„Das ist nicht möglich. Du hast deinen Sohn gesehen und weißt nun, dass es ihn gibt. Wenn du dich gut verhältst und uns keine Zicken machst, dann darf er leben und wir kümmern uns gut um ihn. Solltest du uns Schwierigkeiten machen, wird dein Sohn dafür büßen. – Haben wir uns verstanden?“
Wut und Rage erfasste mich und nur der Gedanke an mein Kind bewahrte mich davor, der Frau die Kehle aufzureißen. Meine Hände ballten sie zu Fäusten, doch irgendwie schaffte ich es, mich unter Kontrolle zu bringen.
„Kann ich ihn wenigstens sehen?“, knurrte ich.
Dr. Müller nickte und schob die Decke etwas zur Seite, so dass ich das rosige Gesicht sehen konnte. Mein Herz wurde eng. Es schmerzte so sehr, mein Kind nicht halten, nicht einmal berühren zu können. Es ging entgegen alle meine Instinkte, untätig stehen zu bleiben.
„Woher weiß ich, dass ihr Wort haltet und es meinem Sohn gut geht?“, fragte ich.
„Wir werden ihn einmal die Woche zu dir bringen.“
„Wo ist meine Gefährtin?“
„Sie hat die Geburt nicht überlebt!“, antwortete Dr. Müller ohne jegliche Gefühlsregung.
„Ihr verdammten Schweine!“, brüllte ich außer mir und vergaß jeden guten Vorsatz, kooperativ zu sein. Ich stürmte vorwärts und kam zu einem abrupten Halt, als einer der Wachen eine Waffe an die Schläfe meines Sohnes hielt.
„Zurück!“, brüllte die Wache mich an.
Langsam wich ich rückwärts. Schmerz, Wut und Verzweiflung nagten an mir. Und diese verdammte Hilflosigkeit. Sie hatten bekommen, was sie wollten. Ein Alien Breed Baby. Und sie hatten mich mehr als je zuvor in ihrer Gewalt. Sogar, wenn ich eine Chance zur Flucht bekommen konnte, ich konnte sie nicht nutzen ohne mein Kind in Gefahr zu bringen. Die Erkenntnis riss mir buchstäblich den Boden unter den Füßen weg und ich sank rücklings auf meine Schlafstelle.
„Morgen beginnen wir ein neues Experiment und ich erwarte, dass du kooperierst. Du weißt jetzt, was auf dem Spiel steht“, sagte Dr. Müller und verließ, gefolgt von den Wachen, das Zimmer.
„Pain?“
Ich schüttelte die Erinnerung ab und begegnete dem besorgten Blick meines Freundes.
„Ich muss ...“, begann ich und fasste mir an die Stirn. „... gehen.“
Ehe Sturdy etwas erwidern konnte, machte ich auf dem Absatz kehrt und eilte davon. Ich lief durch die Häuserreihen bis zum Ende der Siedlung. Dort bog ich auf den Pfad ab, der in den Dschungel führte. Ich wollte allein sein – niemanden sehen müssen. Schuld! Alles, was ich empfand war Schuld – Trauer und Wut.
Julia
Ich blickte vonden Pflanzen auf, die ich studiert hatte, als ich Schritte auf dem Pfad hörte. Pain rauschte unweit von mir vorbei, ohne mich wahrzunehmen. Er sah aus, als wäre ein Ungeheuer hinter ihm her. Seit ich seine Geschichte kannte, musste ich immer wieder an ihn denken. Er war nicht gerade ein gesprächiger Typ, doch er hatte mir einmal süße, affenähnliche Tiere gezeigt, die man Bajakas nannte. Ich hatte mich ein wenig in Pain verliebt, doch er machte es mir nicht gerade leicht. Zwar hatten wir das eine oder andere Mal ein paar Worte gewechselt, doch er gab sich immer zurückhaltend, ja, beinahe reserviert. Ich wusste, dass er ein Einzelgänger war, noch dazu einer, der von seiner furchtbaren Vergangenheit her eine Menge seelischen Müll mit sich rumtrug. Ich täte wahrscheinlich besser daran, ihn zu vergessen, doch das war leichter gesagt, als getan.
Ohne weiter darüber nachzudenken, was ich tat, erhob ich mich und folgte Pain nach. Vielleicht brauchte er jemanden zum Reden. Es war nicht gut, seine Probleme allein bewältigen zu wollen, doch wie ich von meiner Freundin Jessie erfahren hatte, weigerte er sich, mit einem Therapeuten zu reden.
Es dauerte eine Weile, bis ich Pain eingeholt hatte. Er hatte es offenbar ziemlich eilig. Plötzlich blieb er stehen und drehte sich zu mir um.
