Sie sah, wie Danilos Augenbrauen bei dem Anblick in die Höhe schossen, und merkte, wie er versuchte, ein Lachen zu unterdrücken, als er zusah, wie ihre Freundin den kleinen, grünen Behälter den Hügel hinunterschleppte.
„Guten Abend, Ladys. Buena sera. Genießen Sie Ihre Pizza und Ihren Wein.“
Er schlenderte lässig durch das Tor und kletterte in seinen weißen Truck, den er neben der Straße geparkt hatte.
Kurz darauf röhrte der Wagen davon.
Olivia konnte nicht anders. Sie musste es einfach tun.
Sie riss an dem Gummibund ihrer Jogginghose und warf einen Blick auf ihre Unterwäsche. Dann verzog sie das Gesicht, schloss die Augen und wünschte sich, die letzten zehn Minuten ungeschehen machen zu können. Sie hatte sich heute Morgen für das grellorangene Unterhöschen entschieden, so grell, dass es beinahe leuchtete.
Es musste wie ein schillernder Sonnenuntergang durch eine graue Wolkendecke hindurch ausgesehen haben. Es gab nicht den geringsten Zweifel, dass Danilo das bemerkt hatte. Kein Wunder, dass er so breit gegrinst hatte.
„Uff!“, stöhnte Olivia.
Sie riss sich zusammen und versuchte, das Gefühl seines Blicks zu verdrängen.
„Was sollte das Ganze?“, fragte Charlotte. „War das der Mann aus dem Eisenwarenladen, und hat er versucht, unseren Anbauprozess zu dirigieren?“
Olivia nickte verbissen.
„Ich wusste ja nicht, dass aufdringliche Einheimische hier zum Tagesgeschäft gehören. Als hätte ich ungebetene Hilfe nötig!“
Charlotte blickte sie erstaunt an.
„Pflanzen ist auch nur einfaches Gärtnern, nicht wahr? Er wollte sich ganz klar bloß aufspielen.“
„Genau“, stimmte Olivia zu.
Doch insgeheim wurde Olivia gerade von Zweifeln zerfressen. So sehr sie auch versuchte, ihre Gedanken zu verdrängen, so fragte sie sich doch, was passieren würde, wenn sich ihre erste Ernte zu einem einzigem Debakel entwickeln würde.
„Bitte wachst“, flehte sie die Samen an, wohl wissend, dass sie gerade womöglich die schlechten Schwingungen ihrer Sorgen und Verzweiflung aufsaugen würden.
Diese Beete waren von der Straße aus sichtbar. Danilo konnte also jederzeit in seinem staubigen, weißen Truck daran vorbeifahren und sich ihre Fortschritte, oder auch das Fehlen derselbigen, ansehen.
Olivia ertrug den Gedanken daran nicht, wie peinlich es wäre, wenn sie ihn anrufen und ihn um den Rat bitten müsste, den er so zuversichtlich angeboten hatte.
Sie hoffte, dass die Saat schnell aufgehen würde, damit Danilo über ihr Gedeihen staunen können und er erkennen würde, wie unhöflich und unangebracht seine Kritik gewesen war.
In diesem Moment klingelte Olivias Telefon.
Sie wühlte in ihrer Tasche. So spät am Abend war es bestimmt jemand aus den Staaten, die zeitlich einige Stunden zurücklagen.
Es war ihre Mutter.
Olivia seufzte.
Sie hatten sich schon seit über einer Woche nicht mehr gesprochen. Sie hoffte, dieses Gespräch würde ihr nicht zu viel von ihrer Pizzazeit rauben. Da ihre Mutter nicht dafür bekannt war, kurze Unterhaltungen zu führen, beschloss Olivia, nach oben ins Schlafzimmer zu laufen und sich umzuziehen, während sie sprachen.
„Hallo, Mum“, sagte sie und machte sich auf den Weg zum Farmhaus.
„Olivia!“ Ihre Mutter klang besorgt. „Du hast versucht, mich am Wochenende anzurufen.“
Olivia konnte sich ihre zarte, nervöse Mutter vorstellen, wie sie in ihrem sonnendurchfluteten Wohnzimmer in ihrem Sessel mit Blumenmuster kauerte, während ihr Vater auf dem Sofa gegenüber las. Olivia wusste, dass ihr Vater nur dann seine Augen von den Seiten nahm, wenn die Stimme ihrer Mutter eine bestimmte Tonlage erreichte.
„Ja, das habe ich. Du hattest gesagt, dass du gerade Auto fährst und dass ich wann anders anrufen sollte.“
„Ich muss dir dringend sagen, dass dein E-Mailkonto gehackt wurde.“
„Wirklich?“ Olivia spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte, während sie die Treppe hinaufflitzte. Das war das Letzte, das sie jetzt gebrauchen konnte.
