Als er seine Kammer verließ, erwarteten ihn seine acht Kinder und führten ihn in den Festsaal. Dort saßen seine Männer bereits zu Tisch und warteten ungeduldig auf sein Eintreffen, um sich über die Mahlzeit herzumachen. Denn der Tisch bog sich unter den vielen Köstlichkeiten.
Frau Lucia setzte sich neben ihren Mann, ohne ihre Angst zu zeigen, doch sie war nicht von aller Unruhe befreit, denn sie hatte zwar in aller Eile ein Festmahl herrichten können, aber noch immer fehlte es an Bier und Met, die sich nicht so rasch brauen lassen. Und sie wusste ja nicht, ob Herr Eskil sich mit einem Frühstück zufrieden geben würde, bei dem die Getränke fehlten.
Aber nun sah sie vor sich auf dem Tisch die große Kupferkanne, aus der die heilige Jungfrau ausgeschenkt hatte. Dort stand die Kanne, bis an den Rand mit duftendem Wein gefüllt. Abermals war Frau Lucia glücklich über den Schutz der barmherzigen Heiligen, und sie bot Herrn Eskil den Wein an, während sie erzählte, wie der nach Börtsholm gelangt war, und während ihr Gemahl voller Staunen zuhörte.
Als Herr Eskil den Wein, der diesmal jedoch nicht einschläfernd wirkte, zum zweiten Mal gekostet hatte, fasste Frau Lucia sich abermals ein Herz und berichtete von ihrer Reise. Herr Eskil machte zuerst ein überaus ernstes Gesicht, doch als sie von dem Priester, Herrn Kolbjörn, erzählte, rief er:
»Herr Kolbjörn ist ein sehr guter Freund von mir, Frau Lucia. Ich bin von Herzen froh, dass Ihr ihm helfen konntet.«
Dann stellte es sich heraus, dass der Gutsherr von Saxudden in vielen Feldzügen Herrn Eskils Waffenbruder gewesen war, dass sich unter den frommen Frauen eine Verwandte von ihm befand und dass Krämer Lasse aus dem Marktflecken ihm Kleidung und Waffen aus dem Ausland zu besorgen pflegte. Noch ehe Frau Lucia ihren Bericht beendet hatte, hatte Herr Eskil ihr nicht nur verziehen, er war ihr zudem von Herzen dankbar, weil sie so vielen seiner Freunde geholfen hatte.
Doch die Angst, die Frau Lucia während der Nacht erlitten hatte, überkam sie ein weiteres Mal, und mit Tränen in der Stimme sagte sie endlich:
»Jetzt aber habe ich das Gefühl, lieber Herr, dass ich sehr unrecht gehandelt habe, da ich, ohne Euch um Erlaubnis zu fragen, Euer Eigentum verschenkt habe. Aber ich bitte Euch, denkt an meine Jugend und Unerfahrenheit und verzeiht mir deshalb.«
Als Frau Lucia das gesagt hatte und Herr Eskil begriff, dass seine Gattin so fromm war, dass eine Bewohnerin des Himmels irdische Gestalt angenommen hatte, um ihr zu Hilfe zu kommen, und als er dann bedachte, wie er, der als weiser und bedächtiger Mann gelten wollte, sie verdächtigt hatte und bereit gewesen war, sie mit seinem Zorn zu überschütten, schämte er sich so von Herzen, dass er die Augen niederschlug und ihr nicht mit einem Wort antworten konnte.
Als Frau Lucia ihn so stumm und mit gesenktem Kopf dasitzen sah, erschrak sie abermals und wäre am liebsten weinend davongestürzt. Doch da trat, von allen ungesehen, die barmherzige Lucia in den Saal, schlich sich zu der jungen Frau und flüsterte ihr ins Ohr, was sie nun noch sagen sollte. Und es waren just die Worte, die Frau Lucia selbst gern ausgesprochen hätte, aber ohne himmlische Ermutigung hätte sie sicher niemals genug Mut aufgebracht.