„Was willst du hier?“, fragte er mürrisch. „Du solltest nicht allein in den Wald laufen. Es gibt viele gefährliche Tiere hier. Wenn du einen Begleiter für deine Touren brauchst, sollest du dich an Sturdy oder Steel wenden. Die führen dich sicher gern herum.“
Das waren mehr Worte als ich jemals zuvor aus seinem Mund gehört hatte. Er schien ärgerlich und aufgebracht. Seine braunen Augen blitzten mich an und sein ganzer Körper schien angespannt, als stünde er kurz vor dem Explodieren.
„Ich sah dich auf dem Pfad und dachte ...“, begann ich kläglich.
„Dachtest was? Das du dich an mich dran hängen kannst?“
„Du brauchst nicht gleich so garstig zu werden“, konterte ich aufgebracht und verletzt. „Ich sah, dass du vor etwas davon läufst und dachte, dass du jemanden zum Reden gebrauchen könntest.“
„Ich brauche niemanden!“
„Fein!“, schnappte ich und machte auf dem Absatz kehrt, ärgerlich die Tränen abwischend, die mir aus den Augen rollten.
„Ich bring dich zurück!“, murrte Pain und kam hinter mir her.
„Danke, aber ich BRAUCHE NIEMANDEN!“, stieß ich bitter und verärgert hervor.
Doch Pain ließ sich nicht abschütteln. Er folgte mir den ganzen Weg bis zur Siedlung zurück.
„Bleib in der verdammten Siedlung, wo du sicher bist oder besorge dir eine Wache“, sagte er grimmig, als der Pfad sich auf den Hauptweg hin öffnete.
Ich wandte mich zu ihm um.
„Keine Sorge! Ich werde dich ganz sicher nicht mehr belästigen!“
„Gut!“
„Arschloch!“, murmelte ich, als ich den Weg am Clubhaus vorbei marschierte. „Verdammtes Arschloch!“
Pain
Ich starrte Juliahinterher, wie sie wütend den Weg entlang stapfte. Sie war verletzt, ich hatte die Tränen in ihren Augen gesehen. Es war besser, wenn sie Abstand von mir hielt. Besser für sie und besser für mich. Es sollte mir also recht sein, dass ich ihr wehgetan hatte – das würde sie fern halten. Doch aus irgendeinem Grund wollte ich nicht, dass sie weinte und schon gar nicht meinetwegen. Sie mitten im Dschungel zu treffen hatte mich aus zwei Gründen wütend gemacht. Erstens hatte ich mit meinen Gedanken allein sein wollen und zweitens hatte sie sich in Gefahr gebracht. Der Gedanke, was ihr alles hätte zustoßen können verschaffte mir ein seltsames Gefühl in der Brust. Sie hätte den Jinggs in die Hände fallen, oder von einem wilden Tier angefallen werden können. Es war nicht sicher allein, und noch dazu als schwache Frau, in diesen Wäldern. In der Siedlung waren Wachen, die ihre Runden liefen und die Hunde, die Alarm schlugen, wenn sich jemand oder etwas näherte, und es gab hohe Zäune, die es Wildtieren erschwerten, sich ins Dorf zu schleichen.
Mit einem Seufzen wandte ich mich ab und lief zurück in den Wald. Ich hatte genug von unerwünschter Gesellschaft. Manchmal blieb ich mehrere Tage fort. Es war ein gutes Gefühl, sich frei zu bewegen. So viele Jahre hatte ich in meiner Zelle verbracht und mir vorgestellt, wie es sein würde, frei zu sein. Die einzigen Lichtblicke in meiner Gefangenschaft waren die kurzen Besuche meines Sohnes gewesen.
„Erzähl mir! Was hast du die letzte Woche gemacht?“, fragte ich meinen Sohn. Er war jetzt etwa vier Jahre alt, doch er wirkte nicht viel älter als ein zweijähriger. Die Ärzte sagten, er hätte einen Gen-Defekt und war wertlos. Sie ließen ihn nur deshalb am Leben weil sie ihn als Druckmittel benutzen konnten, um mich daran zu hindern, gegen sie zu rebellieren.
„Ich war drei Mal draußen“, erwiderte mein Sohn. Normalerweise wurde er nur ein Mal pro Woche nach draußen in den Hof gelassen. Es war kein schönes Leben, das er führte, doch es war zumindest besser, als meins. Man hatte mir sein Zimmer gezeigt, als wir einmal auf dem Weg in den OP waren. Es war groß und hatte ein Fenster, wenngleich es auch vergittert war. Er besaß einen verschlissenen Teddybär, den einer der Wärter ihm mitgebracht hatte und einen Ball, mit dem er bei seinem Freigang im Hof spielen durfte. Außer ein paar Bluttests und anderen schmerzfreie Tests, ließen sie ihn in Ruhe, doch ich hatte keine Zweifel, dass sie ihm wehtun würden, sollte ich bei ihren Versuchen nicht mitspielen. Morgen würde ein neuer Versuch gestartet werden, deswegen hatte man meinen Sohn einen Tag eher zu mir gelassen. Sie schienen nicht zu wollen, dass er mich sah, wenn ich von den Versuchen beeinträchtigt war.
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