»Ich danke Ihnen für diese Frage!« sagte Sven Elversson. »Gerade darüber hätte ich gerne mit Ihnen gesprochen. Es hat, wie Sie wohl begreifen werden, in der letzten Zeit so viel von Ihnen in der Zeitung gestanden, und unter anderem war auch davon die Rede, daß Sie überall, wohin Sie gekommen seien, nach Ihrer Tochter gefragt hätten. Sie seien verheiratet gewesen, ehe Sie vor zweiundzwanzig Jahren Ihren ersten Mord begingen, und als Sie freigelassen wurden, hätten Sie sofort versucht, Ihre Frau aufzufinden, die aber sei tot gewesen. Sie hätten auch eine Tochter, die jetzt einige zwanzig Jahre alt sein müsse, und man wisse nicht anders, als daß sie noch am Leben sei, aber niemand könne Auskunft geben, wohin sie sich gewendet habe. Darnach hätten Sie Land und Reich durchstreift, um sie aufzusuchen. Man sagt, sobald Sie in ein Haus kämen, frügen Sie zuerst, ob man nichts von einem Mädchen wisse, das Julia Lamprecht heiße. Und dies halte ich wirklich für einen sehr schönen Zug von Ihnen,« fügte Sven Elversson hinzu. »Ich habe gedacht, es müsse doch ein guter Kern in Ihnen sein, wenn Sie sich so eifrig nach Ihrer Tochter erkundigen.«
»Aber was in aller Welt Namen hab' ich mit Ihnen zu tun?« fragte der Angeklagte. »Warum sitzen Sie hier und warum reden Sie mit mir? Warum sagen Sie mir durchaus nicht, was Sie eigentlich von mir wollen?«
»Ich danke Ihnen noch einmal,« sagte Sven Elversson mit sehr sanfter Stimme, wie wenn er bange wäre, das Mißfallen des Angeklagten zu wecken. »Das sind lauter Fragen, die zu beantworten ich gerne die Gelegenheit haben möchte. Ich wohne, wie gesagt, auf der Grimö, und die Insel liegt weit draußen im Meere. Sie könnten mir eigentlich gleichgültig sein, denn Sie wandern doch wohl nur auf dem Festlande umher. Aber ich habe eine Mutter, die das zweite Gesicht hat, und letzten Winter am Morgen des dreizehnten Februar bat sie mich, aufs Festland hinüberzufahren und nachzusehen, wie es mit zwei alten Verwandten von uns stehe, die in einer einsamen Hütte zwischen den Hügeln wohnten, weit entfernt von der Landstraße und von jeder Nachbarschaft. Sie hatte einen schweren Traum gehabt und meinte, es wäre gut, wenn jemand nachsähe, wie es den Alten gehe. Und ich tat, wie sie mir aufgetragen hatte. Dadurch war ich der erste, der sah, was Sie in der Nacht getan hatten. Es war ein schrecklicher Anblick, das kann ich nicht leugnen, und ich habe seither immer gewünscht, es möchte so kommen, daß Sie nie mehr frei umhergehen könnten. Und darum hab' ich auch das Geld gesammelt. Verstehen Sie, ich wünsche Ihnen gar nichts Schlimmes, das habe ich Ihnen ja schon gesagt. Ich möchte Sie nur für Lebenszeit eingesperrt wissen.«
Während er das sagte, rückte er auf der Pritsche näher zu dem Angeklagten hin und strich ihm freundschaftlich über den Rockärmel. Es war augenscheinlich sein Wunsch, Julius Martin Lamprecht möge nicht den Eindruck von einem persönlichen Widerwillen seinerseits bekommen. Wenn er ein zufällig aus seinem Käfig entsprungener Löwe gewesen wäre, so hätte sein Wärter auf gleiche Weise versucht, ihn wieder hinter die Gitterstäbe zu locken.
Es wäre unrichtig, wollte man behaupten, der Angeklagte habe seinen Besucher nicht mit Unruhe betrachtet. Alle Menschen beunruhigten ihn, der Richter, die Schöffen, der Gefängnisaufseher, der Vogt und die Zeugen, aber trotzdem kam ihm Sven Elversson recht ungefährlich, ja geradezu etwas närrisch vor. »Das ist so einer, der herumläuft und es gut meint,« wiederholte er bei sich. »Das ist ein Menschenfreund.«
»Jetzt fange ich an zu begreifen,« sagte der Angeklagte. »Als Sie hörten, daß ich meine Tochter suche, dachten Sie, Sie könnten diese als Köder verwenden, um einen armen Kerl wieder hinter Schloß und Riegel zu bekommen.«
Er lachte Sven Elversson gerade ins Gesicht. Der Löwe wollte seine Freiheit behalten, er machte sich nichts aus dem hingehaltenen Köder.
