Carola Jürchott - Reiseskizzen aus Tschechien

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"Willst du immer weiter schweifen?" Schon Goethe wusste, dass das Gute häufig ganz nah ist. Genau so verhält es sich mit Tschechien, und dennoch gibt es auch in unserem Nachbarland noch viel Unentdecktes. Was für eine Stadt ist Pilsen? Was gibt es im Riesengebirge zu sehen, und was ist das Besondere am Verhältnis der Tschechen zu ihren Märchen? Es lohnt sich, hinter die Fassade zu schauen, und dieses E-Book kann Ihnen dabei Ratgeber und Begleiter sein. Ob als Wochenendtrip oder Jahresurlaub – ein Besuch in Tschechien lohnt sich immer! Ihre Neugier wird auf jeden Fall belohnt werden!

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Carola Jürchott

Reiseskizzen aus Tschechien

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Inhaltsverzeichnis Titel Carola Jürchott Reiseskizzen aus Tschechien Dieses - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Carola Jürchott Reiseskizzen aus Tschechien Dieses ebook wurde erstellt bei

Die Stadt lebt nicht vom Bier allein

Bethlehem ist überall

Die Villa Amerika im Herzen Europas

Die Drachen der alten Burg

Rübezahls Zahn und die Liebenden

Safari in Ostböhmen

Zwei Länder – zwei Epochen – zwei Skulpturengruppen

Impressum neobooks

Die Stadt lebt nicht vom Bier allein

Woran denkt man zuerst, wenn man in unseren Breiten den Namen Pilsen hört? Es ist keine besonders mutige Prognose, davon auszugehen, dass das wohl das berühmte Bier sein dürfte. Um dieses zu genießen, muss man inzwischen schon lange nicht mehr nach Tschechien fahren, dennoch aber ist die Stadt seiner Herkunft durchaus einen Besuch wert, und das nicht nur des dort ansässigen Brauereimuseums wegen. Für uns ergab sich die Gelegenheit bei einer Fahrt in den Urlaub. Obwohl es nur eine Stippvisite auf der Durchreise war, reichte der kurze Aufenthalt, um festzustellen, dass es sich durchaus lohnen würde, auch einmal länger zu verweilen.

Diese Erkenntnis teilten wir übrigens mit Kaiser Rudolf II., der bereits 1599 infolge einer Pestepidemie in Prag kurzfristig mit seinem gesamten Hofstaat nach Pilsen umsiedelte. Bis heute ist Pilsen die zweitgrößte Stadt Böhmens und die viertgrößte der gesamten Tschechischen Republik.

Wir fuhren mit der Straßenbahn, die es hier bereits seit 1899 gibt, ins Stadtzentrum und begannen unsere Besichtigungstour mit dem Platz der Republik, dem Herzstück von Pilsen, das – wie so oft in Böhmen – ein rechteckiger Platz ist: mit dem Rathaus, das leider komplett angerüstet war, einer Pestsäule und der Sankt-Bartholomäus-Kathedrale. Von diesem Platz wird später noch die Rede sein. Zunächst einmal spazierten wir durch die Straßen der Stadt, was insofern ein Erlebnis war, als Pilsen im Krieg fast nicht zerstört worden war, von den militärisch wichtigen Škoda-Werken einmal abgesehen. Dadurch sind in der Stadt noch sehr viele historische Bauten aus der Renaissance und dem Barock mit wirklich wunderschönem Fassadenschmuck erhalten geblieben. Auch das Theater wollten wir uns eigentlich von innen ansehen, aber weil die Theaterferien schon zu Ende waren, fanden dort keine Führungen mehr statt. Schade, denn Pilsen gehört zu den traditionsreichsten Theaterstädten Tschechiens. Immerhin findet hier seit 1993 alljährlich im Herbst ein internationales Theaterfestival statt, und Josef Skupa, der Erfinder der berühmten Marionetten Spejbl und Hurvínek, lebte ebenfalls in Pilsen, bevor er mit seinem berühmten Marionettentheater nach Prag zog.

Also sind wir gleich in das ehemalige Franziskanerkloster gegangen, in dem sich neben einer katholischen Kirche das Diözesanmuseum von Pilsen mit einer Ausstellung von Holzskulpturen aus der Gotik, der Renaissance und dem Barock befindet. Prunkstück dieser Ausstellung ist die lebensgroße Plastik „Christus am Kreuz“ des in weiten Teilen Böhmens geradezu omnipräsenten Tiroler Barock-Bildhauers Matthias Bernhard Braun. Außerdem gibt es in dem alten Kloster die Sankt-Barbara-Kapelle mit mittelalterlichen Fresken.

