Sarah hatte sich erstaunlich schnell von der Herztransplantation erholt. Sie stellte auch nicht viele Fragen zu dem Spender. Josie und James hatten sich darauf geeinigt ihr zu sagen, dass die Spender immer anonym blieben und sie sich freuen sollte, dass sie das Glück hatte, ein neues Herz bekommen zu haben. Damit war das Thema anscheinend für Sarah erledigt und schien sie auch nicht weiter zu beschäftigen. Josie beschloss es ihr gleichzutun. Sie war so unendlich dankbar, dass ihre Tochter leben durfte. Sie schloss deshalb sozusagen einen Pakt mit sich selbst, um das Thema in Frieden ruhen zu lassen.
Auch James schnitt dieses Thema nicht mehr an.
Philip und Lucy gingen anfangs sehr vorsichtig mit Sarah um. Sie waren ängstlich, dass ihr wieder etwas geschehen konnte, doch ihre Angst erwies sich als unbegründet und Sarah forderte sie auf, sie nicht immer wie ein kleines Kind zu behandeln und in Watte zu packen. Es war erstaunlich, wie erwachsen sie damit umging. Doch es half den Anderen, die Scheu vor ihr zu verlieren und ihr Familienleben war bald wieder so lebhaft, wie vor ihrer Zeit in Kairo.
Josie hatte noch frei, bis die Kinder wieder in die Schule gingen und sie genoss das Zusammensein mit ihnen sehr. James begann bald nach ihrer Ankunft in Abuja mit seiner Arbeit im Cedar Crest Hospital. Man sagte ihnen, es sei das fortschrittlichste Krankenhaus des Landes und es gab noch eine Zweigniederlassung in Lagos. James sollte also zwischen den beiden Städten pendeln. Josie fand das noch nicht einmal so schlecht. Ein bisschen Abstand würde ihnen sicherlich guttun.
Josie war James gegenüber überhaupt sehr reserviert. Zwiespältig ihre Gefühle, ob sie es wissen wollte, inwieweit James in die Transplantations-Geschäfte an seinem ehemaligen Krankenhaus verwickelt war. Was er wusste und was nicht und ob er seine Finger im Spiel hatte, als es darum ging ein Spenderherz für Sarah zu finden. Auf der einen Seite war sie froh, dass sie all diese Fragen nicht stellen musste, doch auf der anderen Seite schlug ein Journalist Herz in ihr. Sie musste den Sachen auf den Grund gehen, das entsprach ihrem Naturell. Deshalb war sie so eine gute Journalistin. Sie war jemand der auch dann noch hinsah, wenn Andere es nicht mehr aushalten konnten. Sie war selbst entführt und festgehalten worden und nur knapp einer Vergewaltigung entgangen. Sie kannte Angst und Folter. Als sie damals James kennengelernt hatte, gab er ihr das Vertrauen zurück, welches sie bei ihren Recherchen verloren hatte. Sie klammerte sich so verzweifelt an den Wunsch eine eigene heile Familie zu haben, dass sie ihn heiratete und Sarah und Philip bekam. Sie wollte daran nicht rütteln. Es sollte so bleiben, ihre heile kleine Welt.
James musste am nächsten Tag für zwei Wochen nach Lagos, sie hatte also Zeit, mit den Kindern etwas zu unternehmen und die Umgebung zu erkunden.
Sie beschlossen am nächsten Morgen zunächst das Haus einzurichten, es fehlten noch viele Möbel, um es gemütlich zu machen. Das Haus lag in der Nähe der Amerikanischen Internationalen Schule der Kinder, damit Lucy sie ohne viel Aufwand zur Schule bringen und wieder abholen konnte. Die Kinder wollten unbedingt die Nigerianische Nationalmoschee besuchen und danach ins Magic Land gehen, einem Amüsement Park für Kinder. Josie willigte lachend ein.
Philip war schon ganz aufgeregt. Er liebte historische Plätze. In Kairo war er immer gern in die Moschee gegangen, auch wenn er mit dem islamischen Glauben nicht viel zu tun hatte.
Josie glaubte nicht an Gott. Nicht nach allem, was sie in ihrem Leben gesehen hatte. Gott würde diese Gräueltaten nicht zulassen, dachte sie, deshalb glaubte sie, es gäbe gar keinen.
James war katholisch, aber er war auch kein praktizierender Christ. In die Kirche gingen sie nur selten. Und sie sprachen auch nicht über das Glaubensthema. Die Rituale mit den Kindern beschränkten sich auf abendliches Vorlesen von Märchen und den aktuellen Kinderbüchern.
