So hatten sie denn auf Nääs angefangen, Kinder in Handfertigkeit zu unterrichten, und sie sahen bald, daß es nützlich und gut für die Kleinen war, und wünschten nun, daß alle Kinder in Schweden einen solchen Unterricht erhalten möchten.
Aber wie ließ sich das machen? Es wuchsen ja Hunderttausende von Kindern in Schweden auf. Man konnte sie doch nicht alle nach Nääs kommen lassen, um ihnen Handfertigkeitsunterricht zu geben. Das war ganz unmöglich.
Da kam der junge Herr mit einem neuen Vorschlag. Wie, wenn man, statt die Kinder zu unterrichten, ein Handfertigkeitsseminar für ihre Lehrer einrichtete? Wie, wenn die Lehrer und Lehrerinnen aus dem ganzen Lande nach Nääs kämen, dort Handfertigkeit erlernten und dann nachher mit allen den Kindern, die sie in ihren Schulen hatten, Handfertigkeit trieben? Auf die Weise würde es vielleicht gelingen, daß die Hände aller Kinder in Schweden ebenso geübt würden wie ihr Gehirn.
Als dieser Gedanke erst einmal in ihnen wachgerufen war, konnten die beiden Herren ihn gar nicht wieder loswerden, sondern suchten ihn zur Ausführung zu bringen.
Sie halfen einander getreulich. Der alte Herr ließ Arbeitssäle, ein Versammlungshaus und einen Turnsaal bauen und sorgte für die Wohnung und Verpflegung aller, die die Schule besuchten. Der junge Herr wurde Vorsteher des Seminars. Er machte den Plan für den Unterricht, leitete die Arbeit und hielt Vorträge. Und nicht genug damit. Er lebte beständig mit den Schülern zusammen, machte sich mit den Verhältnissen jedes einzelnen bekannt und wurde ihnen ein aufrichtiger und treuer Freund.
Und wie viele Schüler strömten nicht gleich von Anfang an herbei! In jedem Jahr wurden vier Kurse abgehalten, und zu allen meldeten sich mehr Schüler, als aufgenommen werden konnten. Auch im Ausland wurde die Schule bald bekannt, und Lehrer und Lehrerinnen aus aller Herren Länder kamen nach Nääs, um zu lernen, wie sie es anfangen mußten, um die Hand zu erziehen. Kein Ort in Schweden war so bekannt im Auslande wie Nääs, und kein Schwede hatte ringsumher auf der ganzen Welt so viele Freunde wie der Vorsteher des Nääser Handfertigkeitsseminars.
Die kleine, schüchterne Lehrerin saß da und hörte dies alles an, und je mehr sie hörte, um so lichter ward es um sie her. Sie hatte bisher gar nicht gewußt, warum die Handfertigkeitsschule auf Nääs war, sie hatte nicht gewußt, daß sie von zwei Männern ins Leben gerufen war, die ihrem Lande nützen wollten, sie hatte keine Ahnung davon gehabt, daß diese alles opferten, was sie opfern konnten, um ihren Mitmenschen zu helfen, besser und glücklicher zu werden.
Wenn sie nun an die große Güte und Nächstenliebe dachte, die dem allen zugrunde lag, ergriff sie das so sehr, daß sie nahe daran war, zu weinen. So etwas hatte sie noch nie erlebt.
Am nächsten Tage ging sie in einer ganz anderen Gemütsverfassung an die Arbeit. Wenn das alles aus Güte gegeben wurde, mußte sie es ja auf ganz andere Weise hinnehmen als bisher. Sie vergaß, an sich selbst zu denken, und ging ganz auf in ihrer Arbeit und dem großen Ziel, das dadurch erreicht werden sollte. Und von dem Augenblick an machte sie ihre Sache ausgezeichnet, denn alles Lernen wurde ihr leicht, sobald ihre Schüchternheit sie nicht lähmte.
Jetzt, wo ihr die Schuppen von den Augen gefallen waren, sah sie überall die große, wunderbare Güte. Sie sah, wie sorgfältig alles für die Besucher des Seminars geordnet war. Die Teilnehmer des Kursus erhielten weit mehr als nur den Unterricht in Handfertigkeit. Der Vorsteher hielt ihnen Vorträge über Erziehung, sie turnten miteinander, gründeten einen Gesangverein und kamen fast jeden Abend zu Vorlesungen und musikalischen Aufführungen zusammen. Und außerdem waren da Bücher, Badehäuser und Klaviere, alles zu ihrer Verfügung. Der Zweck des Ganzen war, daß sich alle glücklich und wohl befinden und fröhlich sein sollten.