»Jawohl,« erwiderte Sven Elversson mit seinem unterwürfigsten Lächeln. »Diese Worte bringen mich gerade auf das, was ich sagen wollte. Sehen Sie, ich war letzten Sommer hier in der Gegend mit einem Bau beschäftigt, nicht auf eigene Rechnung, sondern für andere. Und ich ließ Steine aus einem Steinbruch nahe bei dem Fischerdorf Knapefjord, wo wir jetzt sind, hinschaffen, und dabei kam ich auch einigermaßen mit den Leuten in Berührung, die da arbeiteten. Und unter diesen war ein junges Mädchen, das Julia Lamprecht hieß. Das war ja kein ganz gewöhnlicher Name, und sobald ich den Ihrigen in der Zeitung las, mußte ich an sie denken.«
Der Angeklagte stand auf. Wieder fühlte er ein Zittern, das ihm von den Beinen aus das Rückgrat hinauflief. In seinem Gesicht arbeitete es, und er blinzelte mit den Augen. Augenscheinlich war in seinem Innern etwas in Aufruhr geraten, als von seiner Tochter gesprochen wurde, obgleich er sie seither nicht eigentlich aus einem warmen Herzensgefühl heraus aufzufinden gesucht hatte, sondern in der Hoffnung, es gehe ihr vielleicht gut, und sie könne ihm eine Heimat bieten.
Rücksichtslos stieß er Sven Elversson zur Seite und stellte sich mitten in die Zelle.
»Ist sie da?« fragte er. »Ich will sie sehen!«
Er sprach wie ein Mann, der keinen Augenblick zweifelt, daß seinen Befehlen gehorcht werde; aber Sven Elversson wagte doch, ihm zu widersprechen.
»Sie sollen sie zu sehen bekommen. Sie sollen mit ihr sprechen, wie Sie jetzt mit mir sprechen,« sagte er bescheiden und freundlich, aber nicht ohne Festigkeit. »Nur ein Ding muß vorher geschehen. Sie müssen Ihre Antwort dort auf das Papier schreiben. Sie denken vielleicht, es sei schlecht, Vater und Tochter zu trennen, aber wir müssen vorher dieses Papier unterzeichnet haben.«
Der Angeklagte wurde rot vor Zorn. Er war es nicht gewohnt, sich einen unschuldigen Wunsch versagt zu sehen. Seit seiner Festnahme war er mit der größten Rücksicht behandelt worden, damit er guter Laune bleibe, damit es ihm in seinem Gefängnis, sozusagen, gefalle und er das Geständnis ablege, auf das hin er immer drinbleiben müßte. Er fühlte große Lust, sich auf Sven Elversson zu stürzen und ihn zu züchtigen, aber er beherrschte sich. Er warf sich auf der Pritsche auf den Bauch und wendete das Gesicht nach unten, so daß nichts mehr davon zu sehen war, denn er fühlte, wie es in seinen Zügen arbeitete. Er wußte selbst nicht, woher es kam, aber er meinte, es sei am besten, seine Rührung zu verbergen.
»Ich bin Ihnen dankbar, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie sich bedenken,« sagte der Gast. »Es geht Julia Lamprecht nicht besonders gut, das sollen Sie wissen. Sie hat ja frühe ihre Mutter verloren, und man kann beinahe sagen, sie sei auf der Gasse aufgewachsen. Hierher kam sie zusammen mit einem Steinarbeiter. Sie waren nicht verheiratet, aber es ist unter den Steinarbeitern nicht sehr gebräuchlich, zu heiraten, und so stieß sich niemand daran. Und Julia ist gut, es gibt viele, die schlechter sind als sie. Aber vor einigen Tagen, als der Mann hörte, daß Julia Ihre Tochter sei, ging er auf und davon und ließ sie sitzen. Er habe einen Abscheu vor ihr, sagte er, und nun ist Julia einsam und verlassen. Sie ist schön, wie Sie mit blonden Haaren, und sie findet auch wohl wieder einen anderen, aber etwas Rechtes wird es wohl nicht mehr. Wenn sie aber fünftausend Kronen hätte, so könnte sie sich ein nettes kleines Häuschen kaufen und sich richtig verheiraten. Fünftausend wären dazu gerade recht. Mehr wäre nicht gut und weniger auch nicht. – Ja, nun wissen Sie also, wie wir uns die Sache gedacht haben. Sobald Sie die Fragen beantwortet haben, können Sie mit Julia zusammenkommen und ihr die fünftausend Kronen in die Hände legen. Das wäre doch schön. Dann würde sie erkennen, daß sie einen Vater hat. Sie würde erkennen, daß Sie, was Sie auch getan haben mögen, doch ein Vaterherz für sie haben.«
Читать дальше