Lucy, das Kindermädchen hingegen war sehr gläubig. Sie kam aus einer rein katholischen Familie und betete regelmäßig. Josie gab ihr sonntags immer frei, damit sie zur Andacht gehen konnte. Manchmal begleiteten sie Sarah und Philip und je älter die beiden wurden, umso mehr Fragen gab es zum Thema Gott. Josie fragte sich selber manchmal, ob es nicht tröstlich wäre, wenn sie anfangen könnte zu glauben. Verantwortung abgeben und sich in dem Glauben an eine übermächtige Macht zurücklehnen und sich getröstet fühlen.
Diese Fragen, musste sich jeder selbst beantworten, legitim sind alle Antworten. Frieden finden, das ist das Ziel.
In der darauffolgenden Nacht wachte Josie schweißgebadet auf. Ausgehöhlte Leichen sahen sie an, vorwurfsvoll. Warum hatte man ihnen die Organe gestohlen? Josie hielt im Traum ein blutendes Herz in den Händen. Sarah weinte…und dann war sie aufgewacht.
Sie hörte tatsächlich jemanden weinen, doch es war Lucy, das Kindermädchen.
Josie klopfte leise an ihre Tür.
„Lucy, ist alles in Ordnung? Darf ich hereinkommen?“ Josie wartete die Antwort erst gar nicht ab. Sie trat in das dunkle Zimmer. Lucy stand im Mondschein vor dem Fenster und drehte sich zu Josie um.
„Ah, Madame Josefine, Es ist alles gut. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie geweckt habe.“
„Was ist denn los?“ Josefine trat zu ihr.
„Ach, ich hatte nur Heimweh. Wissen Sie, ich kenne hier niemanden. Sarah und Philip gehen bald jeden Tag bis 16.00Uhr in die Schule, was soll ich dann nur machen? Es wird langweilig. Ich vermisse meine Freunde und meine Familie. Ich würde auch gerne wieder einmal ausgehen.“ Sie schnäuzte sich laut.
Josie musste sich ein Lachen verkneifen. „Ach Lucy, wenn's weiter nichts ist. Du kannst mir sagen, wenn Du ausgehen möchtest. Ich habe ja noch frei, bis die Schule anfängt. Und auch danach können wir uns absprechen. Es wird kein Problem sein, wenn Du mal Samstag abends ausgehst. Es gibt hier sicherlich internationale Treffen, die organisiert werden. Google doch mal und dann sagst Du mir, wann das nächste Treffen ist. Dann gehst Du hin und lernst neue Leute kennen. Das ist überhaupt eine gute Idee. Du kannst auch einen Kurs machen. Zum Beispiel einen Kochkurs, oder Sprachkurs, wenn Du magst. Solange Du Zeit genug für Deine Arbeit hier hast, ist alles kein Problem.“
„Lucy strahlte. Okay, Madame Josie, ich werde gleich mal im Internet nachsehen. Vielen Dank. Ich sage Ihnen dann morgen Bescheid.“
Josie lächelte sie an und ging zurück in ihr Zimmer.
Die 15-jährige Lisha wurde mit ihrer kleinen Schwester Yola und ihrem Bruder Osaro verschleppt. Man hatte ihnen die Augen verbunden und sie an den Händen gefesselt. Sie stolperten hinter den Männern her, die sie unsanft hinter sich herzogen.
Lisha hörte Yola hinter sich leise weinen. Sie sprach besänftigend mit ihr, dabei hatte sie selber Angst. Ihr Vater war tot, ihr Haus in Brand gesteckt. Was mit ihrer Mutter passiert war, wusste sie nicht. Aber sie machte sich große Sorgen, dass auch sie tot war. Lisha, fühlte sich innerlich kalt und abgestorben. Sie hatten von den Gräueltaten der Boko Haram gehört. Viele Nachbardörfer waren bereits überfallen worden. Die Überlebenden munkelten, dass die Jungen zu Soldaten ausgebildet und die Mädchen als Sex-Sklavinnen benutzt oder verkauft wurden. Lisha machte sich nicht viele Hoffnungen, dass sie das Ganze unbeschadet und lebend überstehen würde. Sie hatte Angst vor dem, was noch kommen würde. Und das Schlimmste, sie würde ihre kleine Schwester nicht beschützen können. Der Gedanke an das, was die Männer ihnen antun konnten, ließ ihren Mund trocken werden und ihr Herz schlug schnell und voller Angst. Lisha begann zu beten. Es war das Einzige, was ihr einfiel, um nicht verrückt zu werden. Und sie forderte ihre Geschwister auf, es ihr gleich zu tun. Sie begannen das Vaterunser leise vor sich hin murmelnd, während sie durch den Staub stolperten.
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