– es galt Fragen zu stellen, Anweisungen zu geben, Unstimmigkeiten und verdächtige Umstände aufzuklären –, so daß wir, wie ich sagen muß, unsere große Chance verpaßten. Hätten wir zu dem Zeitpunkt bereits voll erkannt, was das Verschwinden des Hutes bedeutete, hätten wir vielleicht schon in jener Nacht den Fall zum Abschluß gebracht.«
»Nun, du Brummbär, allzulange hat es dennoch nicht gedauert«, sagte Sampson lachend. »Heute ist Mittwoch, und der Mord wurde Montag vor einer Woche begangen. Ganze neun Tage – was willst du eigentlich?«
Der Inspektor zuckte die Achseln. »Es hätte schon einen beträchtlichen Unterschied gemacht«, sagte er. »Wenn wir es nur gut durchdacht hätten … Na schön! Als wir endlich soweit waren, die Sache mit dem Hut systematisch anzugehen, stellten wir uns zunächst die Frage: Warum hatte man den Hut weggenommen? Nur zwei Antworten darauf schienen einen Sinn zu ergeben: Entweder war der Hut an sich belastend, oder aber er enthielt etwas, was der Mörder haben wollte und wofür der Mord begangen wurde. Wie sich später herausstellte, war beides richtig. Der Hut war an sich belastend, weil auf der Unterseite des ledernen Schweißbandes Stephen Barrys Name mit wasserfester Tinte geschrieben stand; und der Hut enthielt tatsächlich etwas, was der Mörder ganz entschieden m seinen Besitz bringen wollte – die Papiere, mit denen er erpreßt wurde. Zu diesem Zeitpunkt dachte er natürlich, daß es sich um die Originale handelte.
Das brachte uns nicht allzuweit, aber es war zumindest ein Anfang. Trotz einer gründlichen Suche hatten wir den fehlenden Hut noch nicht gefunden, als wir Montag nacht das Theater wieder verließen – nicht, bevor wir seine Schließung bis auf weiteres veranlaßt hatten. Wir hatten jedoch keinerlei Vorstellung, ob der Hut auf irgendeine geheimnisvolle Weise bereits seinen Weg aus dem Theater gefunden hatte oder ob er sich von uns unentdeckt immer noch dort befand. Als wir dann am Donnerstag morgen noch einmal zum Theater zurückkehrten, haben wir dort ein für alle Mal die Frage nach dem Aufenthalt von Monte Fields verteufeltem Zylinder geklärt – wenn auch nur im negativen Sinne. Er befand sich nicht im Theater – soviel war sicher. Und da das Theater seit Montag nacht verschlossen und versiegelt war, folgte daraus, daß der Hut noch an demselben Abend aus dem Theater verschwunden sein mußte!
Nun ging jeder, der am Montag abend hinausging, nur mit einem Hut hinaus. Nach unserer zweiten Durchsuchung mußten wir also annehmen, daß jemand mit Monte Fields Hut in der Hand oder auf dem Kopf das Theater verlassen hatte und dabei notwendigerweise seinen eigenen Hut im Theater zurückgelassen hatte.
Er hätte den Hut nur hinausschaffen können, als er zusammen mit dem Publikum das Theater verlassen durfte. Denn bis zu diesem Zeitpunkt waren alle Ausgänge bewacht oder abgeschlossen, und im linken Seitengang standen zunächst Jess Lynch und Elinor Libby, später dann John Chase, der Platzanweiser, und noch später einer meiner Polizisten. Der rechte Seitengang bot keine Möglichkeit, etwas beiseite zu schaffen, da er keine anderen Ausgänge als die Türen zum Zuschauerraum besitzt, die den ganzen Abend über bewacht wurden.
