Inspektor Queen betrachtete angewidert das zorngerötete Gesicht des kleinen dicken Mannes. Er seufzte und sagte mit einem strengen Unterton: »Mein lieber Mann, ist Ihnen vielleicht schon einmal in den Sinn gekommen, daß zur gleichen Zeit, während Sie sich wegen einer solchen Kleinigkeit aufregen, jemand, der einen Mord begangen hat, sich hier im Publikum befinden könnte – möglicherweise neben Ihrer Frau oder Ihrer Tochter? Genau wie Sie ist er darauf aus, von hier wegzukommen. Wenn Sie sich beim Distriktstaatsanwalt, Ihrem sehr guten Freund, beschweren wollen, so können Sie dies von mir aus tun, nachdem Sie das Theater verlassen haben. Bis dahin muß ich Sie jedoch bitten, zu Ihrem Platz zurückzukehren und sich solange zu gedulden, bis wir Ihnen den Aufbruch gestatten. Ich hoffe, ich habe mich klar genug ausgedrückt.«
Ein Gekicher kam von einigen Zuschauern, die in der Nähe saßen und sich über die Niederlage des kleinen Mannes zu freuen schienen. Erregt stürmte er davon, der Polizist stur an seine Fersen geheftet. »Dummkopf«, murmelte der Inspektor und wandte sich um zu Velie.
»Geh mit Panzer zur Theaterkasse, und schau nach, ob du für die folgenden Sitznummern hier die entsprechenden Eintrittskarten finden kannst.« Er beugte sich über die letzte Reihe und die Reihe davor und kritzelte auf die Rückseite eines alten Umschlags die Nummern LL30 Links, LL28 Links, LL26 Links, KK32 Links, KK30 Links, KK28 Links und KK26 Links. Den Zettel reichte er Velie, der damit verschwand.
Ellery, der sich die ganze Zeit untätig gegen die Rückseite der letzten Reihe gelehnt und dabei seinen Vater, das Publikum und gelegentlich auch die Ausstattung des Theaters betrachtet harte, flüsterte dem Inspektor ins Ohr: »Ich überlege, ob es nicht seltsam ist, daß ausgerechnet die sieben Plätze in unmittelbarer Nähe des Ermordeten unverkauft geblieben sind, und das bei einem Reißer wie ›Spiel der Waffen‹.«
»Wann ist dir das denn aufgefallen, mein Sohn?« sagte Queen, und während Ellery abwesend mit seinem Stock auf den Boden klopfte, schnauzte er: »Piggott!«
Der Kriminalbeamte trat näher.
»Bringen Sie die Platzanweiserin her, die auf diesem Gang Dienst hatte, und den Portier – den älteren Mann draußen auf dem Bürgersteig.«
Als Piggott abzog, tauchte ein aufgelöster junger Mann, der sich mit einem Taschentuch das Gesicht wischte, an Queens Seite auf.
»Nun, Flint?« fragte Queen sofort.
»Wie ein Scheuerweib bin ich über den ganzen Boden gekrochen, Inspektor. Wenn Sie in diesem Teil des Theaters noch einen Hut finden wollen, dann muß er verdammt gut versteckt sein.«
»In Ordnung, Flint; halten Sie sich in Bereitschaft.«
Der Beamte trottete davon. »Hast du wirklich geglaubt, Vater, mit dieser Rumkrebserei würde er den Zylinder finden?« fragte Ellery langsam.
Der Inspektor knurrte. Er ging den Mittelgang hinunter. Er machte sich daran, sich zu den dort sitzenden Zuschauern hinunterzubeugen und ihnen mit leiser Stimme Fragen zu stellen. Alle Köpfe waren in seine Richtung gewandt, während er von Reihe zu Reihe ging und nacheinander alle die befragte, deren Platz direkt am Gang lag. Als er mit ausdruckslosem Gesicht wieder zu Ellery zurückkehrte, empfing ihn der Polizist, den er mit dem Stück Schnur weggeschickt hatte, mit einem förmlichen Gruß.
»Welche Größe?« fragte der Inspektor.
»Der Verkäufer im Hutgeschäft sagte, es wäre genau 7⅛«, antwortete der Uniformierte. Inspektor Queen entließ ihn mit einem Kopfnicken.
Velie kam mit dem besorgten Panzer im Schlepptau herbeigeeilt. Ellery beugte sich voller Aufmerksamkeit nach vorne, um Velie besser zu verstehen. Queen stand straff; in seinem Gesicht spiegelte sich gespanntes Interesse wider.
»Also, Thomas«, sagte er, »was hast du an der Kasse herausgefunden?«
»Nur, daß sich die sieben Eintrittskarten, deren Nummern Sie mir gegeben hatten, nicht in der Kartenablage befinden«, berichtete Velie ausdruckslos. »Sie sind draußen an der Kasse verkauft worden; wann, das kann Mr. Panzer nicht feststellen.«
»Die Tickets könnten vielleicht auch an eine Vorverkaufsstelle gegangen sein, nicht wahr, Velie?« bemerkte Ellery.
