"Mann-o-mann! Was geht hier ab. Hast Du Lucy gesehen?"
Charly lallte inzwischen mächtig und Steven hatte wegen der lauten Musik Probleme, seinen Freund zu verstehen.
"Ne. Was ist denn mit der?"
"Na, die hat sich gerade oben ohne gezeigt!" Charly grinste breit und hob sein Glas an.
"Darauf sollten wir einen heben."
Steven hob ein imaginäres Glas an und stieß damit spielerisch gegen Charlys an.
"Auf jeden Fall! Und ich habe es verpasst!" Nun musste auch Steven lachen. Er sah sich nach Lucy um, konnte sie aber nirgends entdecken.
"Wer weiß wo sie steckt?" Er zeigte auf die Tanzfläche.
"Oder wer in ihr steckt?" Charly zog eine Grimasse und streckte Steven die Zunge raus. Dabei lachte er gehässig auf.
"Oder wer in ihr steckt!" Steven lachte lauter und schlug seinem Kumpel auf die Schulter.
Es vergingen ein paar Minuten, in denen beide noch einen weiteren Drink kippten, ehe Bea auf sie zu stolzierte.
"Hey ihr zwei, habt ihr Lucy gesehen?" Beide schüttelten mit dem Kopf.
"Ne, die war vor ein paar Minuten noch hier, hat ihre Titten gezeigt und ist dann verschwunden." Charly grinste schief und erntete damit einen sarkastischen Blick von Bea.
"Die ist voll breit." Steven zog Bea zu sich und sie setzte sich auf seinen Schoß.
"Das kann schon sein, deshalb sollte ich wohl etwas auf sie aufpassen. Geht ja nicht an, dass sie hier einfach blank zieht." Dann gab sie Steven einen kurzen Kuss auf die Wange und machte sich wieder davon.
"Mensch, die passt schon auf sich auf!" Steven rief ihr nach und wollte sie zurück auf seinen Schoß ziehen. Bea war unglaublich attraktiv, temperamentvoll und zärtlich. Steven hätte sich gerne mit ihr zurück gezogen, doch dafür schien Bea keine Zeit zu haben. Denn sie setzte ihre Suche nach ihrer Freundin fort.
Erst als Steven einen lauten, panischen Schrei vernahm, kehrten seine Gedanken in die Realität zurück. Zu sehr hatte er sich inzwischen der Leichtigkeit des Abends angenommen und kaum bemerkt, wie seine Freundin lauthals um Hilfe rief.
Auf einmal rannten nicht nur er, sondern viele seiner Freunde in Richtung des Pools. Der erste Anblick versetzte ihm zunächst einen Schock, ehe er begriff, was sich ereignet hatte. Lucy schwamm bäuchlings im Wasser und Ryan, ein weiterer Mitschüler des Internats, versuchte verzweifelt mit Armen und Beinen an den Rand des Beckens zu paddeln. Er schien die Orientierung verloren zu haben, erwischte aber im letzten Augenblick den Beckenrand und wurde dort von einem anderen Jungen festgehalten. Alec sprang beherzt ins Becken und zog Lucy aus dem Wasser, die sich nicht rührte. Sofort wurde es still und alle starrten auf die entsetzte Szene die sich bot. Nackt und bleich lag Lucy vor Alec, der nun anfing, Lucys Brust mit einer leichten Druckmassage zu bearbeiten. Bea rannte zu ihm und bog Lucys Kopf nach hinten. Immer wenn Alec seine Arbeit unterbrach, blies Bea ein wenig Luft in Lucys Lunge. Zunächst passierte nichts, die beiden wiederholten den Ablauf immer wieder. Es war ganz still geworden, die Musik verstummt und alle Anwesenden hielten die Luft an. So auch Steven, der gar nicht verstehen konnte, was hier wirklich passierte. Wie konnte es soweit kommen?
Doch dann kam Bewegung in Lucys Körper und sie spuckte Wasser aus ihrem Mund und hustete. Die Menge atmete erleichtert auf.
"Jemand muss einen Krankenwagen rufen!" Bea schüttelte an Lucy und bat sie aufzuwachen, doch Lucys Augen kippten zu und sie wurde erneut regungslos.
"Auf keinen Fall. Weißt du, was ich für Ärger bekomme?"
"Alec! Hier geht es um ein Menschenleben!" Bea wurde wütend und Alec stand auf und verschwand im Haus.
"Steven, ruf einen Notarzt an. Sofort!" Bea ließ keinen Zweifel an ihrer Forderung und Steven erwachte aus seiner Stockstarre.
"Klar." Er griff nach seinem Handy und wählte die Nummer der Notrufzentrale.