„Ja. Du musst das sofort melden.“
Olivia stellte ihr Telefon auf Lautsprecher und schälte sich aus ihrer Hose. Eigentlich sollte sie sie besser wegwerfen. Oder zumindest den Riss nähen lassen. Vielleicht gab es eine Schneiderei im Dorf. Allerdings war es ihr peinlich, solch eine schlottrige Hose zum Ausbessern wegzugeben.
Am einfachsten wäre es, sie hierzubehalten, so zerrissen und bequem, wie sie war.
„Woher weißt du das?“, fragte sie.
Ihre Mutter kündigte die Bombe auf äußerst dramatische Weise an.
„Die Hacker haben mich angeschrieben, mit deinem Namen, und etwas Absurdes behauptet. Sie haben gesagt, dass du eine Farm in Italien gekauft hast.“
Olivia blinzelte.
„Ähm, Mum – “
Aber Mrs. Glass ignorierte sie und fuhr wie eine Dampfwalze einfach unbeirrt fort.
„Sie haben nicht direkt nach Geld gefragt, aber es war einfach für jemanden so weltbewandert wie ich zu erkennen, dass sie das Fundament dafür in ihrer nächsten Mail legen werden. Das nennt man Phishing, Schatz.“
Olivia hörte, wie ihr Vater etwas im Hintergrund murmelte.
„Oh. Es ist kein Phishing, Herzchen, es ist ein 419-Scam. Das ist es, was die Hacker gemacht haben. Ist das etwas Ernsteres, Andrew?“
Sie schwieg wieder, während Olivias Vater antwortete.
„Es ist anscheinend das Gleiche, nur anders. Aber egal, Schatz, du wurdest gephisht. Ich meine ge419t, und so solltest jeden in deiner Kontaktliste sofort informieren. Sie haben das wahrscheinlich an die gesamte Datenbank geschickt! Es war keine gutgeschriebene Mail, und sie stammte definitiv von jemandem, der nicht gut Englisch spricht, aber trotzdem, einige deiner naiven Freunde könnten es durchaus glauben.“
Olivia verdrehte die Augen, als sie sich ihren Rock anzog und wieder in ihre staubigen Sandalen schlüpfte.
„Mum, das war ich. Ich habe diese Mail geschrieben, und es stimmt. Ich habe in Italien eine Farm gekauft. Du warst beschäftigt und hattest keine Zeit zum Reden, also habe ich dir die Details geschrieben.“
Olivia merkte, wie sie anfing zu plappern, um die plötzliche, geschockte Stille am anderen Ende zu füllen.
„Sie ist echt hübsch. Ich stehe sogar gerade im Schlafzimmer. Und jetzt gehe ich die Treppe hinunter. Das Haus ist ein wenig vernachlässigt, aber die Struktur ist sehr solide, und es steht auf zwanzig Morgen, wie ich dir in meiner Mail geschrieben habe. Ich werde hier Wein anbauen! Ich habe vor, nächstes Jahr mein eigenes Weinlabel zu starten.“
„Dein was?“, antwortete ihre Mutter heiser.
Olivia war sich sicher, dass sie ihr die Fakten gerade deutlich vermittelt hatte und dass die Telefonverbindung kristallklar war. Sie hatte nur Schwierigkeiten, alles zu verarbeiten.
„Mein eigenes Weinlabel“, wiederholte sie, nur für alle Fälle.
„Ich kann das nicht glauben“, flüsterte ihre Mutter. „Olivia, das ist doch Irrsinn.“ Als sie fortfuhr, klang sie zunehmend misstrauisch. „Hast du etwa falschen Umgang? Hat man dich einer Gehirnwäsche unterzogen, oder bist du von einer Sekte gekidnappt worden, die mit deinem Geld ihre Machenschaften finanziert? Wenn du Hilfe brauchst, mein Engel, dann sag nur das Wort – das Wort – lass mich kurz überlegen, welches Wort man unauffällig in ein Gespräch einbauen kann. Das Wort ‚Wasser‘ wird reichen! Benutze es ganz deutlich in deiner Antwort an mich, und ich werde sofort die Behörden verständigen.“
Olivia erreichte den Fuß der Treppe.
„Können wir los?“, fragte Charlotte, die sich von ihrem Schneidersitz auf der Veranda hochrappelte.
„Ja“, antwortete Olivia ihrer Freundin schnell. Sie musste dieses nervige Gespräch endlich beenden und ihrer Mutter auf Widersehen sagen. Das Abendessen rief, und im Moment, nach diesem Tag, rief es besonders laut.
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