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Charlaine Harris: Grabeshauch

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Charlaine Harris Grabeshauch

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Informationen zum Buch Die junge Harper Connelly hat eine besondere Gabe: Sie kann Tote finden und deren letzte Momente nacherleben. Doch diesmal wird sie nicht nur mit einem geheimnisvollen Todesfall konfrontiert, sondern auch mit ihrer eigenen Vergangenheit. Während Harper in Texas auftragsgemäß dem Tod eines reichen Patriarchen nachspürt, erfährt ihr Manager und Lebensgefährte Tolliver, dass sein ehemals drogensüchtiger Vater (und Harpers Stiefvater) aus dem Gefängnis entlassen wurde. Tolliver und Harper wollen nichts mit ihm zu tun haben, können jedoch nicht verhindern, dass er sich wieder in ihr Leben drängt. Nachdem Tolliver von einem Unbekannten angeschossen wurde, überstürzen sich die Ereignisse – und endlich wird auch das Geheimnis um Harpers vor Jahren verschwundene Schwester Cameron gelüftet … Informationen zur Autorin Charlaine Harris

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Für meinen Sohn Patrick – ganz einfach, weil er großartig ist.

1

»Also dann«, sagte die strohblonde Frau in der Jeansjacke. »Legen Sie los.« Bei ihrem breiten Akzent hörte sich das jedoch eher an wie »Legnselos«. Ihr habichtartiges Gesicht war erwartungsvoll gespannt, so als stünde sie kurz davor, eine unbekannte Speise zu probieren.

Wir befanden uns auf einem windgepeitschten Gelände, mehrere Meilen südlich der zwischen Texarkana und Dallas verlaufenden Interstate. Auf der schmalen zweispurigen Straße, auf der wir hergekommen waren, brauste ein Wagen vorbei – der einzige, den ich gesehen hatte, seit ich Lizzie Joyces schwarz glänzendem Chevy Kodiak zum Pioneer Rest Cemetery gefolgt war, einem Friedhof außerhalb des kleinen Städtchens Clear Creek.

Als unsere kleine Truppe verstummte, war das Pfeifen des Windes, der über die sanft geschwungenen Hügel strich, das einzige noch hörbare Geräusch.

Der kleine Friedhof war nicht umzäunt. Er war aufgegeben worden, allerdings schon vor längerer Zeit. Es handelte sich um einen alten Friedhof – insoweit ein Friedhof in Texas überhaupt alt sein kann –, der angelegt wurde, als die Eiche in seiner Mitte noch ein kleines Bäumchen gewesen war. Vögel zwitscherten in ihren Ästen. Da wir uns im Norden von Texas befanden, wuchs hier Gras, aber im Februar war es noch nicht grün. Obwohl es etwa zehn Grad warm war, pfiff der Wind kälter als erwartet. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke bis ganz nach oben zu und staunte nicht schlecht, dass Lizzie Joyce gar keine trug.

Die Menschen, die hier lebten, waren zäh und pragmatisch. Zu ihnen zählte auch die etwa dreißigjährige Blondine, die mich eingeladen hatte. Sie war schlank und durchtrainiert und hatte ihre Jeans hochgekrempelt – wahrscheinlich, um sich den Stiefelschaft einzufetten. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie ein Pferd bestieg. Aber ihre Stiefel hatten Patina, dasselbe galt für ihren Hut. Und wenn ich die Gravur auf ihrer Gürtelschnalle richtig entzifferte, war sie der letztjährige Bezirks-Champion im Tonnenrennen. Lizzie Joyce war echt.

Sie hatte außerdem mehr Geld auf der Bank, als ich jemals haben würde. Die Diamanten an ihrer Hand funkelten im grellen Sonnenlicht, als sie auf die den Toten geweihte Erde zeigte. Ms Joyce wollte, dass ich endlich mit meiner Vorstellung begann.