»Das habe ich überprüft, Mr. Queen«, antwortete Velie. »Diese Tickets sind keiner Vorverkaufsstelle zugeteilt worden. Das läßt sich anhand der Aufzeichnungen genau überprüfen.«
Inspektor Queen stand ganz ruhig da; in seinen grauen Augen lag ein leichtes Schimmern. Dann sagte er: »Mit anderen Worten, meine Herren, sieht es also so aus: Es werden Karten für sieben beieinanderliegende Plätze gekauft – für ein Theaterstück, das von Beginn an vor ausverkauftem Haus gespielt wird –, und dann vergessen die Käufer allesamt, die Vorstellung zu besuchen.«
in welchem ein ›Pfarrer‹ in Schwierigkeiten gerät
Stille trat ein, als sich die vier Männer, die sich allmählich ein Bild des Geschehens machen konnten, ansahen. Panzer scharrte mit den Füßen und hustete nervös; Velies Gesicht war ein Musterbeispiel konzentrierten Nachdenkens; Ellery trat einen Schritt zurück und versank in eine verzückte Betrachtung der graublauen Krawatte seines Vaters. Inspektor Queen stand da und kaute an seinem Schnurrbart. Dann zuckte er plötzlich mit den Schultern und wandte sich an Velie.
»Ich habe eine ziemlich unangenehme Aufgabe für dich, Thomas«, sagte er. »Ich möchte, daß du ungefähr ein halbes Dutzend Polizisten abkommandierst und sie jeden Anwesenden einzeln überprüfen läßt. Sie sollen nichts anderes tun, als Name und Adresse jedes Zuschauers notieren. Das ist eine ziemliche Arbeit, die einige Zeit in Anspruch nehmen wird, aber ich befürchte, sie ist absolut notwendig. Ganz nebenbei, Thomas: Hast du bei deinem Erkundigungsgang hier herum einen der Platzanweiser, die für den Balkon zuständig sind, befragt?«
»Ich bin sogar genau an denjenigen geraten, der mir alle Informationen geben konnte«, sagte Velie. »Er ist der Bursche, der unten an der Treppe im Parkett steht und die Zuschauer mit Tickets für den Balkon nach oben dirigiert. Ein Knabe namens Miller.«
»Ein sehr gewissenhafter Junge«, warf Panzer ein und rieb sich die Hände.
»Miller kann beschwören, daß absolut niemand in diesem Theater entweder aus dem Parkett nach oben oder auch vom Balkon aus nach unten gegangen ist, nachdem der Vorhang zum zweiten Akt hochgegangen war.«
»Das nimmt dir schon etwas Arbeit ab, Thomas«, bemerkte der Inspektor, der aufmerksam zugehört hatte. »Laß deine Leute nur durch die Logen und das Parkett gehen. Denk daran: Ich will Namen und Adresse von jeder Person hier – jeder einzelnen Person. Und Thomas –«
»Ja, Inspektor?« sagte Velie, während er sich noch einmal herumdrehte.
»Wo sie einmal dabei sind, sollen sie die Leute auch um die Kontrollabschnitte der Tickets für die Plätze, auf denen sie sitzen, bitten. Bei jedem Verlust eines Abschnitts sollte das neben dem Namen des Verlierers vermerkt werden; und für den Fall – was natürlich nur eine Möglichkeit ist –, daß eine Person einen Kontrollzettel besitzt, der nicht mit dem Platz, auf dem sie sitzt, übereinstimmt, muß das auch vermerkt werden. Glaubst du, du schaffst das alles, mein Junge?«
»Na klar«, brummte Velie, während er sich auf den Weg machte.
Der Inspektor strich seinen grauen Schnurrbart glatt, nahm eine Prise Schnupftabak und zog sie tief ein.
»Ellery«, sagte er, »irgend etwas stört dich. Raus damit, mein Sohn!«
»Hm?« begann Ellery und blinzelte mit seinen Augen. Er nahm seinen Kneifer herunter und sagte langsam: »Sehr verehrter Vater, langsam komme ich zu der Überzeugung, daß
– nun gut! Es gibt nun einmal in dieser Welt wenig Frieden für einen ruhigen bücherliebenden Menschen.« Er setzte sich auf die Lehne des Sitzes, auf dem der Tote gesessen hatte, und blickte melancholisch drein. Plötzlich lächelte er. »Paß auf, daß du nicht den unglückseligen Irrtum des alten Metzgers wiederholst, der mit seinen vierzig Gesellen auf der Suche nach seinem wertvollsten Messer das ganze Haus auf den Kopf stellte, während er es die ganze Zeit ruhig zwischen seinen Zähnen hielt.«
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