Er merkte, dass er langsam wirr wurde. Neben der Müdigkeit hatte er schon seit Tagen den Verdacht, dass die Amphetamine, die er zum Wachbleiben beim Lernen gebraucht hatte, auch nach dem Absetzen nachhaltige Wirkung erzeugten.
Gleich würde er sich noch mit Freunden treffen, sie würden rausgehen und alles durcheinander saufen und er würde vor allem die anderen reden lassen und nur noch dasitzen, fertig und zufrieden.
Die große Erleichterung über die Prüfung kam erst im Lauf der nächsten Tage und wurde auch schon abgelöst von der Notwendigkeit, sich schnell um einen Job zu kümmern. Denn Robert hatte in der Endphase seines Studiums durch einige unglückliche Entscheidungen Schulden angehäuft, deren Rückzahlung er nicht mehr lange aufschieben konnte. Aber vorher musste er noch ein paar Dinge erledigen.
Zuerst traf er sich mit dem DJ im Cafe Blau um ein paar CD´s zurück zu geben. Und um ihn etwas zu fragen. Der DJ wurde DJ genannt, weil er DJ war. Eigentlich hieß er Matthias und legte nur gelegentlich auf. Ansonsten studierte er ganz normal Jura wie die meisten seiner Bekannten. Seine Lieblingsmusik war natürlich überhaupt nicht zum Auflegen geeignet (nicht in Bonn), weil das mit Morrissey, Loyd Cole und anderen Vertretern dieser Fraktion nicht klappte. Brit Pop war eine kleine Schnittmenge gewesen, aber das war es dann auch.
Matthias hatte eigentlich immer einen Anzug an, natürlich nicht Business, sondern schick. Ausnahme war höchstens absoluter Hochsommer, an dem auch mal ein Hemd zur Hose reichen musste. Mit ihm war es immer ganz interessant, aber auch anstrengend und kompliziert. Er war immer leicht aufgeplustert, was auf Dauer nervte. Anke, eine gemeinsame Bekannte, erzählte immer etwas von Selbstschutz und Komplexen, die damit zu tun hätten. Aber das war natürlich Quark.
Zum Cafe Blau muss man sagen, dass es später in seiner Studentenzeit dazukam und als cooler galt als die anderen Läden. Obwohl eigentlich überhaupt nichts dabei war, vom Eingangsbereich eines Hallenbades einen Teil abzutrennen, unbequeme Möbel hineinzustellen und Zeitgeistgedudel darüberzulegen. Die Leute hier zum Tanzen zu animieren wurde immer wieder versucht, hatte aber nie geklappt. Aber trotzdem funktionierte der Laden in Bonn ganz gut. Natürlich war die Konkurrenz auch nicht besonders groß.
Was gab es noch? Vor allem: Carpe Noctem und die Falle. Der Rest war eigentich total nebensächlich, dort landete man mal zum Abschluss, war aber egal. Außer dem GUM. Russische Kneipe mit ebensolcher Küche (Tipp: Der Borschtsch), sehr gutem Vodka-Angebot und hippen Publikum.
Das Carpe: Gute Disco in den Anfängen, vor allem aufgrund des Partydienstags, kurz nach dem Strafrechtsseminar, das auch am Dienstag stattfand. Dienstag gab es immer einen Grund zu feiern. An drei Dienstagen musste man gerade geschriebene Klausuren runterspülen, an drei anderen auf die zurückbekommenen anstoßen und sich auch diese schöntrinken, dann gab es noch eine Hausarbeit zurück und sonst fand sich auch immer ein anderer Grund. Dann kamen noch zwei Semester, in denen es spaßig war, in denen fast alles spaßig war. Später kam die Invasion aus dem Umland, die Provinzler, der Rockpalast in Remagen hatte es vorgemacht und die Eifel feierte sich blöde an Roberts am Anfang so tollen 70er Abend im Carpe (ja am Anfang hatten sie wirklich andere Sachen gespielt als woanders, naja, zumindest konnte man sich das einreden). Aber sowieso war die Zeit für 70er Abende schon lange vorbei und das Publikum machte einem die Entscheidung leicht, das Carpe seit längerem zu meiden. Ach ja, das Louvre. Hatte er nie verstanden, wie das mit dem Schmierlappensoul funktionierte, es war nicht richtig Tanzen und Musik eigentlich auch nicht. Standen zwar die Frauen drauf, aber nicht mal das machte es wett, auch wenn dort wirklich Mädchen rumliefen....
Und die Falle: Absolutes Muß für Juristen, VWLer und andere Edelproleten. Auszug aus einer Stadtzeitschrift: "Zu eng, zu heiß, zu voll." Und beschissene Musik. Und beschissenes Publikum. Dreimal war er da gewesen und das war allemal ausreichend.
