Der jüngere Sokrates:Offenbar ja wohl.
Fremder:Endlich also scheinen wir doch nun eine Spur, der wir nachgehn können, gefaßt zu haben. Denn Priester und Wahrsager haben ja ein sehr verständiges Ansehn, und genießen einer hohen Achtung wegen der Wichtigkeit ihres Geschäftes. So daß in Ägypten kein König ohne Priestertum regieren darf; sondern wenn auch etwa einer aus einem andern Geschlecht die Regierung gewaltsam an sich gerissen hat, so muß er doch notwendig noch nachher in dies Geschlecht eingeweiht werden. Auch unter den Hellenen findet man häufig, daß den höchsten obrigkeitlichen Personen die wichtigsten solcher Opfer zu verrichten übertragen sind. Ja auch bei euch liegt ja dies nicht weniger zu Tage. Denn wen das Los zum Archon, der König genannt wird, macht, dem sagt man wären hier die feierlichsten und altväterlichsten Opfer übertragen.
Der jüngere Sokrates:Allerdings.
Fremder:Diese also, die durchs Los ernannten Könige und (291) die Priester und ihre Diener und noch eine große Menge Anderer die uns jetzt erschienen sind müssen wir betrachten, nach gänzlicher Absonderung aller vorigen.
Der jüngere Sokrates:Welche meinst du nur?
Fremder:Einige gar wunderliche.
Der jüngere Sokrates:Wie so?
Fremder:Ein gar vielstämmiges Geschlecht wie sich gleich auf den ersten Anblick zeigt. Denn viele der Männer gleichen den Löwen und Kentauren und anderen der Art; gar viele aber auch den Satyrn und den schwächeren aber gewandteren Tieren; oft verwandeln sie sich auch aus einer Gestalt und Eigenschaft in die andere. Kurz jetzt, o Sokrates, glaube ich die Männer endlich erblickt zu haben.
Der jüngere Sokrates:Sprich nur. Denn du scheinst etwas gar wunderliches zu sehen.
Fremder:Freilich; denn wunderliches kommt Allen aus der Unwissenheit her. Ist mir doch noch jetzt dasselbe gar plötzlich begegnet. Denn ich war ganz zweifelhaft als ich den Chor, der mit den Staatsangelegenheiten sich beschäftigt, erblickte.
Der jüngere Sokrates:Welchen doch?
Fremder:Den größten Tausendkünstler unter allen Sophisten und den erfahrensten in diesen Künsten, den wir, wie schwer er auch von den wahrhaft königlichen und Staatsmännern abzusondern sein mag, dennoch absondern müssen, wenn wir das gesuchte recht klar sehen wollen.
Der jüngere Sokrates:Davon dürfen wir aber doch auf keine Weise ablassen.
Fremder:Gewiß nicht, wenn es nach mir geht. Sage mir also dieses.
Der jüngere Sokrates:Was doch?
Fremder:Ist nicht die Monarchie eine von den Regierungen des Staates?
Der jüngere Sokrates:Ja.
Fremder:Und nach der Monarchie würde einer, glaube ich, die Obergewalt der Wenigen anführen.
Der jüngere Sokrates:Wie sollte er nicht?
Fremder:Und die dritte Gestalt der Staatsverfassung, ist das nicht die Regierung der Menge, welche Demokratie genannt wird?
Der jüngere Sokrates:Allerdings.
Fremder:Und werden diese nicht gewissermaßen aus dreien fünfe, wenn zwei davon sich aus sich selbst andere Namen hervorbringen?
Der jüngere Sokrates:Was für welche doch?
Fremder:Wenn man doch auf das gewaltsame und freiwillige sieht, auf Armut und Reichtum, auf Gesetz und Gesetzlosigkeit, welche darin Statt haben: so teilt man jede von den beiden in zweie, und benennt die Monarchie, als begriffe sie zwei Arten, mit zwei Namen, die Tyrannei die eine, die andere das Königtum.
Der jüngere Sokrates:Richtig.
Fremder:Und so auch den von Wenigen beherrschten Staat mit zwei Namen, Aristokratie und Oligarchie.
Der jüngere Sokrates:Allerdings.
Fremder:In der Demokratie aber mag nun mit Gewalt oder mit ihrem guten Willen die Menge über die welche das Vermögen in Händen haben regieren, und mag sie die Gesetze genau beobachten oder auch nicht; so pflegt sie doch niemals jemand mit einem anderen Namen zu benennen.
(292) Der jüngere Sokrates:Das ist wahr.
