„Seien Sie sich bewusst, dass Sie nicht über Tod und Leben entscheiden. Ihre Klienten haben immer noch die Möglichkeit vor Gericht gegen Ihre Entscheidung zu klagen.“
Und dann waren wir so weit.
Vier Wochen lang hatten wir gemeinsam unendlich viel Neues erfahren und gelernt. Vier Wochen lang hatten wir von unzähligen menschlichen Schicksalen gehört und sie genauestens analysiert. Wir waren der Überzeugung, nichts könne uns mehr überraschen und vor allem: niemand könne uns noch etwas vormachen. Wir waren gut genug geschult, so glaubten wir, um herauszufinden, wer uns die Wahrheit erzählte und wer uns nur mit allen möglichen tragischen Geschichten und geschickten Tricks um den Finger wickeln wollte, um bleiben zu dürfen.
Es würde nun in der realen Welt noch ein Abgleich mit dem erfolgen, was wir gelernt hatten. Ein zweiwöchiges Praktikum musste von uns noch absolviert werden, bevor wir ins eigenständige Entscheiderleben entlassen wurden. Hier sollten wir überprüfen, was wir in der Theorie gelernt hatten. Sollten erst assistieren und dann mit „unterstützender Beobachtung“ selbst die ersten Schritte machen, die nötigen Informationen aus den Klienten herausholen und erste eigene Entscheidungen treffen. Ich freute mich darauf, endlich in Kontakt mit den Menschen zu kommen denen ich helfen wollte. Das Wissen um einen erfahrenen Kollegen oder eine erfahrene Kollegin im Hintergrund gab mir Sicherheit.
Ich würde meine Sache gut machen, davon war ich überzeugt, hatte ich doch immer wieder positive Rückmeldungen von den Kursleitern bekommen. Ich würde gewissenhaft untersuchen wer wirklich in Not und Gefahr war und Anspruch auf Hilfe hatte. Für diese Menschen würde ich den Weg frei machen in ein neues Leben in der deutschen Gesellschaft, indem ich die aussortierte, die ihnen ihren Platz streitig machen wollten, obwohl es doch andere Möglichkeiten für sie gab. Aber auch diesen Leuten gegenüber würde ich fair und hilfsbereit bleiben. Sie wussten es nicht besser, gingen davon aus, dass Platz für alle wäre, ganz egal aus welchem Grund sie kamen. Und hier musste ich ansetzen. Musste ihnen mit Geduld und Überzeugung klar machen, dass es für sie andere Wege gab, bessere Wege sogar. Dass sie sich nur ein wenig anstrengen müssten, um diese zu finden und dann könnten sie in ihrer Heimat, in ihrer Kultur – in ihrer eigenen Welt eben – ganz gut weiterleben und hätten somit ein viel besseres Schicksal als jene, die nicht in die Heimat zurück konnten, weil ihnen Gefahr für Leib und Leben drohte.
Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen, hörte ich es in meinem Kopf raunen. Ich schüttelte mich und jagte den Gedanken davon. Woher kam nur dieser blöde Spruch, der sich immer wieder in meinem Gehirn Bahn brach? Es gab nicht gut oder schlecht, sondern lediglich richtig und falsch. Und es gab kein Kröpfchen, es gab nur eine Rückführung in die Heimat für jene, die keinen Platz an unseren westlichen Töpfen bekommen konnten. Und wer wollte denn wirklich freiwillig auf Dauer fern der Heimat leben? Sie würden mir eines Tages dankbar sein, dass ich ihnen den richtigen Weg gewiesen hatte, auch wenn sie das im Moment vielleicht noch nicht verstehen konnten oder wollten.
Ich hatte Glück, meine künftige Einsatzstelle war nicht weit von meinem Wohnort entfernt. Dort sollte ich bereits das Praktikum absolvieren, um dann, wenn ich allein meinen Posten ausfüllen und meine Frau stehen musste, die nötigen Kontakte zu haben, wenn ich doch einmal rückfragen musste oder sonstige Unterstützung benötigte.
Unser Kurs feierte am letzten Freitagabend noch mal ausgiebig. So schnell würden wir uns wohl nicht mehr sehen, wenn überhaupt. Dabei war im Lauf der vier Wochen ein gutes Team aus uns geworden. Nur einer hatte nicht bis zum Schluss durchgehalten und war einfach eines Tages nicht mehr aufgetaucht, ohne zu erklären warum. Wir hatten uns nicht lange damit aufgehalten zu überlegen, warum er nicht mehr dabei war, denn er war immer sehr still und unauffällig gewesen und hatte sich, sobald der Unterricht beendet war, zurückgezogen.
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