Selten hatte sich Steven so verletzlich gefühlt, wie in den letzten Stunden. Das Wochenende war in einer Katastrophe geendet und hatte die Schüler des Internats schwer erschüttert. Nachdem der Notarzt endlich eingetroffen war, folgte die Polizei nur kurze Zeit später. Alecs Eltern wurden benachrichtigt und Lucy ins Krankenhaus gebracht. Die Party endete mit einem Schlag und seither hüllten sich die Schüler in einsames Schweigen. Selbst Bea hatte sich zurück gezogen und das Wochenende in ihrem Zimmer verbracht. Die wenigen Schüler, die die Möglichkeit hatten nach Hause zu fahren, hatten diesen Ausweg genutzt und waren erst heute früh, kurz vor Unterrichtsbeginn zurück gekehrt. Steven konnte es ihnen nicht übel nehmen. Sie alle waren seit dem Vorfall ein wenig von der Rolle. Lucy ging es wohl schon besser, obwohl er selbst sie noch nicht besucht hatte. Doch Bea hatte ihn unterrichtet, dass sie bereits morgen entlassen werden würde, sofern sich ihr Zustand nicht wieder verschlechterte.
Der halbe Tag lag bereits hinter ihm, als er eine Mitteilung erhielt, sich im Büro des Direktors einzufinden. Nur widerstrebend hatte sich Steven auf den Weg zu Wallace gemacht, der im Internat als streng und unnachgiebig galt. Steven hatte in den letzten vier Jahren noch kein einziges positives Gespräch mit dem alten Herrn geführt. Stattdessen hatte er sich oft anhören dürfen, wie unproduktiv er doch sei und sich hier nur auf seiner faulen Haut ausruhen würde.
Das Internat hingegen mochte Steven sehr. Seit er vor vier Jahren seine ersten Schritte auf dem geölten Parkettboden im Eingangsbereich gesetzt hatte, fühlte er sich hier mehr zu Hause als in seinem eigenem Heim, denn dort wartete bloß Einsamkeit und Langeweile auf den Jugendlichen. Seine Eltern hatten sich vor vielen Jahren getrennt und Steven vorsorglich in die Obhut einer Privatschule entlassen. So brauchten sie sich nicht selbst um die Erziehung und Versorgung ihres Nachwuchses zu bemühen. Nur in den Sommerferien und an Weihnachten besuchte Steven seine Eltern, meistens zeitlich aufgeteilt, damit auch jeder zu seinem Recht kam. Aber von Liebe und Geborgenheit brauchte hier keiner sprechen. Denn sowohl Bill, Stevens Vater, als auch seine Mutter Melinda waren glücklich mit ihren neuen Familien und Steven machte ihnen nur deutlich, aus welcher schlechten Epoche ihres Lebens er entsprungen war.
Steven hatte schon vor Jahren aufgehört, um die Gunst seiner Eltern zu buhlen. Seither genoss er die Vorzüge dieser Behandlung in vollem Ausmaß. Geld hatte für die Familie nie eine Rolle gespielt. Und immer wenn Steven mit seinem Vater sprach, schickte er ihm anschließend einen großen Batzen Kohle und entließ sich damit aller Verantwortung. Von Melinda hingegen erhielt Steven nur selten etwas. Meistens eine Grußkarte zum Geburtstag oder ein Päckchen gefüllt mit Süßigkeiten. Das schien ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Dabei wusste Steven genau, dass nicht Melinda die Päckchen schickte, sondern ihre Stieftochter Betty, die sich bereits vor Jahren in Steven verguckt hatte. Steven fand die Schwärmerei seiner 10-jährigen Stiefschwester niedlich und ließ es dabei bewenden.
Kurz vor dem Büro des Direktors fielen ihm all die Sachen wieder ein und er schluckte schwer, bevor er es schaffte, den Arm zu heben und endlich an die Tür zu klopfen.
"Herein!"
Ein lauter Befehlston schwappte zu ihm herüber und Steven betrat Wallace dunklen Arbeitsplatz.
Sofort entdeckte er den grauen Haarschopf seines Vaters in dem Ledersessel vor Direktor Wallace Schreibtisch. Er sah nur kurz zu Steven, nickte und wendete sich dann wieder Wallace zu. Typisch für Dad, dachte er. Noch nicht einmal ein "Hallo" kam ihm über die Lippen.
"Guten Tag."
Steven schloss die Tür hinter sich und trat näher auf den Schreibtisch des Direktors zu.
"Steven. Setz dich bitte. Dein Vater und ich müssen etwas mit dir besprechen."
Er schluckte und nickte vorsichtig. Dann nahm er auf dem zweiten Sessel Platz und schaute abwechselnd zwischen seinem Vater und Wallace hin und her. Bill schien nicht zu wissen, wie er das Gespräch beginnen sollte, also räusperte sich Wallace und begann mit seiner kleinen Ansprache.
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