Ich bereitete mich aufs »Loslegn« vor. Da Lizzie eine Menge Geld dafür blechte, wollte sie so viel wie möglich davon haben. Sie hatte ihre kleine Entourage eingeladen, die aus ihrem Freund, ihrer jüngeren Schwester und ihrem Bruder bestand. Letzterer sah aus, als wäre er überall lieber als auf dem Pioneer Rest Cemetery.

Mein Bruder hatte sich an unseren Wagen gelehnt und rührte sich nicht von der Stelle. Bis ich meinen Job erledigt hatte, würde Tolliver mich nicht aus den Augen lassen.

Ich betrachtete ihn nach wie vor als meinen Bruder, obwohl ich mich bemühte, ihn in der Öffentlichkeit nicht mehr so zu nennen. Inzwischen führten wir eine ganz andere Beziehung.

Wir waren den Joyces an jenem Vormittag zum ersten Mal begegnet. Wir hatten den langen, gewundenen Feldweg genommen, der zwischen weitläufigen, eingezäunten Feldern hindurchführte, und waren Lizzies ausgezeichneter Wegbeschreibung gefolgt, die sie uns gemailt hatte.

Das Haus am Ende des Weges war sehr groß und sehr schön, aber nicht protzig. Es war ein Haus, in dem hart arbeitende Menschen lebten. Die Latina, die uns aufmachte, trug eine hübsche Hose und eine Bluse statt irgendeiner Uniform. Und sie nannte ihre Chefin »Lizzie« und nicht »Ms Joyce«. Da es auf einer Farm keine Sonntage gibt, wunderte ich mich nicht weiter, dass das große Haus wie ausgestorben wirkte. Die wenigen Menschen, die ich entdecken konnte, hielten sich in weiter Entfernung von der Farm auf. Während uns die Haushälterin hineinbat, sah ich einen Jeep kommen, und zwar auf dem Weg, der zur Rückseite des Hauses führte.

Lizzie Joyce und ihre Schwester Kate hatten in der Waffenkammer gewartet. Bestimmt bezeichneten sie diesen Raum als Wohnzimmer oder so etwas, denn hier traf man sich, um fernzusehen, Brettspiele zu spielen oder zu tun, was reiche Leute sonst so mit ihrer Freizeit anfangen, wenn sie am Arsch der Welt leben. Aber für mich war es eine Waffenkammer: Gewehre und Tierköpfe, wohin man sah. Die Einrichtung war im Stil einer rustikalen Jagdhütte gehalten. Da das Haus vom Großvater der Joyces errichtet worden war, spiegelte es bestimmt seinen Geschmack wider. Aber hätte ihnen das nicht gefallen, hätten sie ihn leicht ändern können. Der Mann war nämlich schon eine ganze Weile tot.

Lizzie Joyce sah aus wie auf den Fotos, die ich von ihr gesehen hatte. Sie wirkte absolut handfest, wie eine Frau, die ihren Mann steht. Ihre Schwester Kate, genannt Katie, war eine jüngere Ausgabe von ihr, kleiner und unverbrauchter. Aber genauso selbstbewusst und durchsetzungsfähig. Vielleicht wird man automatisch so, wenn man viel Geld im Hintergrund hat.

Die Waffenkammer verfügte über Fenstertüren, die auf eine großzügige Loggia hinausführten. Dort standen Steingefäße, die im Frühling sicher bepflanzt wurden, aber noch war es nicht so weit. Nachts sank die Temperatur manchmal immer noch unter Null. Ich sah, dass die Joyces ihre Schaukelstühle den Winter über draußen gelassen hatten. Wie es sich wohl anfühlte, an einem Sommermorgen auf der überdachten Loggia zu sitzen, Kaffee zu trinken und über die eigenen Ländereien zu schauen?

Der Jeep hielt vor der sanften Steigung, die zur Hintertür führte, zwei Männer stiegen aus und betraten das Haus.

