»Sie prahlten, daß sie von Gott dazu berufen seien, den Stern zu erschauen. Sie sagten sich, daß die Eltern des Neugeborenen sie nicht geringer als mit zwanzig Beuteln Gold belohnen könnten. Vielleicht würden sie ihnen sogar so viel geben, daß sie nie wieder die Qual der Armut zu fühlen brauchten.
»Ich lag wie eine Löwin in der Wüste auf der Lauer«, sagte die Dürre, »und wollte mich mit allen Qualen des Durstes auf die Wanderer stürzen, sie aber entkamen mir. Der Stern geleitete sie die ganze Nacht, und als sich am Morgen der Himmel erhellte und alle die anderen Sterne verblichen, blieb dieser Stern beharrlich am Himmel stehen und leuchtete über der Wüste, bis er sie zu einer Oase geführt hatte, wo sie eine Quelle und fruchtreiche Obstbäume fanden. Dort ruhten sie den Tag über, und erst zur Nacht, als sie wieder den Sternenstrahl auf dem Wüstensand glänzen sahen, gingen sie weiter.
»Nach der Anschauung der Menschen«, fuhr die Dürre fort, »war diese Wanderung schön. Der Stern führte sie immer so, daß sie weder dursteten noch hungerten. Er geleitete sie an scharfen Disteln vorbei, er wich dem tiefen, losen Flugsand aus, sie entgingen durch ihn dem blendenden Sonnenschein und den glühenden Wüstenstürmen. Die drei sprachen beständig zueinander:
›Gott schützt uns und segnet unsere Wanderung. Wir sind seine Sendboten.‹
»Aber allmählich gewann ich dennoch Macht über sie,« erzählte die Dürre weiter. »Die Herzen der Sternwanderer wurden zu so trockenen Wüsteneien, wie jene, die sie durchschritten, sie waren voll unfruchtbarer Hoffart und wüster Begierde.
›Wir sind die Sendboten Gottes‹, wiederholten die drei Weisen, ›der Vater des neugeborenen Königs wird uns nicht zu reich belohnen, wenn er uns eine mit Gold beladene Karawane schenkt.‹
»Endlich führte der Stern sie über den vielgerühmten Jordanfluß und hierauf zu den Bergen Judäas. Und eines Nachts blieb er über der kleinen Stadt Bethlehem stehen, die auf einem Bergkegel zwischen grünen Olivenbäumen hervorschimmerte.
»Die drei Weisen blickten nach Schlössern, befestigten Türmen, Mauern und all dem anderen umher, das zu einer Königsstadt gehört, aber sie vermochten nichts dergleichen zu entdecken. Und was noch schlimmer war, das Sternenlicht geleitete sie nicht einmal zur Stadt hinein, sondern machte vor einer Felsenhöhle am Wegrande Halt. Dort glitt das milde Licht durch die Oeffnung hinein und zeigte den drei Wandernden ein Kindlein, das im Schoße seiner Mutter lag und in Schlaf gesungen wurde.
»Aber obwohl die drei Weisen wahrnahmen, daß das Sternenlicht des Kindes Haupt wie eine Krone umringte, blieben sie vor der Höhle stehen. Sie gingen nicht hinein, um dem Kleinen Ehren und Königreiche zu prophezeien. Sie wandten sich ab, ohne ihre Gegenwart zu verraten, sie flohen vor diesem Kinde und stiegen wieder bergaufwärts.
›Sind wir zu Bettlern ausgezogen, so gering und arm wie wir selber?‹ sprachen sie. ›Hat Gott uns hierher geführt, auf daß wir seiner spotten und dem Sohn eines Schafhirten Ehren weissagen? Dieses Kind wird niemals Höheres erreichen, als hier in diesen Tälern seine Herde zu hüten!‹«
Die Dürre hielt inne und nickte bekräftigend ihren Zuhörern zu. Habe ich nicht recht? schien sie sagen zu wollen. Es gibt mancherlei, das trockener ist als Wüstensand, aber nichts ist unfruchtbarer als das Menschenherz.
»Die drei Weisen waren noch nicht weit gegangen, als es sie bedünken wollte, daß sie sich verirrt hätten und dem Sterne nicht richtig gefolgt wären,« fuhr die Dürre fort. »Und sie wandten ihre Augen zum Himmel, um den Stern und den rechten Weg wiederzufinden. Aber da war der Stern, dem sie vom Morgenlande her gefolgt waren, vom Himmel verschwunden.
»Die drei Fremdlinge schraken heftig zusammen, ihr Gesicht zeigte tiefen Schmerz.
