen aus fernen Ländern staunen über die höchsten Wolkenkratzer, die die Welt je gesehen hat und werden vom schlauen Bauern bei Neonlicht gemolken.
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