Nochmal das Blau: Die üblichen Verdächtigen in der Anfangsphase, nach kurzer Zeit aber auch hier das ganz große Bergab. Nach alldem und ungefähr einem Jahr Abstinenz der angesagten Leute hatte sich aber doch alles ein wenig erholt, so dass man sich dort wieder blicken lassen konnte. Und eben mit Matthias nach langer Zeit wieder treffen.
Stark verspätet wie immer kam er, der Abziehbrite mit dem Brett im Rücken. Jeansjacke (was war heute los?), Jeans und Käppi konnten diesen Eindruck nicht verwischen. „Jahallo", „Taaag", „Ach, das Blau...", beiderseitiges Zurechtrücken.
„Doch nicht so schlecht, wie ich es in Erinnerung hatte“, fing Robert an.
„Ich bin eigentlich öfter hier, nach dem Seminar hab ich mir das so angewöhnt. Aber Dich sieht man hier nicht".
„Ich habe immer besser zuhause gelernt. Ich kann das Juridicum und die Leute nicht ausstehen.“
Die Lippen des DJ spitzten sich.
„Das ging mir nicht so. Man gewöhnt sich echt dran, und man sieht ja seine Leute."
Blubb, blubb, blubb. Wie das Telefonat. Robert hatte vorgeschlagen, die CD´s vorbeizubringen, sogar sich im Juridicum zu treffen, um die Sache zwischen Tür und Angel abzuwickeln. Der DJ dagegen drängte geradezu auf ein richtiges Treffen. Warum? Zu sagen gab es nicht viel. Neugier? Wahrscheinlich wusste der DJ nicht einmal, daß er gar nicht anders konnte, als irgendwie immer mittendrin zu sein, wobei Robert zugeben musste, dass er selbst mittlerweile ziemlich draußen aus der Szene war. Aber es war ganz gut, ihn zu sehen, weil ihm im Nachhinein einfiel, dass das jobmäßig etwas bringen könnte.
„Und wie hast Du jetzt Dein Examen gemacht, wenn ich fragen darf?"
Peng. Zumindest war das kein Blabla mehr.
„81 Punkte. Ich hatte ein bisschen Pech bei den Klausuren."
Kurz und knapp.
"Naja, dann musst Du gucken, was Du damit kriegst, sind schon ganz andere Leute was mit einer Durchschnittsnote im zweiten Examen geworden."
Genau guter Mann, aber ich werde Dich immer noch nicht fragen, welche Note Du hast.
"Und was machst Du jetzt?"
"Ich war erst zwei Monate in Italien. Dann hab ich in Berlin bei der GEMA angefangen."
"Aha, und wie ist das?"
"Ja, gut, weißt Du, ist zwar anders, aber eben auch nur Business. Wahrscheinlich nichts für mich, ich glaube ich kündige in der Probezeit."
Zeit für die Frage.
„Meinst Du, da ist noch eine Stelle zu bekommen?“
„Eher nicht, das ist glaube ich nichts für Dich.“
„Wieso das denn?“
„Habe ich so im Gefühl.“
Robert dachte „Arschloch“ und sagte "Hast Du die CD´s dabei?"
"Oh, äh ja." Hups. Noch ein bisschen Gequassel, und dann Abflug.
Robert beschloss Samstag nachmittags genervt und deprimiert, sich bei Mark abzulenken. Also fuhr er mit der Bahn von Beuel nach Poppelsdorf, schwamm durch den Strom von gegelten Rechtslehrlingen die, ob in einer der zahlreichen Burschenschaften oder auf sich gestellt, diesen Stadtteil und die Südstadt dazu praktisch übernommen hatten.
Mark dagegen empfing ihn in seinem Lieblingsjogginganzug, diesmal dazu auch das berüchtigte Batikhemd. Er konnte auch anders, aber zuhause hasste er Aufwand.
Sofort fühlte Robert sich wohl und bedauerte, dass für ihn wegen des Wegs durch Poppelsdorf ein ähnlich bequemes Outfit nicht in Frage gekommen war. Früher hatten sie zusammen mit ein paar anderen Verrückten in einer WG gewohnt, was er in solchen Momenten vermisste.
Mark wohnte in einem renovierungsbedürftigen Gründerzeithaus voller Studentenwohnungen und hatte sich damit den Flair der WG-Zeit noch ein wenig erhalten. Daran würde sich wahrscheinlich auch kurzfristig nichts ändern, denn auch im 23. Semester Regionalwissenschaften Nordamerika und Vorderer Orient, Japanologie und Sinologie waren Abschlüsse für Mark noch lange nicht erkennbar. Er studierte einfach sehr gern, seine Fächer interessierten ihn, nur die Klausuren und Hausarbeiten waren ein Problem. Großen Druck von zu Hause bekam er aber nicht und daher würden die Dinge noch eine ganze Zeit so bleiben, wie sie waren.
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