Allmählich wurde es ihr klar, wie unschätzbar es war, die schönen Tage des Sommers auf einem großen schwedischen Herrenhof verbringen zu dürfen. Das Schloß, in dem der alte Herr wohnte, lag auf einem Hügel, der fast von allen Seiten von einem See umgeben und nur durch eine schöne steinerne Brücke mit dem Lande verbunden war. Sie hatte nie etwas so Schönes gesehen wie die Blumengruppen auf der Terrasse vor dem Schloß, wie die alten Eichen im Park, wie den Weg am See entlang, wo die Bäume über das Wasser hinabhingen, oder wie den Aussichtspavillon auf der Felsenklippe über dem See. Die Schulgebäude lagen dem Schloß gerade gegenüber auf grünen schattigen Wiesen, aber es stand ihr frei, im Schloßpark zu lustwandeln, sooft sie Zeit und Lust hatte. Es war ihr, als habe sie nie gewußt, wie schön der Sommer sei, bis sie ihn an einem so herrlichen Ort verbringen durfte.
Nicht daß eine große Veränderung mit ihr vorgegangen wäre. Mutig und selbstbewußt wurde sie nicht, aber sie fühlte sich froh und glücklich. Sie wurde förmlich durchwärmt von all dieser Güte. Sie konnte sich ja nicht unglücklich fühlen an einem Ort, wo alle es gut mit ihr meinten und ihr zu helfen bemüht waren. Als der Kursus beendet war und die Schüler Nääs verlassen sollten, war sie ganz neidisch auf alle, die dem alten und dem jungen Herrn richtig zu danken und mit schönen Worten das auszudrücken vermochten, was sie fühlten. Soweit würde sie es nie bringen.
Sie kehrte heim und nahm die Arbeit an der Schule wieder auf und tat es mit ebensoviel Freude wie bisher. Sie wohnte nicht weiter von Nääs entfernt, als daß sie da hinübergehen konnte, wenn sie einen Nachmittag frei hatte, und das tat sie in der ersten Zeit auch ziemlich oft. Aber da waren immer neue Kurse, neue Gesichter, ihre Schüchternheit stellte sich wieder ein, und sie wurde ein immer seltenerer Gast in der Handfertigkeitsschule. Aber die Zeit, die sie selbst als Schülerin auf Nääs zugebracht, lebte in ihrer Erinnerung immer als das beste, was sie erlebt hatte.
An einem Frühlingstage hörte sie, daß der alte Herr auf Nääs gestorben sei. Da dachte sie an den schönen Sommer, den sie auf seinem Gut hatte verweilen dürfen, und es betrübte sie, daß sie sich nie so recht bei ihm bedankt hatte. Er hatte sicher Danksagungen genug von hoch und niedrig erhalten, aber sie würde sich glücklicher gefühlt haben, wenn sie ihm mit ein paar Worten erzählt hätte, wieviel er für sie getan hatte.
Auf Nääs wurde der Unterricht auf dieselbe Weise fortgesetzt, wie vor dem Tode des alten Herrn. Er hatte nämlich der Schule das ganze schöne Gut geschenkt und sein Neffe blieb auch fernerhin Vorsteher und leitete das ganze Unternehmen. Jedesmal, wenn die Lehrerin nach Nääs kam, war da etwas Neues zu sehen. Jetzt war da nicht nur der Handfertigkeitskursus, sondern der Vorsteher wollte auch gern die alten Gebräuche und die alten Volksvergnügungen wieder ins Leben rufen, und er errichtete daher einen Kursus für Singspiele und viele andere Arten von Spielen. In einer Hinsicht aber blieb alles beim alten: so wie früher durchwärmte auch jetzt die Güte alle Menschen, sie fühlten, wie alles so geordnet und eingerichtet war, daß sie sich freuen und nicht nur Kenntnisse einheimsen, sondern auch Arbeitsfreudigkeit mit heimnehmen sollten, wenn sie zu den kleinen Schulkindern ringsumher im Lande zurückkehrten.
Nur wenige Jahre nach dem Tode des alten Herrn hörte die Vorsteherin eines Sonntags, als sie die Kirche besuchte, daß der Vorsteher auf Nääs erkrankt sei. Sie wußte, daß er in der letzten Zeit wiederholt an Herzschwäche gelitten hatte, aber sie hatte nicht geglaubt, daß er in Lebensgefahr schwebe. Und das, hieß es, sei diesmal der Fall.
Von dem Augenblick an, als sie dies hörte, konnte sie an nichts anderes denken, als daß nun vielleicht auch der Vorsteher so wie der alte Herr sterben würde, ehe es ihr möglich gewesen war, ihm zu danken. Und sie überlegte hin und her, was sie nur tun solle, damit ihr Dank zu ihm gelangen könne.
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