Fremder:Wie nun? Glauben wir nun irgend eine von diesen Staatsverfassungen sei richtig, in wie fern sie durch diese Bestimmungen bestimmt ist, durch die Anzahl, ob es Einer ist oder Wenige oder Viele, oder durch Armut und Reichtum, oder nach dem gewaltsamen und freiwilligen, und in wiefern sie schriftliche Satzungen hat oder ohne Gesetze besteht?
Der jüngere Sokrates:Warum nicht? und was sollte doch dagegen sein?
Fremder:Betrachte es nur genauer, indem du mir so folgst.
Der jüngere Sokrates:Wie doch?
Fremder:Ob wir bei dem anfänglich gesagten bleiben oder davon abgehn wollen?
Der jüngere Sokrates:Von welchem meinst du?
Fremder:Die königliche Regierung sagten wir sei eine Erkenntnis.
Der jüngere Sokrates:Ja.
Fremder:Und nicht nur so eine aus allen, sondern eine sondernde und vorstehende nahmen wir erst aus den anderen heraus?
Der jüngere Sokrates:Ja.
Fremder:Und aus der vorstehenden wiederum eine für unbeseelte Werke und eine für lebendige Wesen, und so sind wir immer weiter teilend bis hieher gekommen, ohne je die Erkenntnis fahren zu lassen, nur was für eine sie wäre, konnten wir immer noch nicht recht ausmitteln.
Der jüngere Sokrates:Richtig gesagt.
Fremder:Das sehen wir also doch, daß weder das Viele noch das Wenige noch das Freiwillige oder Unfreiwillige noch Reichtum oder Armut die Bestimmung darüber enthalten darf, sondern eine Erkenntnis muß es sein, wenn wir anders dem vorigen folgen wollen.
Der jüngere Sokrates:Daß wir das aber nicht tun sollten ist ganz unmöglich.
Fremder:Notwendig also müssen wir jetzt darauf Acht haben, in welcher von diesen nun wohl eine Erkenntnis sich finden kann über die Beherrschung der Menschen, die gewiß fast die schwierigste ist wie die wichtigste zu erwerben. Denn sie müssen wir sehen, um zu wissen was für Leute wir zu trennen haben von dem vernunftmäßigen Könige, als solche die sich zwar dafür ausgeben Staatsmänner zu sein, auch viele dessen überreden, es aber keinesweges sind.
Der jüngere Sokrates:Das müssen wir allerdings tun, wie auch unsere Rede uns schon vorher angedeutet hat.
Fremder:Meinst du nun etwa, die Menge im Staate sei im Stande diese Erkenntnis zu erlangen?
Der jüngere Sokrates:Wie sollte sie wohl!
Fremder:Aber in einer Stadt von tausend Männern könnten doch ihrer wohl hundert oder wenn auch nur fünfzig im Stande sein sie gründlich zu erwerben?
Der jüngere Sokrates:Die leichteste wäre sie dann wohl unter allen Künsten. Denn wir wissen ja daß unter tausend Männern nicht so viel von den übrigen in Hellas sich auszeichnende Brettspieler gefunden werden, geschweige denn Könige. Denn wer die königliche Kunst besitzt, den müssen wir, er mag nun regieren oder nicht, auch nach unserer vorigen Rede doch immer König nennen.
Fremder:Sehr gut erinnert. Und daraus, meine ich, folgt, (293) daß man die richtige Regierung bei Einem oder Zweien oder gar Wenigen suchen muß, wenn es eine richtige gibt.
Der jüngere Sokrates:Wie sollte man anders!
Fremder:Von diesen aber, mögen sie nun mit dem guten Willen der Beherrschten regieren oder wider ihren Willen, und nach geschriebenen Satzungen oder ohne solche, und dabei reich sein oder arm, müssen wir glauben, wie wir jetzt meinen, daß sie jegliche Regierung welche es auch sei nach der Kunst verwalten werden; so wie wir die Arzte nicht weniger dafür halten, sie mögen uns nun mit oder wider unsern Willen heilen, und dabei schneiden, brennen oder welchen Schmerz sonst uns zufügen, und mögen es nach geschriebenen Vorschriften tun oder ohne solche, und arm oder reich sein, in allen Fällen werden wir ihnen nichts desto weniger zugestehen daß sie Ärzte sind, so lange sie nur kunstgerecht dem Leibe vorstehn und ihn reinigen oder sonst irgendwie magerer machen oder auch fleischiger, wenn es nur zum Besten des Leibes geschieht um ihn besser zu machen aus einem schlechteren, und sie ihn, wie jeder der etwas pflegt sein zu pflegendes, erhalten. So werden wir sagen, denke ich, und nicht anders ergebe sich die richtige Bestimmung der ärztlichen und jeder anderen Aufsicht und Regierung.
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