Pascal nannte sie seine Dienerin und sprach leise auf sie ein. Niemals bisher hatte ein Mann sie so behandelt; herablassend, demütigend, und niemals zuvor hatte sie einen intensiveren Orgasmus gehabt. Was geschah mit ihr? Es wurde höchste Zeit, dass sie wieder klar denken konnte.
Am späten Nachmittag lag Sylvia im Bikini auf dem Balkon ihrer Wohnung. Die Sonne wärmte sie angenehm. Aber ihre Entspanntheit war nur oberflächlich. In Wahrheit herrschte in ihr das blanke Gefühlschaos. Nach den Erlebnissen im Hotelzimmer hatte Pascal sie zu ihrem Fahrzeug begleitet. Er war genauso höflich und charmant gewesen, wie sie es von ihm kannte. Am Auto hatte er ihr schließlich gesagt, dass dies seine Art der Sexualität sei, in die sie, Sylvia, nun einen kleinen Einblick bekommen habe. Sollte sie sich weiter mit ihm treffen wollen, dann würde dies der Grundstein ihrer Beziehung sein. Pascal hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er sie wollte; sie als seine Sklavin wollte. Für Sylvia waren seine Worte abstrakt und nur schwer verständlich. Sadomasochistische Praktiken waren ihr so fern wie die Gebirgszüge des Himalaya. Und dennoch; allein der Gedanke an die erlebten Orgasmen, ließ ihren Unterleib aufs Neue erbeben. Wollte sie das alles? Konnte sie das? Vor allem: konnte sie Götz wirklich auf diese Art und Weise hintergehen? Und wer war Pascal eigentlich? Bis jetzt wusste sie kaum etwas über ihn, außer dass er eine mehr als betörende Wirkung auf sie ausübte und gefährliche, sexuelle Vorlieben hatte. Sie hatte keine Antworten parat und traute sich nicht einmal Bettina einzuweihen, obwohl sie sich sicher war, dass Bettina bereits vor Neugier brennen würde, ob sich ihre beste Freundin nicht doch mit diesem geheimnisvollen Typen getroffen hatte.
Von derlei Skrupeln war Pascal meilenweit entfernt. Er hatte den Anfang gemacht und sein Spiel begonnen. Er ahnte sehr gut, in welchem Gefühlschaos Sylvia sich befinden musste. Dennoch war es ihm gleichgültig, solange sie nur sein Spiel mitspielte. Und er würde schon geeignete Mittel und Wege finden, Sylvia zu steuern, zu manipulieren, notfalls mit dem Videomaterial, wenn es nötig wäre. Aber für den Moment, das wusste er nur zu genau, war sie noch immer völlig überwältigt von der Intensität des Erlebten. So sehr, dass er sich nur ein oder zwei Tage gedulden müsste, dann würde sie ihm sicherlich erneut per SMS kontaktieren. Äußerst zufrieden mit sich, saß er auf der Couch und blickte auf das Glas Bourbon, das er in seiner Hand drehte, als er bemerkte, dass Jennifer nach Hause kam. Seine Mine verfinsterte sich augenblicklich. Am liebsten hätte er sich seiner lästigen Frau entledigt, so sehr verabscheute er sie. Jennifer war das Gegenteil von dem, was er sich von einer Frau wünschte. Sie war selbstsicher, optimistisch und auf ihre Art erhaben. Zudem war sie äußerst attraktiv und sich dessen absolut bewusst. Ihre Ehe hatte nur noch Bestand, weil sie beide voneinander profitierten. Jennifer war als äußerst erfolgreiche Immobilienmaklerin tätig, und der Erfolg war nicht zuletzt ein Verdienst von Pascal, der aufgrund seiner guten Kontakte in einflussreiche Kreise, die vielversprechendsten Immobilienprojekte an Land gezogen hatte. Dies war eindeutig Pascals Kapital, er verfügte über eine absolut beeindruckende Portion Charisma, Eleganz, Witz und Charme. Man schmückte sich gerne mit ihm, da er ein Meister darin war, alle in seinen Bann zu ziehen. Er war einer der wenigen Menschen, denen es gelang, einen dunklen Raum zu erleuchten, nur dadurch, dass er ihn betrat. Niemand, bis auf Jennifer, ahnte, dass er ein ausgesprochener Soziopath war, der sein Blendwerk jedoch perfekt beherrschte. Der größte Teil ihres Wohlstandes war Jennifers erster Ehe entsprungen. Da sie seinerzeit auf einen Ehevertrag bestanden hatte, befand Pascal sich nun jedoch in einer Zwickmühle. Sollte er Jennifer verlassen, wäre auch sein luxuriöser Lebensstil dahin. Dennoch hatten sich beide mit dieser Situation arrangiert. Im Grunde war es eine sogenannte Win-win-Situation.
