Sogar die Welt um sie herum schien anders zu sein, irgendwie verändert. Die Farben schienen sich auf subtile Weise zu verändern, als könnte sie sie intensiver sehen als jemals zuvor, während die Gerüche des Dschungels in der Nähe so stark zu sein schienen, dass sie sie fast schmecken konnte.
Im Moment war das jedoch egal. Was zählte war, dass sie überlebt hatte. Bedeutete das …, dass sie geheilt worden war? Hatte der Brunnen sie geheilt?
Nerra wagte kaum zu hoffen, dass es wahr sein könnte, dass sie überlebt haben könnte, wenn so viele andere gestorben waren, aber die Hoffnung regte sich wieder in ihr. Sie war definitiv am Leben und all die schrecklichen Empfindungen zerquetschter Knochen in ihrem Körper waren verschwunden. Wenn sie heil war, war es zu viel, zu hoffen, dass sie auch geheilt worden sein könnte?
Dann sah Nerra ihren Arm. Es war immer noch ein menschlicher Arm, er war nicht in die abscheulichen, unförmigen Dinge verdreht worden, die sie unten im Dorf gesehen hatte, aber er war vollständig mit schillernden Schuppen von tiefem Blau bedeckt. Muskeln bewegten sich unter der Haut, viel dicker als zuvor, und Nerra sah schockiert zu, wie sich Krallen aus ihren Fingern streckten, die boshaft scharf aussahen.
Sie schrie auf, als sie ihren Arm so sah und griff nach den Schuppen und sie tat es mit Krallen, was es nur noch schlimmer machte. Was geschah mit ihr, was war aus ihr geworden? Sie hatte das Gefühl, nicht atmen zu können, und das hatte nichts mit der Krankheit zu tun, dafür aber alles mit der Seltsamkeit des Geschehens. Sie trat einen Schritt zurück, aber das führte sie nur zum Wasser. Sie durfte nicht zögern; sie musste schauen.
Das Wesen, das von der Wasseroberfläche zurückstarrte, hatte sich grundlegend verändert, von dem, was sie gewesen war, und doch war es nicht das zerbrochene, verzerrte Ding, vor dem sie solche Angst gehabt hatte. Nerra konnte es ein paar lange Sekunden nur anstarren, unfähig, es zu begreifen. Entsetzen, Schock und pure Faszination kämpften in ihr darum, die Oberhand zu gewinnen.
Ihre Haut war schuppig, ihre Augen gelb wie die einer Schlange, ihre Gesichtszüge dehnten sich zu etwas Drakonischem aus, doch diese Gesichtszüge hatten eine unbestreitbare Symmetrie und Schönheit. Trotzdem hätte Nera alles abgelehnt, wäre da nicht immer noch etwas an dem Wesen, das Nerra an sich selbst erinnerte. Sie fand sogar ein Überbleibsel ihre Haare, in fächerartigen Strähnen, wie der Kamm einer Eidechse. Ihr Körper war genauso schuppig und noch viel muskulöser. Dank der Neuanordnung ihrer Gelenke konnte sie sich auf eine geschmeidige Weise bewegen, sah aber nicht wie ein Monster aus.
„Selbstverständlich bin ich ein Monster!“, sagte sie laut und ihre Stimme war der einzige Teil von ihr, der sich nicht verändert zu haben schien. Das machte es allerdings irgendwie schlimmer, nicht besser. Wie konnte dieser Teil von ihr der gleiche sein, wenn so viel von dem Rest von ihr so verzerrt war? Ihr kam der Gedanke, dass niemand in ihrer Familie sie jetzt noch erkennen würde, dass sie alles verloren hatte. Wut stieg in ihr auf, schnell und plötzlich und erschütternd. Sie nahm einen Klumpen Tempelstein und zerdrückte ihn zwischen ihren Händen. Erst als sie es tat, wurde ihr klar, wie stark diese neue Gestalt geworden war.
Die Wut war immer noch da und Nerra konnte fühlen, wie sie darum kämpfte, hervorzusprudeln, Besitz von ihr zu ergreifen, so wie sie über alle Verwandelten im Dorf Besitz ergriffen und sie in scheinbar sinnlose Dinge verwandelt hatte. Nerra wehrte sich dagegen, gegen den Schock, gegen den puren Kummer, den diese Verwandlung auslöste, zwang alles in sich hinein und weigerte sich, so zu werden. Sie klammerte sich an die Seite des Beckens, starrte ins Wasser und zwang sich, diese veränderte Version von ihr anzusehen, bis sie glaubte, sie ertragen zu können.