Nachdem wir in einem Straßencafé (bzw. eher einem Straßenrestaurant) eine kleine Verschnaufpause eingelegt hatten, begaben wir uns mit einem Reiseführer, dessen deutsche Aussprache stark an die des braven Soldaten Schwejk erinnerte, in den Pilsener Untergrund – ein riesiges System von alten Kellern und Lagerräumen in einer Tiefe von etwa zehn Metern. Diese in den Sandstein gehauenen Gewölbe beherbergten im Mittelalter die Brunnen und Keller der Häuser darüber, und heute bekommt man dort einen kleinen Einblick in die Handwerksgeschichte der Stadt von den Hussitenkriegen (1420-1434) bis ins 17. Jahrhundert. Die Hussitenkriege waren übrigens eine für die Stadtgeschichte sehr bedeutsame Epoche, wovon bis heute ein recht ungewöhnlicher Teil des Pilsener Stadtwappens kündet – welche Stadt in mitteleuropäischen Gefilden hat schließlich sonst noch ein Kamel in ihrem Wappen? Seine Geschichte ist mehr als abenteuerlich: Ursprünglich war es ein Geschenk des polnischen Königs an die Hussiten gewesen, denen es die Katholiken jedoch bei einem Gegenangriff im Jahre 1434 wieder abnahmen. Später wurde es den Nürnbergern als Dank für ihre Unterstützung der belagerten Stadt geschenkt.

Zum Schluss waren wir wieder auf dem Platz der Republik, der mit 193 x 139 Metern der größte seiner Art in Böhmen ist und von einem weiteren „Rekordhalter“ dominiert wird: dem Turm der Sankt-Bartholomäus-Kathedrale, der mit 103 Metern der höchste Kirchturm in Tschechien ist.

Während ich gerade eines der historischen Häuser fotografierte, sprach mich ein älterer Herr an und fragte, ob mir das Haus da gefiele. Als ich bejahte, erzählte er mir die Geschichte von diesem und dem benachbarten Haus. Ursprünglich waren es Häuser mit nur einer Etage gewesen, in denen rivalisierende Nachbarn gewohnt hatten. Immer wenn einer von beiden ein Stockwerk höher gebaut hatte, zog der andere nach. Inzwischen ist jedoch eines der beiden Gebäude verfallen, weil die Eigentumsfrage nicht geklärt ist.

Außerdem zeigte er uns die einzigen drei Häuser, die nicht zum architektonischen Ensemble dieses Platzes gehörten: eines aus der Zeit der ersten Republik (so nennt man hier die Zeit von 1918 bis 1938, als es erstmalig einen unabhängigen tschechoslowakischen Staat gab) und zwei aus der Neuzeit. Dann hat er uns noch erzählt, dass Pilsen 1295 gegründet wurde und es das erste Mal eine richtige Stadtplanung gab. Deshalb sei hier auch alles nicht so verwinkelt wie in Prag („Zickzack“, wie er sagte), sondern streng rechtwinklig.

Manchmal hat man den Eindruck, dass eine leichte Rivalität zwischen Pilsen und Prag besteht. Zweifellos hat Pilsen ebenfalls sehr schöne Seiten, wenn es auch deutlich kleiner ist als Prag. Die Häuser in der Innenstadt mit ihrer gestalterischen Vielfalt in Farben und Ornamenten werden mir wohl noch lange im Gedächtnis bleiben. Das müssen sie auch, denn beim Fotografieren hat man häufig das Problem, dass die Straßen so eng sind, dass man selten ein Haus ganz aufs Bild bekommt und so immer auf Details angewiesen ist.

Nach all diesen Begegnungen und Erlebnissen in der Stadt, die auch die Wiege des böhmischen Buchdrucks ist, spricht natürlich nichts dagegen, irgendwo einzukehren und sich das berühmte Pilsener Bier schmecken zu lassen. Doch wer einmal in Pilsen war, wird wohl immer daran denken, dass das bei Weitem nicht das Einzige ist, was diese Stadt zu bieten hat.

August 2000

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