»Harper, das ist der Manager der RJ Ranch, Chip Moseley. Und das ist unser Bruder Drexell.«

Tolliver und ich gaben den Männern die Hand.

Der Manager hatte ein wettergegerbtes Gesicht, grüne, skeptisch dreinblickende Augen und braunes Haar. Auch er wäre am liebsten gleich wieder verschwunden, genau wie der Bruder. Beide waren nur gekommen, weil Lizzie das wollte. Chip Moseley gab Lizzie einen flüchtigen Kuss, und ich sah, dass er sowohl ihr Freund als auch ihr Manager war. Das könnte heikel werden.

Der Bruder Drexell war der Jüngste der Joyces und der Unscheinbarste. Lizzie und Katie besaßen beide eine gewisse habichtnasige Markanz, während Drexells rundes Gesicht nach wie vor sehr kindlich wirkte. Er sah mir nicht in die Augen, genau wie seine Schwestern.

Ich hatte das dumpfe Gefühl, die beiden Männer schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Da die riesige Ranch der Joyces nicht allzu weit von Texarkana entfernt lag, wo ich aufgewachsen war, konnte ich Chip und Drexell durchaus schon einmal begegnet sein. Aber wenn ich etwas auf gar keinen Fall wollte, dann meine Vergangenheit wieder aufleben lassen. Ich war nicht immer diese mysteriöse Frau gewesen, die Leichen finden kann, weil sie vom Blitz getroffen wurde.

»Ich freue mich sehr, dass Sie kommen konnten«, sagte Lizzie.

»Meine Schwester liebt das Besondere«, behauptete Katie an Tolliver gewandt. Sie hatte eindeutig ein Auge auf ihn geworfen.

»Harper ist unvergleichlich«, erwiderte er und sah mich dabei an. Er schien sich zu amüsieren.

»Nun, ich hoffe, Sie sind Ihr Geld wert«, bemerkte Chip, dessen wettergegerbtes, anziehendes Gesicht etwas Drohendes bekam. Ich nahm ihn genauer ins Visier. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, mich für den Mann einer anderen zu interessieren. Aber Chip Moseley hatte durchaus etwas: etwas, das meine besondere Gabe ansprach. Doch er lebte und atmete – normalerweise ein Ausschlusskriterium.

Ich arbeite nämlich mit Toten.

Seit Lizzie Joyce auf eine Webseite gestoßen war, die über meine Reisen berichtet, hatte sie anscheinend keine ruhige Minute mehr gehabt, bis ihr ein Job für mich eingefallen war. Sie wollte endlich wissen, was ihren Großvater umgebracht hatte, der weit entfernt vom Haupthaus leblos neben seinem Jeep gefunden worden war. Rich Joyce hatte eine Schädelverletzung, und man nahm an, dass er beim Ein- oder Aussteigen gestürzt war. Oder aber sein Jeep war auf einen Felsen gefahren, woraufhin er aus dem Wagen geschleudert worden war und sich den Kopf an der Karosserie gestoßen hatte. Man hatte jedoch keinerlei Spuren eines solchen Zusammenstoßes entdecken können. Wie dem auch sei: Der Motor des Jeeps war abgestellt, und Rich Joyce war tot gewesen. Da weit und breit niemand zu sehen gewesen war, hatte man seinen Tod einem Herzversagen zugeschrieben. Er war schon vor Jahren beerdigt worden. Da Richs einziger Sohn und dessen Frau mehrere Jahre zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatten seine drei Enkel alles geerbt, wenn auch nicht zu gleichen Teilen. Wie Tolliver herausgefunden hatte, war Lizzie zur Verwalterin des Familienvermögens bestellt worden. Die anderen beiden Enkel besaßen Anteile, die sich auf etwas weniger als ein Drittel beliefen. Das genügte, um sicherzustellen, dass Lizzie auch in Zukunft das Sagen hatte. Es war nicht schwer zu erraten, wem Rich Joyce am meisten vertraut hatte.

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