Die Angemalte geht auf den Eingang zu, ich laufe durch den Garten wieder zurück zur Terrassentür und stehe schon neben Daniel, als der die Werkstatttüre öffnet.
»Daniel, mein Bester!«
Sie fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Ich gebe mir größte Mühe, zu erkennen, ob mit oder ohne Zunge. Habe schließlich dazugelernt. Leider kann ich es so recht nicht sehen, ihre bauschigen Locken verdecken beide Gesichter. Im eigenen Interesse hoffe ich aber, dass dies hier nur eine normale Begrüßung war, denn etwas anderes kann ich momentan nicht gebrauchen. Auch wenn ich an den jüngsten Entwicklungen nicht unschuldig bin. Bisher war die Werkstatt ein guter Rückzugsort vor menschlichen Gefühlswirrungen, und das soll doch bitte so bleiben.
»Wow, Aurora, du siehst wie immer fantastisch aus! Komm rein, ich habe schon auf dich gewartet. Carolin ist leider krank und diese Woche nicht in der Werkstatt.«
»Die Arme! Was hat sie denn?«
Täusche ich mich, oder klingt diese Anteilnahme irgendwie unecht? Ich würde einen größeren Fleischwurstzipfel darauf verwetten, dass diese Aurora froh ist, Carolin nicht zu sehen.
»Ach, sie ist ziemlich erkältet. Hat einen ganz dicken Kopf, und ich habe ihr geraten, sich mal richtig auszukurieren.«
»Ja, gute Idee.« Aurora hebt die Hand und macht eine drohende Geste mit dem Zeigefinger. »Nicht, dass sie dich noch ansteckt. Jetzt, wo ich dich so dringend brauche, mein Lieber.« Endlich bemerkt sich auch mich. »Seit wann hast du denn einen Hund?«
»Carolin hat ihn im letzten Monat aus dem Tierheim mitgebracht. Süßes Kerlchen, nicht? Ich betätige mich ein bisschen als Hundesitter, solange sie krank ist.«
»Nett von dir. Ich bin eigentlich kein Hundefreund, Katzen sind mir lieber. Aber der ist wirklich ganz niedlich.«
Grrr, Katzen sind ihr lieber? Vielleicht zwicke ich die Dame gleich mal in die Hacken, dann hat sie wenigstens einen guten Grund für ihre Katzenliebe.
»So, dann lass mich das Schmuckstück mal sehen, ich bin schon ganz gespannt.« Daniel hilft Aurora aus dem Mantel und führt sie in seinen Werkstattraum.
»Das kannst du auch sein, Daniel. Sie ist wirklich wunderschön.«
Sie reicht ihm den Geigenkasten, er legt ihn auf seine Werkbank und öffnet ihn vorsichtig, nimmt die Geige heraus und dreht sie hin und her. Dann pfeift er anerkennend.
»Alle Achtung! Cremoneser Schule, unverkennbar!«
»Ich war ganz aufgeregt, als der Vermittler bei mir anrief. Ich habe so lange nach einem solchen Instrument gesucht. Letzte Woche war das Gutachten fertig, und gestern ist sie per Express aus London gekommen. Meinst du, du bekommst sie wieder hin?«
»Na ja, in der Decke ist ein Riss, die Wölbungen sind verzogen - aber alles in allem scheint es nicht so dramatisch zu sein. Ich würde sagen: Es gibt Hoffnung.«
Aurora gibt einen Jauchzer von sich und fällt Daniel schon wieder um den Hals.
»Ich wusste es, du bist einfach der Beste! Danke, danke, danke!«
Mit einer gewissen Genugtuung bemerke ich, dass Daniel sie sanft von sich schiebt.
»Keine Ursache, ist schließlich mein Job.«
»Wann kannst du damit anfangen?«
Daniel schaut Richtung Kalender, der an der gegenüberliegenden Wand hängt.
»Hm, warte mal. Also diese Woche wird es nichts mehr, weil ich momentan ganz allein bin. Aber für nächste Woche hatte ich dich schon prophylaktisch eingeplant, da werde ich auf alle Fälle anfangen. Wie lange es dann dauert, kann ich noch nicht genau sagen. Kommt auch drauf an, was ich noch entdecke, wenn ich sie aufmache.«
Aurora nickt und legt eine Hand auf Daniels Arm. »Ruf mich einfach an, wenn du klarer siehst. Kommst du eigentlich zu meinem Konzert in der Musikhalle nächste Woche?«
»Ich weiß noch nicht, ob ich es hinbekomme. Hier ist so viel los ...«, er hebt entschuldigend die Hände.