Um nun den Gedanken fortzuführen: Da Fields Hut ein Zylinder war und da niemand, der einen normalen Anzug trug, mit einem Zylinder das Theater verlassen hat – das haben wir uns sehr genau angeschaut –, muß also derjenige, der den Hut weggenommen hat, in Frack und Zylinder gekleidet gewesen sein. Man könnte einwenden, daß jemand, der ein solches Verbrechen im voraus plant, ohne einen Hut ins Theater gekommen wäre, um so dann auch keinen verschwinden lassen zu müssen. Aber wenn man genauer darüber nachdenkt, wird man einsehen, daß dies äußerst unwahrscheinlich ist. Vor allem beim Betreten des Theaters wäre es ziemlich auffällig gewesen, ohne einen Zylinder dort zu erscheinen. Es war natürlich eine Möglichkeit, und wir behielten sie im Auge. Aber wir dachten uns, daß jemand, der ein solch vollendetes Verbrechen plant, nicht das unnötige Risiko eingehen würde, aufzufallen. Zudem war Ellery davon überzeugt, daß der Mörder vorher nichts von der Bedeutung des Zylinders wußte. Das machte es noch unwahrscheinlicher, daß der Mörder ohne eigenen Hut dort ankam. Wir dachten, daß er seinen eigenen Hut vielleicht während der ersten Pause hätte verschwinden lassen können – das heißt, bevor das Verbrechen begangen wurde. Aber Ellerys Schlußfolgerung, daß der Mörder vorher nichts von dem Hut wußte, machte dies unmöglich; denn dann hätte für ihn in der ersten Pause noch nicht die Notwendigkeit bestanden, sich seines Hutes zu entledigen. Auf jeden Fall scheint es mir eine berechtigte Annahme gewesen zu sein, daß unser Mann seinen Hut im Theater zurücklassen mußte und daß dies nur ein Zylinder gewesen sein konnte. Ist das soweit einleuchtend?«
»Es klingt ziemlich logisch«, gab Sampson zu, »wenn auch sehr kompliziert.«
»Du machst dir keine Vorstellung davon, wie kompliziert das war«, sagte der Inspektor grimmig, »denn zur gleichen Zeit mußten wir auch noch die anderen Möglichkeiten im Auge behalten – wie etwa, daß derjenige, der mit Fields Hut hinausging, gar nicht der Täter, sondern nur ein Komplize war. Aber laßt uns jetzt weitermachen.
Die nächste Frage, die wir uns stellten, war: Was passierte mit dem Zylinder, den der Mörder im Theater zurückließ? Was machte er damit? Wo hatte er ihn versteckt …? Ich kann euch sagen, das war ein schwieriges Problem. Wir hatten das Gebäude von oben bis unten durchwühlt. Sicher, wir fanden mehrere Hüte hinter der Bühne, die laut Mrs. Phillips, der Garderobenaufsicht, verschiedenen Schauspielern gehörten. Aber keiner davon war ein Zylinder. Wo also war der Zylinder, den der Mörder im Theater zurückgelassen hatte? Mit dem ihm eigenen Scharfsinn traf Ellery genau ins Schwarze. Er sagte sich: ›Der Zylinder des Mörders muß sich hier befinden. Wir haben keinen einzigen Zylinder gefunden, dessen Existenz auffällig oder ungewöhnlich gewesen wäre. Deshalb muß der Zylinder, nach dem wir suchen, dort sein, wo er überhaupt nicht auffällt.‹ Eigentlich lächerlich einfach, nicht wahr? Aber selbst ich bin nicht darauf gekommen.
Was für Zylinder gab es dort, an deren Gegenwart es so ganz und gar nichts Ungewöhnliches gab, daß sie gar nicht erst in Betracht gezogen wurden? Für das Römische Theater, das die komplette Theaterbekleidung von Le Brun bezog, schien die Antwort einfach: die geliehenen Zylinder, die für das Stück benötigt wurden. Wo befinden sich solche Zylinder gewöhnlich? Entweder in den Umkleideräumen der Schauspieler oder im allgemeinen Garderobenraum hinter der Bühne. Als Ellery zu dieser Schlußfolgerung gelangt war, nahm er Mrs. Phillips mit hinter die Bühne und überprüfte jeden Zylinder in den Umkleideräumen und in der Garderobe. Jeder Zylinder dort – sie waren komplett, keiner fehlte – gehörte zu den Requisiten und trug auf seinem Futter das Zeichen von Le Brun. Fields Hut, unzweifelhaft ein Zylinder von Browne Bros., befand sich nicht unter den zur Requisite gehörenden Zylindern und auch sonst nirgendwo hinter der Bühne.
Da niemand an jenem Montag abend das Theater mit mehr als einem Zylinder verlassen hatte und da ohne Zweifel Monte Fields Zylinder an dem gleichen Abend mit aus dem Theater genommen wurde, war damit eindeutig bewiesen, daß sich des Mörders eigener Zylinder die ganze Zeit über, in der das Römische Theater versiegelt war, dort befunden haben mußte und sich auch zum Zeitpunkt unserer zweiten Suche noch dort befand. Nun, die einzigen Zylinder, die im Theater verblieben, gehörten zur Requisite. Daraus folgt, daß der Zylinder des Mörders (den er zurücklassen mußte, weil er mit Fields Zylinder hinausging) einer der zur Requisite gehörenden Zylinder gewesen sein muß ; eine andere Möglichkeit gab es einfach nicht.
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