“Okay”, sagte er. “Ich arbeite von zu Hause aus, Sie dürfen also gerne bei mir vorbeikommen, wenn Sie wollen.”
Sie beendete den Anruf, nachdem sie seine Adresse bekommen hatte. Sie gab es in ihr GPS und war erleichtert, als sie sah, dass dieser Umweg sie nur weitere 20 Minuten kosten würde.
Auf dem Weg nach Lynchburg war sie viel zu abgelenkt von den ganzen Fakten des aktuellen Falls, sie war gefesselt von Hunderten von unbeantworteten Fragen, die sich um den alten Fall ihres Vaters drehten und dem neuen Mord, der ihn wieder aktuell gemacht hatte. Aus irgendwelchen Gründen hatten dieselben Menschen, die ihren Vater getötet hatten, auch jemand anderen auf ähnliche Weise getötet.
Und wieder hatten sie eine geheimnisvolle Visitenkarte hinterlassen. Aber warum?
Sie hatte Wochen damit verbracht, etwas herauszufinden. Vielleicht war der Mörder einfach nur dreist. Oder vielleicht sollten die Karten die Ermittler irgendwo anders hinführen … wie eine Art umgekehrtes Katz und Mausspiel. Sie wusste, dass Kirk Peterson noch am Fall dran war – ein bescheidener und engagierter Privatdetektiv in Nebraska, den sie nicht gut genug kannte, um ihm komplett zu vertrauen. Trotzdem war die Tatsache, dass jemand aktiv die Spur so frisch wie möglich hielt, beruhigend. Es gab ihr das Gefühl, dass das Puzzle fast fertig war, aber jemand hatte ein Puzzleteil weggenommen und gab es nicht her, sondern war entschlossen, es erst im letzten Moment hinzuzulegen.
Sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so unterlegen gefühlt. Es war nicht länger eine Frage, ob sie den Mörder ihres Vaters finden würde oder nicht, sondern es ging eher darum, ein Jahrzehnte altes Mysterium zu Ende zu bringen. Während ihre Gedanken sich darum drehten, klingelte ihr Telefon. Sie sah die Nummer des Sheriffs auf dem Display, antwortete und hoffte auf eine Art Hinweis im aktuellen Fall.
“Guten Morgen, Agentin White”, sagte Sheriff Clarke am anderen Ende. “Hören Sie, Sie wissen, dass der Handyempfang hier in Stateton Mist ist. Ich habe Agent Ellington hier, der schnell mit Ihnen sprechen möchte. Sein Handy hat kein Empfang.”
Sie hörte, wie das Handy an Ellington weitergegeben wurde. “Also”, sagte er. “Bist du schon verloren ohne mich?”
“Wohl kaum”, erwiderte sie, “ich treffe mich in einer Stunde mit Robbie Huston.”
“Ah ein Fortschritt. Wo wir gerade dabei sind, ich schaue mir gerade den Bericht des Gerichtsmediziners an. Direkt aus dem Druck. Ich sage dir Bescheid, wenn ich etwas finde. Randall Jones kommt auch bald. Ich schaue Mal, ob er mich mit ein paar anderen Bewohnern im Heim sprechen lässt.”
“Hört sich gut an. Ich fahre jetzt die nächsten drei Stunden an Kuhweiden und leeren Feldern vorbei.”
“Ah, das glamouröse Leben”, sagte er. “Ruf mich an, wenn du etwas brauchst.”
Und damit beendete er den Anruf.
So neckten sie sich die ganze Zeit über. Sie fühlte sich ein wenig dümmlich wegen ihrer Sorgen heute Morgen, darüber wie er sich fühlte, ob sich etwas zwischen ihnen entwickelte oder nicht.
Der Anruf hatte die Gedanken an den Fall ihres Vaters beendet, sie konnte sich auf den aktuellen Fall konzentrieren. Das digitale Thermometer in ihrem Auto sagte ihr, dass es bereits einunddreißig Grad draußen waren … und es war noch nicht mal neun Uhr.
Die Bäume entlang der Straße waren unglaublich dick, hingen wie ein Vordach über der Straße. Und obwohl etwas recht Mysteriöses dabei war, in dem schwachen Licht des frühen südlichen Morgens, konnte sie es kaum erwarten, auf die größeren Autobahnen und die vierspurige Straße zu kommen, die sie in Richtung Lynchburg und Treston bringen würde.
***
Robbie Huston lebte in einem modernen kleinen Apartmentkomplex in der Nähe des Zentrums von Lynchburg. Die Bücherläden und Kaffees hier in der Gegend waren von Studenten besetzt, die wahrscheinlich nur durch das große private christliche College gediehen, das eine große Rolle in der Stadt spielte. Als sie um 9:52 Uhr an seine Tür klopfte, antwortete er fast sofort.