Sie hatten seit geraumer Zeit getrennte Schlafzimmer und jeder von ihnen lebte seine eigene Sexualität in Form von zahlreichen Affären aus, die sie in stillem Einvernehmen tolerierten. In Wahrheit hatte Jennifer nie etwas für Pascals Fetisch übriggehabt, und dennoch hatte sie es zugelassen, dass er im Keller des gemeinsamen Hauses ein üppig ausgestattetes Sado-Maso Zimmer hatte einrichten lassen, indem er immer wieder Frauen behandelte, oder misshandelte und quälte, wie Jennifer es auszudrücken pflegte. Sie selbst betrat diesen Raum niemals, er war ihr zutiefst zuwider. Sie bevorzugte kurze, manchmal sogar parallele Affären, die sie selbst begann und meist auch wieder beendete, wenn sie des jeweiligen Partners überdrüssig wurde. Häufig hatte sie kaum tiefergehende Information, über die jeweiligen Typen, mit denen sie gerade das Bett teilte, und sie legte auch keinen übermäßigen Wert darauf. Das Exemplar, mit dem sie sich gestern Abend noch in einem Hotelbett vergnügt hatte, verfügte ganz offensichtlich über einen recht vernünftig bezahlten Job in irgendeinem Büro, zumindest ließen seine Garderobe und der Mercedes darauf schließen. Mehr wollte sie gar nicht von ihm wissen. Tiefe Emotionen oder gar Liebe spielten bei Jennifer nur eine untergeordnete Rolle. Es ging um die Befriedigung ihres Sexualtriebes, und zumindest in dieser Hinsicht nahmen sich Pascal und Jennifer nicht das Geringste. Ihre Affären waren vom Egoismus geprägte Intermezzos. Vielleicht war es gerade das fehlende soziale Gewissen, dass ihnen beiden eigen war, dass dafür Sorge trug, dass sie einander nicht verließen. Einzig die unleugbare Tatsache, dass Jennifer ihn finanziell aushielt, war für Pascal nur schwer auszuhalten. Natürlich, eine geregelte Arbeit gehörte schlicht und ergreifend nicht in seine Lebensphilosophie. Und die fünftausend Euro, die Jennifer ihm monatlich für seinen Lebensunterhalt überließ, betrachtete er nur als angemessen. Lediglich die Art und Weise, mit der sie ihm den Betrag an jedem Monatsersten zukommen ließ, empfand er als ungeheure Demütigung. Sie könnte ihm das Geld einfach überweisen. Aber nein; Jennifer hatte es sich zur lieben Angewohnheit gemacht, es regelmäßig, fast nachlässig mit einer Büroklammer zusammengesteckt, auf dem Küchentisch zu drapieren. Er wusste nur zu gut, dass Jennifer ihm mit dieser Art der Geldübergabe ihre Machtposition demonstrierte, und es genoss, ihn damit an seinem wundesten Punkt zu treffen. An jedem Monatsersten, in dem Moment, wenn er nach dem Geldbündel griff, und Jennifer ließ es sich selten nehmen, ihn dabei süffisant anzulächeln, war er von finsteren Gedanken beseelt, die allesamt damit beschäftigt waren, Jennifer auf schmerzhafte, unauffällige aber auf jeden Fall nachhaltige Weise aus seinem Leben zu katapultieren. Der persönlich überreichte Obolus, war für Pascal eine monatlich wiederkehrende, grausame Niederlage und Demütigung die Jennifer in eine Machtposition gerückt hatten, die er nur für sich in Anspruch nehmen wollte und niemandem sonst gönnte.
Jennifer betrat das geräumige Wohnzimmer. „Hallo Schatz.“, sagte sie und warf ihm einen kurzen prüfenden Blick zu. Sie hatten sich dieses Kosewort als persönliche Anrede erhalten. Wenn auch aus rein pragmatischen Gründen, um es auf Banketten oder bei sonstigen offiziellen Anlässen wie selbstverständlich benutzen zu können. In der Öffentlichkeit als harmonisches Paar aufzutreten, war ein Teil ihres gut strukturierten Erfolgskonzeptes. Pascal sah dennoch nur kurz in ihre Richtung, und reckte ihr dann zur Begrüßung lediglich das nahezu leere Bourbon Glas entgegen. Sie griff nach der Flasche an der Bar, goss sich selbst einen ordentlichen Drink ein, und mischte etwas Eis hinzu. Während sie sich mit ihrem Glas auf die große Terrasse aufmachte, stellte sie beiläufig die Whiskyflasche vor ihm auf den runden Designercouchtisch ab. Man kannte sich eben gut, und Jennifer wusste, dass dies nicht der geeignete Moment für belanglosen Smalltalk war. Pascal war in Gedanken und wollte nicht gestört werden, und Jennifer hatte nicht das Geringste daran auszusetzen, wenn er sie nicht mit seinen privaten Geschichten behelligte.
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