Der Brunnen hatte sie nicht getötet und nicht geheilt, er hatte sie verändert . Das Wasser war wie ein Katalysator für die Transformation gewesen, die die Krankheit mit sich gebracht hatte, aber es hatte sie scheinbar direkt an den verzerrten Formen vorbeigeführt, die sie normalerweise während der Verwandlungsphase auslöste und stattdessen etwas gleichzeitig Schlankes und Geschmeidiges, Eidechsenartiges und Menschliches zu schaffen.
Nerra wusste nicht, was sie mit diesem Gedanken anfangen sollte, wusste nicht, wie sie den Schock überwinden sollte, angesichts dessen, was sie geworden war. Sie konnte es nicht begreifen und wusste nicht, was sie als Nächstes tun sollte. Sie musste wissen, was vorging und was mit ihr passiert war, aber es gab nur einen Ort, an dem sie Antworten bekommen könnte, und an diesem Ort könnte man sie für das, was sie war, auch direkt töten.
Nerra schritt über die Fläche des Vulkans hinaus und machte sich auf den Weg zurück in Richtung Dorf.
Sich Finnal und seinen Leuten an die Fersen zu heften war für Erin leicht genug. Schließlich konnte sie als Prinzessin überall im Schloss hingehen, und das sie auch ein Ritter war, sah niemand genauer hin, wenn sie es mit ihrem kurzen Speer an ihrer Seite tat, dessen Kopf immer noch so umhüllt war, dass er wie ein Stab aussah.
Was würde jemand wirklich sehen, wenn er in ihre Richtung blicken würde? Ein Mädchen, das kleiner als ihre Schwestern war, in Ketten- und Panzerrüstung, dunkles Haar, kurz geschnitten, damit es im Kampf nicht störte, mit entschlossenen Gesichtszügen. Sie würden nicht ergründen können, worum es ihr ging, würden nicht in der Lage sein, den Teil zu erraten, in dem sie früher oder später vorhatte, ihren Speer in Finnals Herz zu stoßen. Niemand wollte eine Prinzessin ansehen und denken, dass sie so etwas tun könnte.
Die Leute waren dumm.
Im Moment beschattete Erin nur. Sie bewegte sich geschickt zwischen den verschiedenen Gruppen von Leuten, die zurzeit das Schloss bevölkerten und schlenderte von den versammelten Rittern zu den Gruppen von Dienern, während Finnal über den Hof in Richtung der großen Halle ging. Im Schlosshof standen im Moment Zelte, im Schatten der hohen Mauern lagerten dort Soldaten, während sie auf neue Befehle warteten. Einige saßen im Freien und kochten Feuer, und Finnal blieb bei einigen stehen, scherzte mit ihnen und lachte. Bei einigen verteilte er Münzen und versuchte wahrscheinlich, Zuneigung zu kaufen.
Erin konnte nicht erkennen, was ihre Schwester jemals in ihm gesehen hatte. Oh, er war hübsch, sicher, diese elegante Anmut, hohen Wangenknochen und dem stetigen Lächeln. Er trug dunkle, mit Silber abgesetzte Kleidung, um besser auf den glanzvollen Rest seiner Erscheinung aufmerksam zu machen. Und natürlich reagierten alle um ihn herum auf ihn, als ob die Sonne selbst gerade hinter einer Wolke hervorgekommen wäre, wenn er vorbeiging. Doch Lenore hatte mehr verdient. Sie verdiente jemanden, der sie wirklich liebte.
Ganz sicherlich jemanden, der nicht versuchen würde, sie in ihrer Ehe quasi als Geisel zu halten, und Schläger nach ihr aussandte, nur weil sie es gewagt hatte, nach draußen zu gehen. Finnal würde dafür bezahlen, und zwar teuer.
Erin lächelte, als sie sah, wie Finnals Weg zu den Ställen auf seinem Weg zur großen Halle führte. Bei so vielen Leuten im Schloss war es im Moment schwierig, einen guten Platz für einen Hinterhalt zu finden, aber Erin war sich sicher, dass es dort einen Platz geben würde. Sie kannte genau die richtige Stelle.
Erin gab ihren Versuch auf, ein stiller Schatten hinter ihm zu sein, und rannte in schrägem Winkel von Finnal über den Hof. Am anderen Ende des Hofs schlug sie einen Haken und rannte eine Steintreppe hinauf, bis sie sich auf der untersten Ebene der Mauern befand. Sie schlüpfte an einer der Wachen vorbei, die über die Inseln der Stadt blickten und sprang leichtfüßig hinunter, bis sie das Dach der Stallgebäude erreicht hatte
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