Er sah aus wie in den frühen Zwanzigern – drahtig, umgekämmtes Haar und die Art von weichem Teint, der Mackenzie annehmen ließ, dass alles was er jemals gearbeitet hatte, nur hinter einem Schreibtisch stattgefunden hatte. Er war süß auf eine burschikose Art und war am Rande der Aufregung oder Nervosität, dass tatsächlich eine FBI-Agentin an seine Tür klopfte.
Er bat sie hinein und sie sah, dass das Innere seines Apartments genauso schön und modern war wie das Äußere. Der Wohnbereich, die Küche und das Arbeitszimmer waren ein einzelnes Zimmer, getrennt von kleinen schmuckvollen Trennwänden und geflutet mit natürlichem Sonnenlicht, das durch zwei riesige Fenster an der gegenüberliegenden Seite hereinschien.
“Ähm … kann ich Ihnen einen Kaffee oder so anbieten?”, fragte er. “Ich habe noch etwas von meiner Morgen Ration übrig.”
“Kaffee wäre tatsächlich toll”, sagte sie.
Sie folgte ihm in die Küche, wo er ihr einen Becher eingoss und ihn ihr übergab.
“Sahne? Zucker?”
“Nein danke”, sagte sie. Sie nahm einen Schluck, befand ihn für gut und kam auf den Punkt. “Herr Huston, Sie arbeiten oft freiwillig im Wakeman Blindenheim, ist das korrekt?”
“Ja.”
“Wie oft?”
“Das hängt von meiner Arbeitslastung ab. Manchmal schaff ich es nur ein oder zwei Mal im Monat. An manchen Monaten schaffe ich es auch einmal in der Woche.”
“Wie war es in der letzten Zeit?”, fragte Mackenzie.
“Naja, ich war am Montag dieser Woche da. Letzte Woche war ich Mittwochs da und die Woche davor, war ich Montag und Freitag da, glaube ich. Ich kann Ihnen meinen Plan zeigen.”
“Vielleicht später”, sagte sie. “Ich habe mit Randall Jones gesprochen, ich habe herausgefunden, dass Sie dort Spiele spielen und mit den Möbeln helfen und sauber machen. Stimmt das?”
“Das stimmt. Ab und zu lese ich den Bewohnern auch etwas vor.”
“Den Bewohnern? Welchen Bewohnern haben Sie den in den letzten zwei Wochen vorgelesen oder Spiele gespielt?”
“Mit ein paar. Da ist ein älterer Mann namens Percy, mit dem ich Äpfel zu Äpfeln spiele. Es muss auch mindestens ein Pfleger mitspielen … der ihm sagt, wie seine Karten aussehen. Und letzte Woche habe ich ein wenig mit Ellis Ridgeway über Musik gesprochen. Ich habe ihr auch eine Weile vorgelesen.”
“Wissen Sie, wann Sie die Zeit mit Ellis verbracht haben?”
“Als ich das letzte Mal da war. Montag hatte ich ihr Brian Eno mitgebracht. Wir haben über klassische Musik gesprochen und ich habe ihr einen online Artikel vorgelesen, über die Art wie klassische Musik das Gehirn stimuliert.”
Mackenzie nickte, sie wusste, dass es Zeit war, ihre größte Karte auf den Tisch zu werfen.
“Ok, ich hasse es Ihnen das sagen zu müssen, aber Ellis wurde Dienstagabend ermordet aufgefunden.Wir versuchen herauszufinden, wer es war und ich bin mir sicher, Sie verstehen, dass wir uns jeden anschauen müssen, der kürzlich mit ihr Zeit verbracht hat. Besonders Freiwillige, die nicht immer im Heim sind.”
“Oh mein Gott”, sagte Robbie, sein Gesicht wurde von Moment zu Moment immer blasser.
“Vor Frau Ridgeway gab es einen weiteren Mord in einem Heim in Treston, Virgina. Waren Sie jemals dort?”
Robbie nickte. “Ja, aber nur zwei Mal. Einmal für eine Art Gemeindeservice, Dinge, die wir freiwillig tun, meine Alma Mater. Ich habe geholfen, ihre Küche zu renovieren und hab ein wenig gegärtnert. Ich kam ein oder zwei Monate später zurück, um zu helfen, wo ich konnte. Es war hauptsächlich ein Beziehung Aufbau Ding.”
“Wie lange ist das her?”
Er dachte darüber nach, immer noch sichtlich erschüttert von den Nachrichten der zwei Morde. “Vier Jahre, würde ich sagen. Vielleicht viereinhalb.”
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