»Was nun geschah,« hub die Erzählerin wieder an, »war, nach Menschensinn beurteilt, vielleicht sehr erfreulich. Sicher ist, daß die drei Weisen, sobald sie den Stern nicht mehr erblickten, erkannten, daß sie vor Gott gesündigt hatten. Und es erging ihnen,« fuhr die Dürre erschauernd fort, »wie es der Erde im Herbst geht, wenn die starken Regengüsse beginnen. Sie bebten vor Schrecken, wie bei einem Gewitter, ihre Herzen wurden wieder weich, und in ihrem Gemüt sproßte die Demut wie grünes Gras empor.
»Drei Tage und drei Nächte durchwanderten sie das Land, um jenes Kind zu finden, das sie anbeten sollten. Der Stern jedoch zeigte sich ihnen nicht, sie verirrten sich mehr und mehr und waren voll Kummer und Verzweiflung. In der dritten Nacht aber kamen sie zu dem Brunnen hier, um zu trinken. Und nun hatte Gott ihnen ihre Sünde vergeben, und als sie sich über den Wasserspiegel beugten, da erblickten sie tief unten den Widerschein des Sternes, der sie aus dem Morgenlande hergeführt hatte.
»Auch am Himmel gewahrten sie ihn alsogleich, und er geleitete sie aufs neue nach der Höhle zu Bethlehem, wo sie vor dem Kinde auf die Knie sanken und sprachen:
›Wir bringen Dir goldene Schüsseln mit Weihrauch und köstlicher Spezerei. Du wirst der mächtigste König der Erde werden, der je seit ihrer Erschaffung gelebt hat und leben wird bis zu ihrem Untergang.‹
»Alsbald legte das Kindlein seine kleine Hand auf ihre gesenkten Köpfe, und als sie aufstanden, siehe, da hatte es ihnen Gaben gespendet, größer und reicher als ein König sie spenden könnte. Denn der alte Bettler war wieder jung, der Aussätzige gesund und der Neger ein schöner, weißer Mann. Und man erzählt, sie seien so herrlich gewesen, daß sie von dannen zogen und jeder König in seinem Heimatlande wurde.«
Die Dürre hielt in ihrer Erzählung inne, und die drei Fremdlinge lobten sie und sprachen: »Du hast gut berichtet.«
»Aber es wundert mich,« sagte der eine, »daß die drei Weisen gar nichts für den Brunnen tun, der ihnen einst den Stern zeigte. Sollten sie eine so große Wohltat ganz vergessen haben?«
»Müßte dieser Brunnen nicht ewig sein,« sprach der zweite Fremdling, »um die Menschen daran zu gemahnen, daß das Glück, das auf den Höhen des Stolzes eingebüßt wird, sich in der Tiefe der Demut wiederfindet?«
»Sind die Abgeschiedenen schlechter als die Lebenden?« fragte der dritte. »Erstirbt die Dankbarkeit bei denen, die im Paradiese leben?«
Aber als sie diese Worte sprachen, fuhr die Dürre mit einem Schrei empor. Sie hatte die Fremdlinge erkannt, sie begriff, wer diese Wanderer waren. Und sie entfloh wie eine Rasende, um nicht mitansehen zu müssen, wie die drei weisen Männer ihre Sklaven herbeiriefen und ihre Kamele zum Brunnen führten, die alle mit Wasserschläuchen beladen waren, und wie sie den armen versiegenden Brunnen mit Wasser füllten, das sie im Paradiese geschöpft hatten.
Das Kindlein von Bethlehem
Zu Bethlehem vor dem Stadttor stand ein römischer Kriegsknecht Wache. Er war mit Harnisch und Helm gerüstet, trug ein kurzes Schwert an der Seite und hielt einen langen Speer in der Hand. Den ganzen Tag über stand er fast regungslos, so daß man glauben konnte, er sei ein Mann aus Eisen. Die Bürger der Stadt gingen durch das Tor aus und ein, Bettler setzten sich im Schatten des Torbogens nieder, Obstverkäufer und Weinhändler stellten ihre Körbe und Gefäße neben dem Kriegsknecht auf die Erde, er aber nahm sich kaum die Mühe, auch nur den Kopf zu wenden, um ihnen nachzublicken.
»Was soll ich Euch groß beachten?« schien er sagen zu wollen. »Was geht Ihr mich an, die Ihr arbeitet und Handel treibt und mit Oelkrügen und Weinschläuchen hergezogen kommt? Laßt mich ein Kriegsheer sehen, das sich ordnet, um auf den Feind loszugehn! Laßt mich das Gedränge und den hitzigen Kampf sehn, wenn ein Reitertrupp sich auf eine Schar Fußsoldaten stürzt! Laßt mich die Tapferen sehen, die mit Sturmleitern voraneilen, um die Mauern einer belagerten Stadt zu erklimmen! Nichts anderes als der Krieg kann mein Auge ergötzen. Ich sehne mich danach, die Adler Roms in der Luft blitzen zu sehn. Ich sehne mich nach dem Dröhnen der kupfernen Posaunen, nach den leuchtenden Waffen, nach umherspritzendem roten Blute.
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