»Dann hoffe ich einfach mal, dass die arme Carolin bald wieder auf dem Damm ist. Du würdest echt etwas verpassen. Wir könnten danach essen gehen, ein bisschen feiern. Die neue Violine muss doch begossen werden. Wie klingt das?«
»Mensch, Aurora, das klingt unglaublich gut. Ich werde sehen, was ich machen kann. So, jetzt muss ich aber wieder.« Mit freundlicher, aber unmissverständlicher Geste führt er Aurora zum Ausgang und hilft ihr wieder in den Mantel.
»Also sehen wir uns nächste Woche, mein Lieber! Ich zähle auf dich, gib dir bitte Mühe!«
Daniel lächelt. »Mache ich. Und deswegen werde ich gleich mal wieder fleißig sein.«
Er öffnet ihr die Tür; bevor sie rausgeht, haucht sie ihm noch ein Küsschen auf die Wange. Ohne Zunge.
Carolin macht uns die Tür auf und sieht irgendwie seltsam aus. Sie riecht auch seltsam. Ein Geruch, den ich schon das ein oder andere Mal beim alten von Eschersbach geschnuppert habe.
»Nabend ihr beiden, kommt rein.«
»Alles in Ordnung bei dir?«, will Daniel wissen.
»Sicher, sicher, alles in Ordnung.«
Kaum zu glauben: Auch Carolins Stimme klingt seltsam. So schleppend und verwaschen. Ich fühle mich mit einem Schlag sehr unwohl.
Daniel geht hinter mir in die Wohnung, ich laufe zu meinem Körbchen, er setzt sich auf das Sofa im Wohnzimmer.
»Aurora Herwig war heute da«, berichtet er dann.
»Oooh - die schöne Geigerin! Wie geht es ihr denn?«
»Es geht ihr ausgezeichnet - sie hat in London einen alten italienischen Meister recht günstig bekommen. Cremona, glaube ich. Habe allerdings das Gutachten noch nicht gelesen. Aurora war jedenfalls total happy.«
Carolin fängt an, zu kichern. »Na, das ist doch toll, dass die Aurora so happy ist. Dann ist ja alles bestens.«
»Sag mal, Carolin, ist wirklich alles in Ordnung? Du wirkst etwas angeschlagen. Ich mache mir echt Sorgen um dich, davon abgesehen, vermisse ich dich natürlich sehr in der Werkstatt.«
Carolin setzt sich neben Daniel und legt ihm eine Hand auf die Schulter. »Brauchste nicht, ehrlich. Kommt alles wieder hin. Nächste Woche bin ich bestimmt wieder die Alte, ich muss mich nur ein bisschen erholen.«
Daniel zögert, dann steht er auf. »Na gut, dann fahre ich nach Hause. Aber versprich mir, mich anzurufen, wenn es dir nicht gutgeht.«
»Ja, ja, machich machich. Nu fahr mal. Bin auch müde und gehe gleich ins Bett.«
»Also, gute Nacht!«
Daniel will sich zu Carolin herunterbeugen, aber sie weicht ihm aus.
»Jaja, gute Nacht.«
Daniel geht, ich bleibe allein mit Carolin zurück. Ich kann nicht genau sagen, warum, aber aus dem Unwohlsein wird langsam Angst. Irgendetwas stimmt hier nicht. Am liebsten würde ich Daniel hinterherlaufen und ihn zurückholen, aber wie soll ich das anstellen? Mist, irgendetwas sagt mir, dass Carolin momentan nicht allein sein sollte. Also, »allein« im Sinne von »ohne andere Menschen«. Ich will meine Gesellschaft nicht unterschätzen, aber hier braucht es mehr als einen kleinen Hund. Definitiv.
Eine Weile sitzt Carolin noch auf dem Sofa, dann steht sie auf, geht zur Anlage und macht wieder Musik an. Es ist zum verrückt werden: Diese Musik hört sie beinahe schon eine Woche, ich könnte mir die Ohren zuknoten. Ich laufe zu ihr und zerre ein bisschen an ihrer Jeans. Hey, jetzt beachte mich mal, ich bin schließlich auch noch da! Aber sie guckt mich nur kurz mit glasigen Augen an und geht dann in die Küche. Ich laufe hinterher. Zwar hat mich Daniel schon gefüttert, aber gegen ein Stück Versöhnungswurst hätte ich jetzt nichts einzuwenden. Wäre doch schön, wenn Carolin auch mal an mich denken würde, langsam bin ich nämlich etwas beleidigt.
Tatsächlich öffnet sie den Kühlschrank - aber nur, um eine Flasche herauszuholen. Sie nimmt ein Glas und gießt etwas ein. Aha, daher kommt der Geruch! Offenbar hat sie schon mehr von dem Zeug getrunken. Als sie wieder Richtung Wohnzimmer geht, tritt sie mir fast auf die Pfoten. Autsch! Ich belle laut auf. So geht das hier aber nicht! Ich beschließe, mich ins Körbchen zu verziehen.
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