»Um eins möchte ich Euch nun bitten, mein lieber Herr und Gemahl«, sagte sie, »und zwar, dass Ihr von nun an mehr zu Hause bleiben mögt. Denn dann würde ich nie in Versuchung kommen, gegen Euren Willen zu handeln, und ich könnte Euch all die Liebe zeigen, die ich Euch entgegenbringe, und niemand könnte sich zwischen Euch und mich drängen.«
Als diese Worte gesagt waren, merkten alle, dass sie Herrn Eskil nur zu gut gefielen. Er hob den Kopf, und die große Freude, die er verspürte, verjagte seine Schuldgefühle.
Er wollte seiner Gattin gerade eine überaus freundliche Antwort geben, als einer von Frau Rangelas Vögten in den Festsaal gestürzt kam. Er berichtete, dass Frau Rangela in der frühesten Morgenstunde nach Börtsholm aufgebrochen war, um Frau Lucias Bestrafung beizuwohnen. Doch unterwegs waren ihr Bauern begegnet, die sie wegen des Brückenzolls hassten, und im Schutze der Dunkelheit hatten sie Frau Rangelas einzigen Diener in die Flucht getrieben, sie dann vom Pferd gezerrt und sie elendiglich erschlagen.
Jetzt wollte Frau Rangelas Vogt Jagd auf die Mörder machen und verlangte, dass auch Herr Eskil seine Leute dazu aussandte.
Doch nun erhob sich Herr Eskil und sprach mit lauter, strenger Stimme:
»Es erscheint mir hier angebracht, den Bitten meiner Gattin Gehör zu schenken, aber vorher möchte ich die Sache mit Frau Rangela hinter mich bringen. Und da sage ich, dass sie von mir aus ruhig ungerächt bleiben kann, und ich werde auch meine Diener nicht aussenden, um ihretwegen Blutarbeit zu leisten, denn ich bin sicher, dass ihre bösen Taten sie ereilt haben.«
Als er das gesagt hatte, wandte er sich Frau Lucia zu, und nun war seine Stimme so mild, dass man kaum hätte glauben mögen, dass solcher Klang in seiner Kehle wohnte.
»Aber meiner geliebten Gattin möchte ich antworten, dass ich ihr gern verzeihe, so, wie ich hoffe, dass sie mir meine Heftigkeit vergibt. Und da es ihr Wunsch ist, werde ich dem König mitteilen, dass er sich einen anderen Berater suchen muss, denn nun möchte ich bei zwei edlen Damen in Dienst treten. Die eine ist meine Gattin, die andere die heilige Lucia von Syrakus, für die ich in allen Kirchen und Kapellen auf meinen Ländereien einen Altar aufstellen werde, um sie zu bitten, dass sie in uns, die wir in der Kälte des Nordens verschmachten, die Flamme und den Leitstern der Seele, die Barmherzigkeit genannt werden, am Leben erhalten möge.«
Am 13. Dezember, in früher Morgenstunde, wenn Kälte und Dunkelheit auf Värmland lasteten, kam noch in meiner Kindheit die heilige Lucia von Syrakus in alle Häuser, die zwischen den Bergen Norwegens und dem Fluss Gullspångälv lagen. Sie trug noch immer, zumindest in den Augen der kleinen Kinder, ein Kleid aus weißem Sternenlicht und in den Haaren einen Kranz aus brennenden Lichtblumen, und sie weckte die Schlafenden mit einem warmen duftenden Trunk aus ihrer Kupferkanne.
Ich kannte keinen schöneren Anblick, als wenn die Tür sich öffnete und die heilige Lucia in die Dunkelheit der Kammer trat. Und ich wünschte mir, sie hörte niemals auf, sich auf den värmländischen Höfen zu zeigen. Denn sie ist das Licht, das die Dunkelheit besiegt, sie ist die Legende, die das Vergessen überwindet, sie ist die Herzenswärme, die gefrorene Stellen mitten im Winter angenehm und sonnig werden lässt.
Übersetzung von Gabriele Haefs
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